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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: IX R 65/97
Rechtsgebiete: ZPO, FGO


Vorschriften:

ZPO § 160 Abs. 4
ZPO § 164
FGO § 68 Satz 3
FGO § 68
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 55 Abs. 2 Satz 1
FGO § 68 Satz 1
FGO § 94
FGO § 55 Abs. 2
FGO § 77 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 1994 haben die Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 31. Mai 1994 Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 2. Februar 1995 die Einkommensteuerfestsetzung geändert. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält lediglich den Hinweis auf die Möglichkeit des Einspruchs, jedoch keinen Hinweis gemäß § 68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Gegen diesen Änderungsbescheid hat der Kläger persönlich mit Schreiben vom 23. Februar 1995 Einspruch eingelegt.

In der Einkommensteuersache 1987 fand am 22. Oktober 1996 vor dem Finanzgericht (FG) eine mündliche Verhandlung statt. Das Gericht wies darauf hin, dass noch ein Einspruchsverfahren anhängig sei und das gerichtliche Verfahren bis zur Entscheidung über den Einspruch ausgesetzt werden müsse. Es setzte daraufhin das Verfahren bis vier Wochen nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Einspruch aus.

Mit Einspruchsentscheidung vom 21. November 1996 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung weist das FA darauf hin, dass gegen die Einspruchsentscheidung Klage beim FG Düsseldorf erhoben werden könne. Klage wurde nicht erhoben. Mit Schriftsatz vom 25. November 1996 beantragten die durch den Prozessbevollmächtigten vertretenen Kläger, den "durch Einspruchsentscheidung bestätigten Änderungsbescheid der Beklagten gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen".

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:

Die Kläger seien durch den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid nicht mehr beschwert, weil er durch den Änderungsbescheid vom 2. Februar 1995 ersetzt und unwirksam geworden sei. Der Änderungsbescheid sei bestandskräftig. Die Klägerin habe dagegen keinen Einspruch eingelegt und der Kläger habe gegen die Einspruchsentscheidung vom 21. November 1996 keine Klage erhoben. Der geänderte Einkommensteuerbescheid sei auch nicht gemäß § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand gemacht worden. Der Antrag vom 25. November 1996 sei verspätet. Die Frist habe zwar wegen des mangelnden Hinweises auf § 68 FGO im Änderungsbescheid ein Jahr betragen (§ 55 Abs. 2 FGO), diese Jahresfrist sei jedoch um mehr als neun Monate überschritten, ohne dass Wiedereinsetzungsgründe vorlägen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) habe zwar früher entschieden, dass der Änderungsbescheid bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht werden könne. Diese Rechtsprechung sei jedoch durch die ab 1993 gültige Einführung der Monatsfrist in § 68 FGO überholt. Würde man zulassen, dass die Einspruchsentscheidung über § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand gemacht wird, wäre damit der ändernde Verwaltungsakt, der mit dem Einspruch angefochten wurde, letztlich doch wieder in das alte Klageverfahren eingeführt, selbst wenn die vom Gesetzgeber statuierte Monatsfrist/Jahresfrist bei weitem überschritten sei.

Mit der Revision rügen die Kläger Verstoß gegen § 68 und § 76 Abs. 2 FGO.

1. § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO sei weder nach dem Wortlaut noch nach der Rechtssystematik der Finanzgerichtsordnung auf den Antrag gemäß § 68 Satz 1 FGO entsprechend anwendbar. Der Große Senat habe in seiner Entscheidung vom 8. November 1971 GrS 9/70 (BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219) entschieden, dass der Antrag gemäß § 68 FGO bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden könne. Diese Entscheidung sei entgegen der Ansicht des FG durch die seit 1993 geänderte Fassung des § 68 FGO nicht überholt. Der BFH habe im Urteil vom 24. Januar 1995 IX R 22/94 (BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328, 329) zwar entschieden, dass § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO für den Antrag nach § 68 Satz 1 FGO entsprechend anwendbar sei. Diese Entscheidung sei aber zugunsten des Steuerpflichtigen ergangen; aus ihr könne nicht geschlossen werden, dass die alte Rechtsprechung überholt sei, denn die Jahresfrist nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO habe bereits vor der Änderung des § 68 FGO gegolten. Danach sei § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO allenfalls in der Weise entsprechend anwendbar, dass die Jahresfrist mindestens gewährt werde. Möglicherweise habe der Gesetzgeber in § 68 FGO auf einen Hinweis auf § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO verzichtet, weil er davon ausgegangen sei, dass die Rechtsprechung weiter gelte. Die Einschränkung durch das FG sei eine unzulässige, in die Gesetzgebung übergreifende Rechtsfortbildung zum Nachteil des Steuerpflichtigen.

