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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.10.1999
Aktenzeichen: IX R 23/98
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 165 | |
AO 1977 § 124 Abs. 1 Satz 2 |
Das FA bestimmt durch einen geänderten Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 AO 1977, der in einem Änderungsbescheid enthalten ist und an die Stelle eines dem Erstbescheid beigefügten Vor-läufigkeitsvermerks tritt, den Umfang der Vorläufigkeit neu.
AO 1977 § 165, § 124 Abs. 1 Satz 2
Urteil vom 19. Oktober 1999 - IX R 23/98 -
Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1998, 1378)
Gründe
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehegatten, erzielten im Streitjahr (1992) Einkünfte aus der Vermietung einer Wohnung, für die sie in der Steuererklärung erhöhte Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend gemacht hatten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer durch Bescheid vom 7. Februar 1994 (Erstbescheid) erklärungsgemäß fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig, "soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist". Der Bescheid enthält u.a. folgende "Erläuterungen":
"1. Erläuterung zur Vorläufigkeit
Der Bescheid ist im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge, des Solidaritätszuschlags, der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen,
2. Der Bescheid ergeht vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, weil z.Z. die Einkunftserzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann (Liebhaberei).
3. Auf die Anlage zu diesem Bescheid wird verwiesen."
In der handschriftlichen Anlage zum Bescheid wird unter "Weitere Begründung und Nebenbestimmungen" ausgeführt: "Die Vorläufigkeit bezieht sich auf das Objekt in B (s.a. Bp-Bericht, Besondere Angaben Nr. 10 a). Ich bitte um Vorlage entsprechender Unterlagen bezügl. Ersterwerb, Rückkaufsverpflichtung (Einkunftserzielungsabsicht) ...".
Das FA änderte am 28. Februar 1994 und am 24. August 1994 den Bescheid jeweils gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 und erfaßte dabei gesondert und einheitlich festgestellte Einkünfte des Klägers aus der Beteiligung an einer Grundstücksgemeinschaft und gesondert festgestellte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Die Änderungsbescheide ergingen wiederum vorläufig, "soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist". Im Erläuterungsteil wurden jeweils nur die Ausführungen zur Vorläufigkeit im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren, nicht jedoch zur Vorläufigkeit hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wiederholt.
Das FA änderte sodann die Steuerfestsetzung durch Bescheid vom 12. Oktober 1995 gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 und gewährte für das Grundstück in B entsprechend den mittlerweile vorliegenden Feststellungen des Bausachverständigen des FA H nur noch die lineare AfA. Gleichzeitig hob das FA die Vorläufigkeit hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf.
Das Einspruchsverfahren, dessen Gegenstand der am 13. Juni 1996 erneut geänderte Bescheid geworden war, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1378 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht entschieden, daß das FA den Bescheid vom 12. Oktober 1995 mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 AO 1977 nicht mehr erlassen durfte. Die im Steuerbescheid vom 7. Februar 1994 enthaltene Anordnung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung hinsichtlich der Einkünfte aus der Vermietung der Wohnung in B wurde durch den Änderungsbescheid vom 28. Februar 1994 aufgehoben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine vorläufige Steuerfestsetzung gemäß § 165 AO 1977 nur durch ausdrückliche Erklärung endgültig i.S. von § 165 Abs. 2 AO 1977 werden. Ein Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 AO 1977 bleibt danach auch dann wirksam, wenn er in einem nachfolgenden, auf eine andere Änderungsvorschrift gestützten Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt wird (BFH-Urteile vom 9. September 1988 III R 191/84, BFHE 154, 430, BStBl II 1989, 9; vom 24. April 1990 IX R 58/85, BFH/NV 1991, 139).
Eine vorläufige Steuerfestsetzung wird jedoch auch dann gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 geändert, wenn das FA einen nachfolgenden Änderungsbescheid mit einem gegenüber dem Erstbescheid inhaltlich eingeschränkten Vorläufigkeitsvermerk versieht; denn ein in einem Änderungsbescheid enthaltener Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle eines bereits im Erstbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit neu und regelt abschließend, inwieweit die Steuer nunmehr vorläufig festgesetzt ist. Eine andere Beurteilung stünde in Widerspruch zu § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, wonach ein Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt in gleicher Weise wie der Verwaltungsakt selbst mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekanntgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791). Für den Regelungsinhalt der Nebenbestimmung ist danach entscheidend, wie der Adressat ihren materiellen Gehalt nach den ihm bekannten Umständen --seinem "objektiven Verständnishorizont"-- unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) verstehen konnte (vgl. BFH in BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, m.w.N.). Da Umfang und Grund der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 anzugeben sind, muß der Steuerpflichtige den in einem Änderungsbescheid enthaltenen --geänderten-- Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, daß der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Es wäre mit dem Grundsatz des § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht zu vereinbaren, dem Steuerpflichtigen die Spekulation darüber zuzumuten, ob die Einengung des Vorläufigkeitsvermerks auf erneuter Prüfung oder auf einem Versehen beruht.
Im Streitfall hat das FA dem Änderungsbescheid vom 28. Februar 1994 einen geänderten Vorläufigkeitsvermerk beigefügt, der sich nicht (mehr) auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezog. Damit hat das FA den bisherigen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgehoben. Eine Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 war insoweit nicht mehr zulässig.
Ende der Entscheidung
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