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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.10.2003
Aktenzeichen: IX R 68/98
(2)
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 108 Abs. 3 | |
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1 |
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte gegen die Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1995 jeweils Einspruch ein. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) wies die Einsprüche zurück. Die Einspruchsentscheidung ist nach dem in den Steuerakten enthaltenen Abgangsvermerk am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden. Die dagegen erhobene Klage ging beim Finanzgericht (FG) am 22. Januar 1998 ein.
Auf den Hinweis des FA, dass die Klage unzulässig sei, und den Hinweis des Berichterstatters des FG, dass die Klagefrist von einem Monat am 21. Januar 1998 geendet habe, führte der Kläger aus: Die Einspruchsentscheidung sei seinem Bevollmächtigten tatsächlich erst am 22. Dezember 1997 zugegangen und mit dem Eingangsstempel der Kanzlei versehen worden. Die Post werde über das Postfach des Bevollmächtigten beim örtlichen Postamt zugestellt. Das Postfach werde von Montag bis Freitag jeweils nach Dienstbeginn (9.00 Uhr) geleert. Am Freitag, dem 19. Dezember 1997, habe die Einspruchsentscheidung morgens noch nicht im Postfach gelegen (Beweis: Zeugnis einer namentlich benannten Kanzleimitarbeiterin). Sie sei erst am folgenden Montag zugegangen; denn eine in das Postfach des Adressaten eingelegte Briefsendung sei in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem das Postfach normalerweise geleert werde.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Klagefrist sei bereits am 21. Januar 1998 abgelaufen, weil die Einspruchsentscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) als am Sonntag, dem 21. Dezember 1997, bekannt gegeben gelte. Die Einspruchsentscheidung sei am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden. Der Kläger könne die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht dadurch widerlegen, dass im Betrieb seines Bevollmächtigten sonnabends nicht gearbeitet und das Postschließfach nur arbeitstäglich von montags bis freitags geleert werde. Das Einlegen eines Briefes in ein Postfach sei nicht anders zu beurteilen als die Auslieferung in der Wohnung oder der Einwurf in einen Hausbriefkasten. Es gebe auch keinen Grund zu der Annahme, dass die Einspruchsentscheidung nicht spätestens am Sonnabend, dem 20. Dezember 1997, in das Postfach eingelegt worden sei. Nach Auskunft der Post erreichten 94 v.H. aller Briefe den Empfänger am nächsten Tag, 98 v.H. am übernächsten Tag; Sendungen würden in die Postfächer morgens zwischen 7.00 Uhr und 9.00 Uhr eingelegt, auch samstags, jedoch nicht sonntags.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer entsprechend den Steuererklärungen herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat die am 22. Januar 1998 bei Gericht eingegangene Klage zu Unrecht als verspätet abgewiesen, weil es davon ausgegangen ist, dass die Einspruchsentscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 am Sonntag, dem 21. Dezember 1997, als bekannt gegeben gilt.
1. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Fällt der dritte Tag dieses Dreitageszeitraums auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet dieser Zeitraum gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags mit der Folge, dass der Verwaltungsakt an diesem Werktag als bekannt gegeben gilt.
a) Gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 endet, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags.
aa) Der Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist eine "Frist" in diesem Sinne.
Der Begriff der "Frist" bedeutet nach dem Sprachgebrauch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einen abgegrenzten, bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum (Urteil des Reichsgerichts vom 8. Juni 1928 III 426/27, RGZ 120, 356, 362). Eine Frist kann den unterschiedlichsten Zwecken dienen (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 186 Rn. 3). Im Prozessrecht wird der Begriff der Frist hingegen enger verstanden: Danach ist zu unterscheiden zwischen Fristen im engeren Sinne (eigentlichen Fristen) zur Vornahme einer Parteihandlung oder Vorbereitung auf einen Termin und uneigentlichen Fristen, für die allein der Ablauf einer bestimmten Zeitspanne entscheidend ist und die den prozessrechtlichen Normen für Fristen nicht unterstehen (Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, S. 398; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 54 Rz. 3 f.).