2. Das FG habe wiederholt gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßen: Schon nach Übersendung des Änderungsbescheids hätte es bei den Klägern auf einen Antrag gemäß § 68 Satz 1 FGO hinwirken müssen. Es hätte in jedem Fall später auf die wegen fehlenden Hinweises nach § 68 Satz 3 FGO nunmehr einschlägige Jahresfrist hinweisen müssen. In der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 1996 habe das FG noch die Auffassung vertreten, dass der Antrag nach § 68 Satz 1 FGO nach Ergehen der damals noch ausstehenden Einspruchsentscheidung möglich sei. Folgerichtig sei dann auch das Verfahren vor dem FG ausgesetzt worden. Dies zeige, dass das FG das Verfahren nach Ergehen der Einspruchsentscheidung habe fortsetzen und über die Klage gegen den Änderungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung als neuen Gegenstand des Verfahrens habe entscheiden wollen. Im Vertrauen darauf sei der Antrag am 25. November 1996 gestellt worden.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Antragstellung nach § 68 FGO stelle eine besondere Form der Klageänderung dar, die die Anwendung des § 55 FGO und insbesondere die Regelungen bei fehlender Belehrung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO eröffne und deshalb eine ausdrückliche Regelung im Rahmen des § 68 FGO erübrige.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Zu Recht hat das FG die Klage der Klägerin als unzulässig abgewiesen, denn ihr fehlt das Rechtsschutzinteresse. Nachdem der Einkommensteuerbescheid 1987 vom 1. Juli 1992, gegen den die Kläger Klage erhoben haben, durch den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 2. Februar 1995 ersetzt worden ist, wird die Klägerin durch den ursprünglichen Bescheid nicht mehr beschwert (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Sie hat weder beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens zu machen (§ 68 Satz 1 FGO), noch Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt. Damit ist ihr gegenüber der Änderungsbescheid bestandskräftig geworden und endgültig an die Stelle des geänderten Bescheids getreten. Die Klage gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid ist danach unzulässig geworden (BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 1994 IV R 26/91, BFH/NV 1995, 245, und vom 14. März 1996 XI B 121/91, BFH/NV 1996, 630; vgl. auch Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 68 FGO Rz. 31).

2. Das FG hat auch die Klage des Klägers zu Recht als unzulässig abgewiesen, nachdem er gegen die Einspruchsentscheidung vom 21. November 1996 keine Klage erhoben hat und damit der Änderungsbescheid vom 2. Februar 1995 bestandskräftig geworden und zugleich endgültig an die Stelle des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids getreten ist.

Das FG hat zu Recht den Antrag des Klägers vom 25. November 1996, den durch "die Einspruchsentscheidung bestätigten Änderungsbescheid" gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, als verspätet zurückgewiesen.

a) Der Antrag gemäß § 68 Satz 1 FGO war innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Änderungsbescheids zu stellen (§ 68 Satz 2 FGO). Das ist unstreitig nicht geschehen. Der erkennende Senat teilt die Ansicht des FG, dass der Antrag auch dann nicht bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden kann, wenn der Änderungsbescheid den Hinweis gemäß § 68 Satz 3 FGO nicht enthält. Diesen Zeitpunkt hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 24. April 1990 IX R 321/87 (BFHE 160, 415, BStBl II 1990, 865) unter der Voraussetzung benannt, dass der Antrag gemäß § 68 FGO nicht fristgebunden sei. Seit dem 1. Januar 1993 (vgl. Art. 1 Nr. 12 des FGO-Änderungsgesetzes --FGOÄndG-- vom 21. Dezember 1992, BGBl I, 2109) ist der Antrag jedoch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zu stellen. Es würde der Absicht des Gesetzgebers, sobald wie möglich Klarheit darüber zu schaffen, in welchem Verfahren der Rechtsstreit weiter geführt werden soll (BTDrucks 12/1061, S. 15), widersprechen, wenn gegen den Änderungsbescheid nacheinander sowohl Einspruch eingelegt als auch der Antrag nach § 68 Satz 1 FGO gestellt werden könnte.

b) Nachdem der Änderungsbescheid einen Hinweis gemäß § 68 Satz 3 FGO nicht enthielt, hätten die Kläger den Antrag gemäß § 68 Satz 1 FGO innerhalb der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO stellen können (BFH-Urteil in BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Auch das ist nicht geschehen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Ausschlussfrist kommt hier nicht in Betracht (Ausnahmen nur unter der Voraussetzung des § 55 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO, vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 55 FGO Tz. 29 ff.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 55 Anm. 28: "Höchstfrist"; Brandt in Beermann, a.a.O., § 55 FGO Rz. 51, 52; vgl. auch Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 56 FGO Rz. 408).

c) Die Kläger behaupten, das FG habe ihnen in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 1996 gesagt, ein Antrag nach § 68 Satz 1 FGO könne erst dann gestellt werden, wenn die Einspruchsentscheidung ergangen sei. Der Senat kann jedoch nicht davon ausgehen, dass das FG dies tatsächlich gesagt hat. Die Behauptung der Kläger wird durch das Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht bestätigt. Die Kläger hätten zum Nachweis ihrer Behauptung gemäß § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Ergänzung oder gemäß § 164 ZPO die Berichtigung des Protokolls anregen müssen. Solange das Protokoll nicht auf diese Weise ergänzt oder berichtigt wurde, kann der Senat nicht davon ausgehen, dass es falsch oder unvollständig ist. Im Übrigen könnte ein derartiger unrichtiger Hinweis nicht zu einer Verlängerung der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO führen, weil keine der Ausnahmen des § 55 Abs. 2 FGO gegeben wäre.

d) Das FG hat schließlich auch nicht § 76 Abs. 2 FGO verletzt. Das FG war nach Ergehen des Änderungsbescheids nicht verpflichtet, die durch einen Berater vertretenen Kläger auf die Frist des § 68 Satz 2 FGO hinzuweisen. Zum einen hatte das FA dem FG entgegen § 77 Abs. 3 FGO keine Abschrift des Änderungsbescheids übersandt. Zum anderen war in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 1996 die Frist des § 55 Abs. 2 FGO bereits abgelaufen, ein Hinweis auf § 68 FGO damit überflüssig. Aus der Aussetzung des Verfahrens durch das FG haben die Kläger auch zu Unrecht geschlossen, ein Antrag nach § 68 FGO sei noch nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zulässig; die Aussetzung des Verfahrens vor dem FG war vielmehr für den Fall des Einspruchs gegen den Änderungsbescheid in jedem Fall geboten bis feststand, ob der Änderungsbescheid aufgehoben oder bestandskräftig geworden ist (BFH-Beschlüsse in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658).

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