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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: IX R 62/98
Rechtsgebiete: EStDV


Vorschriften:

EStDV § 82i
Erfasst die von der Denkmalbehörde nach § 82i Abs. 2 EStDV (heute: § 7i Abs. 2 EStG) erteilte Bescheinigung Tatbestandsmerkmale, die zugleich denkmalschutzrechtliche und steuerrechtliche Bedeutung haben, so ist die in der Bescheinigung zum Ausdruck kommende denkmalschutzrechtliche Beurteilung (hier: der Wiederherstellung eines eingestürzten Hauses) auch steuerrechtlich bindend.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin erwarb 1976 für 50 000 DM ein als unbebautes Grundstück bewertetes Anwesen mit einem 1973 eingestürzten alten Bauernhaus. Die Kläger ließen das Wohngebäude mit Scheune für rd. 917 000 DM wiederherstellen und machten in den Jahren 1979 bis 1988 für Aufwendungen von insgesamt 709 968 DM erhöhte Absetzungen gemäß § 82i der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) geltend. Der Regierungspräsident als damals zuständige Denkmalbehörde erteilte unter dem 8. Mai 1980 folgende Bescheinigung:

"Es wird hiermit bescheinigt, daß Ihr Gebäude, Wohnhaus mit Scheune ... in ... ein Baudenkmal lt. Gutachten des Landeskonservators vom 16. 12. 75 ist.

Die hieran durchgeführten Arbeiten, Rekonstruktion und Wiederherstellung des alten Zustandes, die zu Aufwendungen von 709 968,28 DM geführt haben, waren im Sinne von §§ 82 i und k EStDV nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes (Gebäudeteils) als Baudenkmal und zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich.

Die anerkannten Aufwendungen sind in den beiliegenden Abdrucken der Rechnungen von mir gekennzeichnet. (violett) = Zusammenstellung der Rechnungen; die Originalbelege haben mir vorgelegen.

Diese Bescheinigung dient zur Vorlage beim Finanzamt."

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die erhöhten Absetzungen zunächst antragsgemäß, bezweifelte aber später nach einer erneuten Überprüfung deren Voraussetzungen. Einen daraufhin gestellten Antrag auf Eintragung des Gebäudes in die Denkmalliste lehnte die Gemeinde als nunmehr zuständige untere Denkmalbehörde im Jahr 1991 ab, weil es sich um einen Ersatzbau handele.

Das FA versuchte, die Bescheinigung vom 8. Mai 1980 durch die zuständige Denkmalbehörde widerrufen zu lassen. Das Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen hielt einen solchen Widerruf lediglich mit Wirkung für die Zukunft für rechtmäßig und sah von einem Widerrufsverfahren ab, weil der Begünstigungszeitraum gemäß § 82i EStDV bereits abgelaufen war.

Das FA hielt gleichwohl die Voraussetzungen des § 82i EStDV nicht für gegeben und änderte die Steuerbescheide für die Streitjahre (1984, 1987 und 1988) entsprechend.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage mit Rücksicht auf die Bindungswirkung der Bescheinigung vom 8. Mai 1980 statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 82i EStDV. Diese Vorschrift fördere nur Baumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude. Ob es sich bei einem Bauwerk um ein Gebäude handele, sei keine denkmalrechtliche, sondern eine steuerrechtliche Frage. Der Finanzverwaltung stehe eine eigene Kompetenz für die Prüfung zu, ob durch die Baumaßnahmen ein neues Wirtschaftsgut entstanden sei. Sie sei an eine Bescheinigung nicht gebunden, die sich nicht auf ein Gebäude, sondern auf eine Ruine beziehe.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteils des FG abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA unter dem 9. November 1999 aus den Streitstoff nicht betreffenden Gründen für die Streitjahre Änderungsbescheide erlassen, die nach §§ 121, 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung zum Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Änderungsbescheide vom 9. November 1999 sind entsprechend dem Klageantrag der Kläger abzuändern. Das FG hat zu Recht die von der Denkmalbehörde erteilte Bescheinigung für bindend gehalten und den Klägern erhöhte Absetzungen nach § 82i EStDV zuerkannt.