Für die Auslegung des § 108 AO 1977 ist, wie aus der Verweisung auf die Fristbestimmungen des BGB in Abs. 1 der Vorschrift hervorgeht, der weitere Fristbegriff des Bürgerlichen Rechts maßgebend. Danach ist der Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 eine "Frist" i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977, weil es sich um einen abgegrenzten, durch das Gesetz bestimmten Zeitraum handelt, der mit einem bestimmten Ereignis (Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post) beginnt und am dritten Tag danach mit dem fingierten Zugang des Verwaltungsaktes endet.
Im Übrigen ist auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) --allerdings ohne daraus entsprechende Rechtsfolgen abzuleiten-- beiläufig davon ausgegangen, dass es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um eine "Frist" handelt ("Dreitagesfrist": BFH-Urteile vom 12. August 1981 I R 140/78, BFHE 134, 213, BStBl II 1982, 102; vom 23. Oktober 1986 IV R 21/85, BFH/NV 1987, 412; vom 6. September 1989 II R 233/85, BFHE 158, 297, BStBl II 1990, 108; vom 8. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850; vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828; Beschlüsse des BFH vom 12. August 1998 IV B 145/97, BFH/NV 1999, 286; vom 20. Januar 1999 IV B 28/98, BFH/NV 1999, 905; vom 28. Februar 2001 X B 162/00, BFH/NV 2001, 747; "am letzten Tag der Frist": BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 97/95, BFH/NV 1997, 90).
bb) Dieses Auslegungsergebnis wird durch einen Vergleich der Vorschrift des § 108 AO 1977 mit der ihr vorangehenden Regelung des § 82 der Reichsabgabenordnung (RAO) bestätigt. Während die Regelung des § 82 RAO i.V.m. § 193 BGB eine Verlängerung der an einem Sonntag, Feiertag oder Sonnabend ablaufenden Fristen nur dann vorsah, wenn eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken war, enthält § 108 Abs. 3 AO 1977 in Anlehnung an § 31 Abs. 3 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes --VwVfG-- (vgl. dazu BTDrucks 7/910, S. 54) diese Einschränkung nicht mehr, sondern erfasst alle Arten von Fristen. Der Zweck des § 193 BGB, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 193 Rn. 1), wird mithin durch § 108 Abs. 3 AO 1977 (und § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG; ebenso § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 54 Abs. 2 FGO) auf alle Arten von Fristen erstreckt.
cc) Gleichwohl hat die Rechtsprechung des BFH bisher die Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 auf die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht angewendet (zweifelnd allerdings Beschluss des BFH vom 24. November 1983 IV B 40/81, juris). Zur Begründung ist angeführt worden, § 108 Abs. 3 AO 1977 habe gegenüber der früheren Rechtslage nichts geändert. Die Vorschrift gelte zwar nun für alle Fristen, aber nicht für Zeiträume, innerhalb derer wie bei § 122 Abs. 2 AO 1977 das Gesetz aus Praktikabilitätsgründen für einen Vorgang eine pauschalierte Zeitdauer vermutet, denn dabei handele es sich um keine Frist, sondern um eine widerlegliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises, die durch schlüssig begründetes Vorbringen entkräftet werden könne (BFH-Urteil vom 5. März 1986 II R 5/84, BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462).
