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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.12.1999
Aktenzeichen: IX R 62/96
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 7 Abs. 4 | |
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 | |
EStG § 16 Abs. 3 | |
EStG § 16 Abs. 4 | |
EStG § 21 Abs. 1 Nr. 1 |
Der gemeine Wert ist auch dann AfA-Bemessungsgrundlage für ein nach Betriebsaufgabe vermietetes ehemaliges Betriebsgebäude, wenn der Aufgabegewinn wegen des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG nicht besteuert worden ist.
EStG § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 16 Abs. 3 und 4, § 21 Abs. 1 Nr. 1
Urteil vom 14. Dezember 1999 - IX R 62/96 -
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1997, 329)
Gründe
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie sind Eigentümer eines Grundstücks, auf dem der Kläger ursprünglich eine Bäckerei betrieb und das sie außerdem zum Teil privat nutzten. Der Kläger gab 1993 den Betrieb auf und vermietete das Grundstück. Der bei der Betriebsaufgabe vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ermittelte Aufgabegewinn wurde wegen des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht zur Einkommensteuer herangezogen.
Bei der Ermittlung ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr (1994) berechneten die Kläger die Absetzung für Abnutzung (AfA) für den ehemals betrieblichen Gebäudeteil nach dem bei der Betriebsaufgabe zugrunde gelegten gemeinen Wert. Das FA setzte als AfA-Bemessungsgrundlage demgegenüber nur den Buchwert an, mit der Begründung, der Aufgabegewinn habe nicht der Besteuerung unterlegen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 329).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG. Im Streitfall dürfe der bei der Betriebsaufgabe gemäß § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG anzusetzende gemeine Wert nicht den Anschaffungs- oder Herstellungskosten i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG gleichgesetzt werden, weil die stillen Reserven aufgrund der sachlichen Steuerbefreiung des § 16 Abs. 4 EStG nicht steuerlich erfasst worden seien. Wegen der Steuerbefreiung sei dem Kläger kein zusätzlicher Aufwand für das aus dem Betriebsvermögen ins Privatvermögen überführte Grundstück entstanden. Die Bemessungsgrundlage der weiteren AfA dürfe aber nicht höher sein als der Aufwand, der jemals für das entnommene Gebäude erwachsen ist (unter Berufung auf das Senatsurteil vom 3. Mai 1994 IX R 59/92, BFHE 174, 422, BStBl II 1994, 749). Durch diese Beurteilung werde entgegen der Ansicht des FG nicht die Besteuerung des Aufgabegewinns nachgeholt, sondern es werde lediglich vermieden, dass zusätzlich zu der steuerbefreiten Entnahme ein nicht entstandener Aufwand in Form der AfA steuermindernd berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Kläger den bei der Betriebsaufgabe angesetzten gemeinen Wert des betrieblichen Gebäudeteils als AfA-Bemessungsgrundlage herangezogen.
1. Zu den bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abziehbaren Werbungskosten gehören gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG auch die AfA für das Gebäude; Bemessungsgrundlage sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 7 Abs. 4 und 5 EStG). Wird ein Gebäude aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführt und vermietet, so ist § 7 Abs. 4 EStG nicht unmittelbar anwendbar, weil tatsächlich keine Anschaffung stattfindet. Statt dessen sind --in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 4 EStG-- fiktive Anschaffungskosten in der Höhe anzusetzen, in der bei der Ermittlung des Entnahmegewinns (§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) oder des Aufgabegewinns (§ 16 Abs. 1 und 3 EStG) kraft Gesetzes die stillen Reserven für das betriebliche Gebäude aufgelöst werden. Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG gilt als Veräußerung auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Aufgrund gesetzlicher Fiktion ist der Steuerpflichtige mithin so zu besteuern, als hätte er das in das Privatvermögen überführte Betriebsgebäude im Fall der Betriebsaufgabe zum gemeinen Wert (§ 16 Abs. 3 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung) an sich selbst veräußert. Die Bewertungsvorschriften, die zur Auflösung der stillen Reserven führen, ohne dass Einnahmen angefallen sind, bewirken auf der anderen Seite, dass zusätzliches AfA-Volumen ohne entsprechende Kosten entsteht (Thiel, Finanz-Rundschau --FR-- 1993, 321, 323).
Dementsprechend geht die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) davon aus, dass es dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die AfA (§§ 7 ff. EStG) entspricht, die Bemessungsgrundlage für die weiteren AfA eines vom Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsguts grundsätzlich mit dem Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) oder dem gemeinen Wert im Zeitpunkt der Überführung anzusetzen, mit dem das Gebäude bei der Überführung steuerlich erfasst wurde (BFH-Urteile vom 9. August 1983 VIII R 177/80, BFHE 139, 187, BStBl II 1983, 759; vom 2. Februar 1990 III R 173/86, BFHE 159, 505, BStBl II 1990, 497; vom 15. Dezember 1993 X R 158/90, BFH/NV 1994, 476; vom 29. April 1992 XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl II 1992, 969; in BFHE 174, 422, BStBl II 1994, 749).