1. Nach § 82i Abs. 1 Satz 1 EStDV in der bis 31. Dezember 1990 geltenden Fassung kann der Steuerpflichtige bei einem Gebäude, das nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften ein Baudenkmal ist, von den Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal und zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind, unter weiteren hier nicht strittigen Voraussetzungen im Jahr der Herstellung und in den neun folgenden Jahren jeweils 10 v.H. absetzen. Die erhöhten Absetzungen können jedoch nur in Anspruch genommen werden, wenn der Steuerpflichtige die Voraussetzungen des Absatzes 1 für das Gebäude und die Erforderlichkeit der Herstellungskosten durch eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachgewiesen hat (§ 82i Abs. 2 EStDV).

a) Nach Wortlaut und Zielsetzung dieser Vorschrift und der ihr zugrunde liegenden Ermächtigungsnorm des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. y des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind nur Herstellungskosten an als Baudenkmal geschützten, bestehenden Gebäuden begünstigt, nicht hingegen der Wiederaufbau von Gebäuden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Oktober 1996 IX R 47/92, BFHE 181, 312, BStBl II 1997, 176, mit Nachweisen aus den Gesetzesmaterialien). Danach stünden den Klägern keine erhöhten Absetzungen zu, weil sie nach den Feststellungen des FG ein als unbebautes Grundstück bewertetes Anwesen mit einem eingestürzten Haus erworben und ein vollständig neues Gebäude errichtet haben.

b) Gleichwohl hat das FG den Klägern die strittigen erhöhten Absetzungen zu Recht zuerkannt, weil die damals zuständige Denkmalbehörde die denkmalrechtlichen Voraussetzungen des § 82i EStDV unter dem 8. Mai 1980 bindend bescheinigt hat.

aa) Bei der Bescheinigung nach § 82i Abs. 2 EStDV handelt es sich um einen Grundlagenbescheid (§§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--), dessen verbindliche Feststellungen sich auf die Tatbestände des zum Landesrecht gehörenden Denkmalrechts beschränken, nämlich die Denkmaleigenschaft des Gebäudes, sowie darauf, ob die Aufwendungen nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal und zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind. Der Grundlagenbescheid i.S. der § 82i Abs. 2 EStDV, § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. y Satz 2 EStG ist nur insoweit bindend, als er den Nachweis dieser denkmalschutzrechtlichen Voraussetzungen des § 82i Abs. 1 EStDV erbringt. Über das Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale der steuerrechtlichen Vorschrift haben die Finanzbehörden hingegen in eigener Zuständigkeit zu entscheiden (BFH-Urteil in BFHE 181, 312, BStBl II 1997, 176). Erfasst die Bescheinigung Tatbestandsmerkmale, die zugleich denkmalschutzrechtliche und steuerrechtliche Bedeutung haben, so ist die in der Bescheinigung zum Ausdruck kommende denkmalschutzrechtliche Beurteilung auch steuerrechtlich bindend, weil andernfalls der Normzweck des § 82i EStDV, denkmalschutzrechtlich erforderliche Investitionen zu begünstigen, durch eine abweichende steuerrechtliche Beurteilung der Finanzbehörden unterlaufen werden könnte (vgl. auch das zu § 7h EStG ergangene BFH-Urteil vom 21. August 2001 IX R 20/99, BFHE 196, 191).

bb) Wie weit die Bindungswirkung der Bescheinigung im Einzelfall reicht, d.h. welche Sachverhaltselemente einer denkmalschutzrechtlichen Beurteilung unterzogen werden und wie diese lautet, hängt vom jeweiligen Inhalt der Bescheinigung ab. Als Verwaltungsakt wird die Bescheinigung mit dem Inhalt wirksam, mit dem sie bekannt gegeben worden ist (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, § 43 des Verwaltungsverfahrensgesetzes). Ihr Regelungsinhalt ist erforderlichenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen --seinem "objektiven Verständnishorizont"-- den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH-Urteile vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791; vom 30. November 1999 IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678).

cc) Nach diesen Maßstäben sind die denkmalschutzrechtlichen Voraussetzungen für das von den Klägern wiederaufgebaute Haus gemäß § 82i Abs. 2 EStDV bindend bescheinigt.

