Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: IX R 23/06
Rechtsgebiete: GG, EStG 1997


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
EStG 1997 § 9 Abs. 1
EStG 1997 § 22 Nr. 3
1. Stellt der Stillhalter bei einem Optionsgeschäft (short-Position) an der Deutschen Terminbörse die eingeräumte Option glatt, um auf diese Weise seine Inanspruchnahme zu vermeiden, so sind die im Gegengeschäft gezahlten Prämien als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG abziehbar (Bestätigung des BFH-Urteils vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995).

2. Für negative Einkünfte aus Optionsgeschäften i.S. von § 22 Nr. 3 EStG in den für die Jahre vor 1999 geltenden Fassungen sind in den noch offenen Altfällen die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug anzuwenden (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26).


Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob Verluste im Zusammenhang mit dem Glattstellen eingeräumter Optionen in den Streitjahren (1997 und 1998) zu berücksichtigen sind.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezieht als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er unternahm in den Streitjahren Optionsgeschäfte an der Deutschen Terminbörse auf den Deutschen Aktienindex (DAX) als Stillhalter (short-Positionen) und nahm daraus Prämien in Höhe von 63 140 DM im Jahr 1997 und in Höhe von 49 525 DM im Jahr 1998 jeweils neben Gebühren und Spesen ein. Einige dieser Geschäfte stellte er glatt und musste im Rahmen dieser Gegengeschäfte seinerseits Prämien zahlen, und zwar neben Gebühren und Spesen 143 390 DM (1997) und 66 850 DM (1998).

Dementsprechend erklärte er negative Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre (EStG) für das Jahr 1997 in Höhe von 93 595 DM und für das Jahr 1998 in Höhe von 12 301 DM, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) allerdings nicht berücksichtigte.

Auch die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1061, veröffentlichten Urteil aus, der Kläger könne die in den Glattstellungsgeschäften angefallenen Aufwendungen nicht von seinen nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbaren Stillhalterprämien abziehen; denn es fehle an dem notwendigen Veranlassungszusammenhang mit der Einkünfteerzielung. Der Kläger habe Glattstellungsgeschäfte zur Begrenzung der Risiken aus den eingeräumten Kaufoptionen getätigt und damit nicht in Bezug auf seine erhaltenen Stillhalterprämien, sondern zur Absicherung seines Vermögens gehandelt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers vom Werbungskostencharakter seiner Aufwendungen ausgehe, könnten die geltend gemachten Verluste nicht anerkannt werden. Der Kläger könne sich nicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88) berufen; denn die dort gefundene Verlustabzugsmöglichkeit gelte nur für laufende Einkünfte aus der Vermietung beweglicher Gegenstände und nicht bei einmaligen Leistungen wie die hier zu beurteilenden Optionsgeschäfte.

Hiergegen wendet sich die Revision des Klägers, die er auf die Verletzung von § 9 Abs. 1 EStG sowie § 22 Nr. 3 EStG stützt. Ein Veranlassungszusammenhang der vereinnahmten mit den im Glattstellungsgeschäft verausgabten Stillhalterprämien sei gegeben, so dass nur die Differenz aus der im Eröffnungsgeschäft erhaltenen und der im Gegengeschäft gezahlten Prämie versteuert werden dürfe. Der Stillhalter übernehme bei dem Optionsgeschäft bewusst ein Risiko für sein Vermögen, das über die vereinnahmten Prämien weit hinausgehe. Der Verlustabzug sei durch die Grundsätze des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 99, 88 gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, die Einkommensteuerbescheide für 1997 und für 1998 abzuändern und hierbei Verluste bei den sonstigen Einkünften in Höhe von 84 695,70 DM für 1997 und in Höhe von 20 137,35 DM für 1998 zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Die Vorentscheidung hat unzutreffend die in den Glattstellungsgeschäften verausgabten Optionsprämien nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften des Klägers aus Leistungen berücksichtigt (1.) und die dadurch entstehenden negativen Einkünfte nicht von den übrigen Einkünften des Klägers abgezogen (2.).

1. Die Prämien aus den Optionsgeschäften sind um die im Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien als Erwerbsaufwendungen zu mindern. Denn diese bilden Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG und sind deshalb von den Einnahmen aus § 22 Nr. 3 EStG nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG abzusetzen (so Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995, unter II. 1. b, cc; so auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. November 1994, BStBl I 1994, 816, Tz 15, und vom 27. November 2001, BStBl I 2001, 986, Tz 26).

a) An dieser Auffassung hält der Senat fest (vgl. zur Rechtslage nach Einführung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999, BGBl I, S. 402 das zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Senatsurteil vom heutigen Tag in der Sache IX R 40/06, m.w.N.).

