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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: IX R 27/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 23 Abs. 3 Satz 5
EStG § 23 Abs. 3 Satz 7
Die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG) ist vor der Durchführung eines Verlustrücktrages i.S. von § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG) zu berücksichtigen (entsprechend BMF vom 25. Oktober 2004, BStBl I 2004, 1034, Tz. 52).
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, erzielten im Streitjahr (1999) u.a. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften, die sie durch den Rücktrag von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften des Folgejahres minderten. In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres ergaben sich danach für jeden der Kläger Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 999 DM. Diese unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) der Besteuerung, ohne die im Streitjahr geltende Freigrenze von 1 000 DM (§ 23 Abs. 3 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung --EStG a.F.--; jetzt § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG) zu berücksichtigen.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. sei nach einem Verlustrücktrag erneut zu prüfen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1529 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 3 Sätze 5 und 7 EStG a.F.; jetzt § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 9 EStG).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. erst bei den nach einem Verlustrücktrag geminderten Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften des Kalenderjahres zu berücksichtigen ist.

1. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. bleiben Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften steuerfrei, wenn der aus ihnen erzielte Gesamtgewinn im Kalenderjahr weniger als 1 000 Deutsche Mark betragen hat. Verluste dürfen nur bis zur Höhe des im gleichen Kalenderjahr vom Steuerpflichtigen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielten Gewinns ausgeglichen, aber nicht nach § 10d EStG abgezogen werden (§ 23 Abs. 3 Satz 6 EStG a.F.; jetzt § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG). Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG a.F. mindern die Verluste jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat oder erzielt.

2. Die Frage, ob das Überschreiten der Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. vor oder nach einem Verlustrücktrag i.S. von § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG a.F. zu prüfen ist, wird unterschiedlich beantwortet. Nach einer Ansicht ist die Freigrenze auf den Gesamtgewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften im Kalenderjahr vor der Durchführung des Verlustrücktrages anzuwenden mit der Folge, dass auch die durch einen Verlustrücktrag die Freigrenze unterschreitenden Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften der Besteuerung unterliegen (z.B. Schultze/Janßen, Finanz-Rundschau --FR-- 2002, 568; Wernsmann/Dechant, FR 2004, 1272; ebenso die Finanzverwaltung, vgl. Tz. 52 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 25. Oktober 2004 IV C 3 -S 2256- 238/04, BStBl I 2004, 1034). Die Gegenmeinung verneint steuerpflichtige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften, wenn die nach einem Verlustrücktrag im Kalenderjahr verbleibenden Einkünfte unter der Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. liegen (z.B. Walter/Stümper, Deutsches Steuerrecht 2002, 204; Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, Einkommensteuer- und Körperschaftssteuergesetz, § 23 EStG Anm. 321; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 23 Rz. 90; P. Fischer in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, 4. Aufl., § 23 Rn. 24).

3. Der Senat ist der Auffassung, dass die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. nur vor der Durchführung eines Verlustrücktrages i.S. von § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG a.F. zu berücksichtigen ist.

a) Hierfür spricht zum einen der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. Danach ist die Freigrenze auf den "Gesamtgewinn" anzuwenden, der "im Kalenderjahr" aus privaten Veräußerungsgeschäften "erzielt" wird. Hieraus wird deutlich, dass in die Beurteilung nur innerhalb des Kalenderjahres durchgeführte Veräußerungsvorgänge einzubeziehen sind. Der aus diesen erzielte Gesamtgewinn ergibt sich durch die Verrechnung der im Kalenderjahr aufgrund privater Veräußerungsgeschäfte i.S. von § 23 EStG a.F. angefallenen Gewinne und Verluste. Zwar käme bei wortgetreuer Auslegung des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. sogar die Prüfung der Freigrenze nur unter Berücksichtigung der Gewinne des Kalenderjahres in Betracht. Dem steht jedoch entgegen, dass im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften schon seit langen Jahren (zumindest) der Ausgleich von Gewinnen und Verlusten innerhalb des Kalenderjahres zulässig ist (vgl. zur Entwicklung der Besteuerung im Einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, unter II. 2. c aa (1)) und bei der Prüfung der Freigrenze berücksichtigt wird (so zur entsprechenden Regelung in § 42 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes vom 10. August 1925 --EStG 1925--, RGBl I, 189, z.B. Becker, Handkommentar der Reichssteuergesetze, II, 3. Teil, Bem. 11 zu § 42 EStG 1925; zur Regelung in § 23 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes vom 16. Oktober 1934 --EStG 1934--, RGBl I, 1005, z.B. Blümich, Das Einkommensteuergesetz, Anm. 8 zu § 23 EStG 1934; zu § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG n.F., z.B. Jansen in HHR, § 23 EStG Anm. 316).

b) Die Auslegung, dass die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. auf die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften vor der Durchführung eines Verlustrücktrages anzuwenden ist, entspricht auch dem Zweck der Vorschrift. Sie ist erstmals in § 42 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1925 enthalten und sollte der Vereinfachung der Besteuerung dienen (vgl. die Gesetzesbegründung zum EStG 1925, Drucksachen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924/25, Nr. 795, S. 60; ferner Becker, a.a.O.). Dem würde es widersprechen, die bei einem Verlustrück- oder -vortrag notwendigen Berechnungen und Änderungen in die Beurteilung einzubeziehen.

c) Auch die Systematik des § 23 EStG bestätigt dieses Ergebnis. § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. stellt auf den im Kalenderjahr erzielten Gesamtgewinn ab. § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG a.F. verdeutlicht, dass der Verlustausgleich innerhalb der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des gleichen Kalenderjahres zulässig ist, während die den Verlustabzug regelnde Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG a.F. an die "Einkünfte" des Vorjahres oder der nachfolgenden Jahre anknüpft. Dies setzt voraus, dass die Einkünfte bereits ermittelt sind; hierzu gehört als letzter Akt auch die Prüfung, ob die Freigrenze überschritten ist und im Kalenderjahr steuerpflichtige Einkünfte gegeben sind.

4. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze haben die Kläger im Streitjahr steuerpflichtige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt; denn diese haben nur wegen der Durchführung des Verlustrücktrages die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. unterschritten.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Klage wäre abzuweisen. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif. Die Kläger haben --nach ihrer Rechtsauffassung zutreffend-- den Verlustrücktrag auf den zum Unterschreiten der Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. notwendigen Teilbetrag beschränkt. Es bleibt ihnen aber unbenommen, entweder die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Streitjahr hinzunehmen, deren Berechtigung grundsätzlich anzuzweifeln oder ihr durch eine entsprechende Erhöhung des Verlustabzugs (Verlustrücktrages) soweit möglich die Grundlage zu entziehen. Zur Ausübung dieses Gestaltungsrechts wird die Sache an das FG zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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