Die den Klägern erteilte Bescheinigung, dass ihr Gebäude ein Baudenkmal sei, bezog sich nach ihrem Wortlaut (... Ihr Gebäude, Wohnhaus mit Scheune ... in ... -Adresse-), nach ihrem Ausstellungsdatum (8. Mai 1980, nach Abschluss der Bauarbeiten) sowie aufgrund der Mitteilung, dass die Originalbelege (der abgeschlossenen Baumaßnahmen) der Denkmalbehörde vorgelegen hatten, offensichtlich auf das von den Klägern wieder aufgebaute (neu errichtete) Haus und nicht, wie das FA meint, auf die ursprünglich erworbene Ruine. Nur so konnten die Kläger den Inhalt der Bescheinigung verstehen, auch wenn darin zur Begründung das Gutachten des Landeskonservators vom 16. Dezember 1975 angeführt war.

Auch die zweite denkmalschutzrechtliche Aussage der Bescheinigung, dass die an dem neu errichteten Gebäude ("hieran") durchgeführten Arbeiten, Rekonstruktion und Wiederherstellung des alten Zustandes, nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal und zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich seien, bezog sich ersichtlich auf das neue Gebäude der Kläger und die zu seiner Errichtung durchgeführten Baumaßnahmen.

Die von der ursprünglich zuständigen Denkmalbehörde der Bescheinigung zugrunde gelegte Rechtsauffassung, nach der auch ein Wiederaufbau (Neubau) ein Baudenkmal sein kann und die Aufwendungen für seine Errichtung zur Erhaltung als Baudenkmal erforderlich sein können, ist, wie aus der vom FG wiedergegebenen Auffassung der später zuständig gewordenen unteren Denkmalbehörde hervorgeht, denkmalschutzrechtlich unzutreffend. Sie widerspricht zugleich der aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 82i EStDV abzuleitenden steuerrechtlichen Beurteilung, dass der Wiederaufbau von Gebäuden nicht begünstigt sein soll (s. oben II. 1. a). Die in der Bescheinigung zum Ausdruck kommende denkmalschutzrechtliche Auffassung ist jedoch für das FA bindend, da der Versuch, die Bescheinigung widerrufen zu lassen, erfolglos geblieben ist. Dieser Bindungswirkung würde es widersprechen, steuerrechtlich die Voraussetzungen des § 82i EStDV für das Haus der Kläger mit der Begründung zu verneinen, es handele sich um einen Neubau, obwohl dieser Neubau denkmalschutzrechtlich als Baudenkmal eingestuft worden ist und die Herstellungskosten als zur Erhaltung des Baudenkmals erforderlich beurteilt worden sind.

dd) Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich aus dem BFH-Urteil in BFHE 181, 312, BStBl II 1997, 176 keine andere Beurteilung. In jenem Urteilsfall hatte die Denkmalbehörde in der Bescheinigung eine Wasserburg als Baudenkmal beurteilt und die "hieran" durchgeführten Arbeiten, u.a. Arbeiten an Außenanlagen und die Errichtung einer Tiefgarage, als zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal und zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich angesehen. Die Außenanlagen und die von der Wasserburg baulich getrennte Tiefgarage waren aber nicht Bestandteile des Baudenkmals "Wasserburg", sondern gesonderte Wirtschaftsgüter, so dass die bescheinigten Arbeiten insoweit nicht an dem Baudenkmal ("hieran") durchgeführt worden waren. Für diese Frage, die nicht denkmalschutzrechtlicher Natur war, entfaltete die Bescheinigung keine Bindungswirkung. Im Streitfall sind hingegen die Arbeiten, die nach der Bescheinigung gemäß § 82i Abs. 2 EStDV zur Erhaltung und sinnvollen Nutzung des Baudenkmals erforderlich waren, an diesem Baudenkmal, nämlich dem Neubau der Kläger, ausgeführt worden.

2. Da mithin den Klägern die beantragten erhöhten Absetzungen nach § 82i EStDV zustehen, sind die Änderungsbescheide vom 9. November 1999, die den Gegenstand des Revisionsverfahrens bilden, entsprechend abzuändern. Außerdem sind die Kinderfreibeträge in der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe gemäß § 53 EStG in der ab 2000 geltenden Fassung zu berücksichtigen.

Ende der Entscheidung

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