Zwar unternahm der Kläger als Optionsgeber das Glattstellungsgeschäft auch zur Absicherung seines Vermögens, weil ihm ohne die Schließung des Optionsgeschäfts ein höherer Verlust durch die Inanspruchnahme des Optionsnehmers drohte. Indes wendet er die Prämien im Rahmen des Gegengeschäfts auf, um seine Einnahmen aus dem Stillhaltergeschäft zu sichern. Damit liegt das auslösende Moment für die Ausgaben entgegen der Auffassung des FG im steuerbaren Bereich. Ohne das nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Eröffnungsgeschäft kommt es nicht zu einem Glattstellungsgeschäft. Die im Zusammenhang damit zu zahlenden Prämien sind nach dem objektiven Nettoprinzip abziehbare Erwerbsaufwendungen. Der Optionsgeber (Stillhalter) --hier der Kläger-- erhält die Prämie, weil er sich für einen begrenzten Zeitraum bindet, von dem Inhaber der Option einen bestimmten Basiswert zu einem von vornherein bestimmten Basispreis (z.B. Aktie oder wie hier DAX-Index) zu kaufen oder ihm den Basiswert zu dem vorherbestimmten Preis zu verkaufen. Die Optionsprämie ist Gegenleistung für diese Bindung und die damit eingegangenen Risiken, die der Stillhalter --als Last-- in Kauf nimmt, weil er z.B. ein für ihn ungünstiges Effektengeschäft abschließen muss. Damit berücksichtigt das nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Entgelt auch drohende Vermögenseinbußen, so dass im Glattstellungsgeschäft aufgewandte Prämien als Erwerbsaufwendungen zu beurteilen sind, mit denen der Stillhalter eben dieses Risiko zu minimieren sucht (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2003 IX R 2/02, BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752, m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben kann der Kläger die in den Glattstellungsgeschäften gezahlten Optionsprämien grundsätzlich als Werbungskosten bei seinen Einkünften als Stillhalter aus sonstigen Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG geltend machen.

2. Die Abziehbarkeit dieser Aufwendungen scheitert auch nicht daran, dass sie zu negativen Einkünften des Klägers aus § 22 Nr. 3 EStG führen.

Allerdings dürfen diese Verluste nach § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG nicht ausgeglichen werden. Indes ist diese Vorschrift vom BVerfG als mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig beurteilt worden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88). Zwar bezieht sich diese Nichtigkeit --wie das FG zutreffend hervorhebt-- entsprechend dem Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zunächst nur auf die Vermietung beweglicher Gegenstände. Indem es § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG im Streitfall anwendet, übersieht das FG aber, dass der BFH die vom BVerfG zu § 22 Nr. 3 EStG entwickelten Grundsätze (Anwendbarkeit der allgemeinen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug) für die Jahre vor 1999 und damit auch für die Streitjahre auf noch offene Altfälle anwendet, die von § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG betroffen sind.

Das Verlustausgleichs- und Abzugsverbot des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG durchbricht auch für Optionsgeschäfte --ebenso wie die entsprechende Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG-- das Nettoprinzip. Der Senat verweist zur Begründung im Einzelnen auf sein Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01 (BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26). Auch dort ging es um Options- und Wertpapiergeschäfte im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. und damit nicht um laufende Einkünfte, auf die die Vorinstanz die Anwendbarkeit des BVerfG-Beschlusses reduzieren möchte. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, den systematischen Zusammenhang der Vorschriften § 22 Nr. 3 EStG und § 22 Nr. 2, § 23 EStG hervorgehoben und insbesondere die gesetzgeberische Grundentscheidung, nicht nur für alle Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 3 EStG, sondern auch für private Veräußerungsgeschäfte i.S. des § 22 Nr. 2, § 23 EStG eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Neuregelung zur Berücksichtigung von Verlusten einzuführen (vgl. jetzt BFH-Urteil vom 18. Oktober 2006 IX R 28/05, BStBl II 2007, 259), zum Anlass genommen, auch für die von § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG erfassten (Alt-)Fälle die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG entsprechend anzuwenden (eingehend BFH-Urteil in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, unter II. 3. b; bestätigt durch BFH-Urteil vom 7. September 2004 IX R 73/00, BFH/NV 2005, 51; siehe auch BVerfG-Beschluss vom 18. April 2006 2 BvL 8/05, BFH/NV 2006, Beilage 3, 364). Diese Erwägungen gelten erst Recht für Optionsgeschäfte, die --wie hier-- unter § 22 Nr. 3 EStG fallen. Eine Beschränkung der Grundsätze des BVerfG (in BVerfGE 99, 88) zum Verlustausgleich lediglich auf laufende Einkünfte aus der Vermietung beweglicher Gegenstände kommt damit nicht in Betracht.

3. Weil die angefochtene Entscheidung den dargelegten Grundsätzen nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat von seinem Standpunkt aus zutreffend noch keine Feststellungen zur Höhe der Aufwendungen getroffen. Dies gilt auch in Bezug auf die Ausübung der Option vom 16. Januar 1998 durch ein Basisgeschäft vom 20. Februar 1998 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. November 1990 X R 197/87, BFHE 163, 175, BStBl II 1991, 300).

Hinsichtlich der Einkünfteerzielungsabsicht kommt es auf das jeweilige einzelne Optionsgeschäft (hier: Optionseinräumung als Stillhalter) an. Hierfür nicht entscheidend sind --worauf der Kläger in seinem Schriftsatz vom 1. August 2006 richtig hinweist-- die Bedingungen im Zeitpunkt des Glattstellungsgeschäfts, das unternommen wird, um das Eröffnungsgeschäft zu schließen. Das FG wird die Feststellungen in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.



Ende der Entscheidung

Zurück