2. Von dem vorgenannten Grundsatz hat die Rechtsprechung jedoch Ausnahmen gemacht.
a) Bei der Überführung eines Betriebsgrundstücks in das Privatvermögen sind als künftige AfA-Bemessungsgrundlage weiterhin die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zugrunde zu legen, wenn die stillen Reserven nicht steuerlich erfasst worden sind, etwa wenn eine Betriebsaufgabe zunächst nicht als solche erkannt worden ist und die Veranlagung aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden kann (Senatsurteile vom 10. Mai 1995 IX R 54/91, BFH/NV 1995, 1055; vom 10. Mai 1995 IX R 68/93, BFH/NV 1995, 1056) oder wenn für das Jahr der Betriebsaufgabe Verjährung eingetreten ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 476; Senatsurteile vom 3. Mai 1994 IX R 153/88, BFH/NV 1995, 19; vom 27. Juni 1995 IX R 11/93, IX R 12/93, BFH/NV 1996, 319). In derartigen Fällen können anlässlich der Betriebsaufgabe die Vorschriften über die Auflösung der stillen Reserven (§ 16 Abs. 3 EStG) nicht (mehr) angewendet werden. Wenn aber die gesetzliche Fiktion eines Veräußerungsgeschäfts (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG) im Einzelfall nicht tatsächlich umgesetzt werden kann, entfällt die Rechtfertigung für den Ansatz fiktiver Anschaffungskosten als künftige AfA-Bemessungsgrundlage.
b) Ferner hat der erkennende Senat als AfA-Bemessungsgrundlage nicht den Teilwert im Zeitpunkt der Entnahme, sondern die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten herangezogen, wenn der Steuerpflichtige eine eigengenutzte, zum land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehörende Wohnung gemäß § 52 Abs. 15 Sätze 6 und 7 EStG i.d.F. des Wohneigentumsförderungsgesetzes (WohneigFG) vom 15. Mai 1986 (BGBl I 1986, 730, BStBl I 1986, 278) erfolgsneutral aus dem Betriebsvermögen entnommen und anschließend vermietet hatte (Senatsurteile in BFHE 174, 422, BStBl II 1994, 749; vom 21. Juni 1994 IX R 24/92, BFH/NV 1995, 287).
3. Wird bei einer Betriebsaufgabe gemäß § 16 Abs. 3 EStG unter Auflösung der stillen Reserven ein Aufgabegewinn ermittelt, bleibt dieser aber aufgrund der Freibetragsregelung des § 16 Abs. 4 EStG im Ergebnis steuerfrei, so ist für ein ehemaliges Betriebsgebäude, das nunmehr vermietet wird, als AfA-Bemessungsgrundlage der gemeine Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe anzusetzen. Mit diesem Wert ist das Gebäude bei der Betriebsaufgabe steuerlich erfasst, d.h. bei der Ermittlung des Aufgabegewinns gemäß § 16 Abs. 3 EStG berücksichtigt worden. Dass im Ergebnis keine Steuer angefallen ist, weil der Aufgabegewinn den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG nicht überstiegen hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Entscheidend ist, dass die Vorschriften über die Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) im konkreten Fall angewandt und die stillen Reserven aufgelöst worden sind. Da die gesetzliche Veräußerungsfiktion des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG eingreift, sind auch fiktive Anschaffungskosten in Höhe des gemeinen Werts anzusetzen.
Daraus ergibt sich entgegen der Auffassung des FA keine doppelte Begünstigung des Steuerpflichtigen. Der Ansatz des gemeinen Werts als AfA-Bemessungsgrundlage ist Rechtsfolge der gesetzlichen Veräußerungsfiktion. Bei Anwendung der Freibetragsregelung des § 16 Abs. 4 EStG besteht der Vorteil des Steuerpflichtigen allein in der (partiellen) Steuerfreiheit des Aufgabegewinns. Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Verschonung kleinerer Aufgabegewinne würde, worauf das FG zutreffend hinweist, durch die Verringerung der AfA teilweise rückgängig gemacht, wenn der nach dem Gesetz gebotene Ansatz des gemeinen Werts als AfA-Bemessungsgrundlage unterbliebe (vgl. auch Thiel, FR 1993, 321, 325).
Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von seinen Urteilen in BFHE 174, 422, BStBl II 1994, 749 und in BFH/NV 1995, 287 ab. Zwar schreibt § 52 Abs. 15 Satz 6 EStG i.d.F. des Wohneigentumsförderungsgesetzes ebenfalls die Auflösung stiller Reserven (in diesem Fall in Form einer fiktiven Entnahme) vor, und Satz 7 der Vorschrift stellt zugleich den Entnahmegewinn insgesamt steuerfrei. Diese Regelung ist jedoch mit der Besteuerung des Aufgabegewinns gemäß § 16 Abs. 3, 4 EStG nicht vergleichbar. Sie dient nicht der zutreffenden Einkünfteermittlung und Besteuerung stiller Reserven, sondern stellt lediglich rechtstechnisch sicher, dass für selbstgenutzte Wohnungen im landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Übergang von der Nutzungswertbesteuerung (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 2 EStG) zur sog. Konsumgutlösung erfolgsneutral geschieht. Der Streitfall bietet daher keinen Anlass, sich mit der im Schrifttum gegen die vorgenannten Senatsurteile erhobenen Kritik (Blümich/Brandis, Einkommensteuergesetz, § 7 Rz. 267; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl. 1999, § 7 Rz. 68, § 10e Rz. 244; vgl. ferner Thiel, FR 1993, 321, 325; zweifelnd auch Stuhrmann in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 7 Rz. 91 a.E.) auseinander zu setzen.
4. Im Streitfall hat das FG danach zutreffend den gemeinen Wert als AfA-Bemessungsgrundlage berücksichtigt, weil der vom Kläger erzielte Aufgabegewinn nach § 16 Abs. 3 EStG aufgedeckt, bei der Gewinnermittlung angesetzt und lediglich aufgrund des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG nicht besteuert worden war.
Ende der Entscheidung
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