Gegen diese Argumentation spricht, dass § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht allein den fiktiven Zeitpunkt der Bekanntgabe, also einen Zeitpunkt, regelt (so aber Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., München 2003, § 122 Rz. 52; Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 108 AO Rz. 41 f.; Schwarz, Abgabenordnung, § 108 Rz. 2; Schaffhausen in Pump/Lohmeyer, Abgabenordnung, § 108 RdNr. 45 f.; im Ergebnis auch Haarmann/ Schmieszek, Rechtsschutz in Steuer- und Abgabensachen, F. 12101 Rn. 111) und auch nicht allein eine Bekanntgabevermutung beinhaltet. Vielmehr begründet die Vorschrift nach der Rechtsprechung des BFH darüber hinaus besondere Substantiierungspflichten für den Steuerpflichtigen. Da nach der Rechtsprechung der einfache Vortrag des Steuerpflichtigen, er habe den Verwaltungsakt erst nach Ablauf der Dreitagesfrist erhalten, zur Erschütterung der Zugangsvermutung nicht ausreicht, zwingt § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 den Steuerpflichtigen dazu, die Zugangsvermutung für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist durch substantiierte Angaben zu erschüttern (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 828, m.w.N.). Die Regelungswirkung der Vorschrift, wie sie sich in der Rechtsprechung des BFH entwickelt hat, umfasst mithin im Ergebnis den gesamten Dreitageszeitraum nach der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post. Es handelt sich folglich um eine dreitägige Frist, deren Ablauf die Rechtsfolgen der Bekanntgabe auslöst. Dass die Bekanntgabevermutung erschüttert werden kann und ihre Rechtsfolgen dann nicht eintreten, steht der Beurteilung des dreitägigen Vermutungszeitraums als "Frist" i.S. des § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht entgegen.
Auch die Begründung, die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 sei deshalb keine "Frist" i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977, weil es sich um eine "uneigentliche Frist" handele (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 122 AO Tz. 54, § 108 AO Tz. 8, 22; Söhn in HHsp, a.a.O.), rechtfertigt es nicht, § 108 Abs. 3 AO 1977 entgegen seinem Wortlaut und seinem Zweck nicht anzuwenden. Eine Unterscheidung von "eigentlichen" und "uneigentlichen" Fristen entsprach zwar der Regelung des § 193 BGB i.V.m. § 82 RAO, ist aber nicht mit der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 vereinbar, die ausdrücklich nicht mehr zwischen verschiedenen Arten von Fristen unterscheidet.
b) Wenn man die Norm des § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht unmittelbar für anwendbar hält, weil § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 eine Vermutung regelt, so ist jedenfalls ihre entsprechende Anwendung geboten. Dies erfordert sowohl der Zweck des § 108 Abs. 3 AO 1977 als auch der des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977.
aa) Der der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 zugrunde liegende Zweck, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen, betrifft auch die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977. Dies zeigt sich insbesondere bei Sachverhalten wie im Streitfall, in dem die Beteiligten --nach Einholung einer Auskunft der Post-- darüber streiten, ob der Verwaltungsakt am Sonnabend in das Postfach eingelegt worden sein kann und ob die Zugangsvermutung deshalb erschüttert ist, weil das Postfach des Bevollmächtigten des Klägers an Sonnabenden generell nicht geleert wird. Auch derartige Streitigkeiten, die letztlich den Umfang der Berufspflichten der steuerberatenden Berufe an Sonnabenden betreffen, sollten durch die generelle Berücksichtigung der Fünftagewoche in § 108 Abs. 3 AO 1977 (und in § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) ersichtlich vermieden werden. Ebenso, wie sich das auf einen Sonnabend fallende Ende einer Rechtsbehelfsfrist stets auf den folgenden Montag verschiebt, selbst wenn der Steuerpflichtige bei entsprechenden Anstrengungen den Rechtsbehelf auch noch am Sonnabend hätte einlegen können, verschiebt sich das auf einen Sonntag fallende Ende der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf den folgenden Montag, ohne dass es darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige schon am Sonnabend sein Postamt hätte aufsuchen und bei der Leerung seines Postfachs den Verwaltungsakt hätte zur Kenntnis nehmen können. Andernfalls würde die mit dem (vermuteten) Zugang beginnende Rechtsbehelfsfrist, die der Steuerpflichtige als Überlegungs- und Bearbeitungsfrist grundsätzlich voll nutzen können soll (st.Rspr., vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1990 VI R 10/86, BFHE 163, 400, BStBl II 1991, 437) unzulässig verkürzt, weil dann die Rechtsbehelfsfrist bereits am Sonntag beginnt, obwohl an diesem Tag keine Möglichkeit des Zugangs bestand und am Sonnabend eine Abholung vom Postamt aus dem Postfach nicht erwartet werden konnte.
bb) Die Anwendung des § 108 Abs. 3 AO 1977 auf die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 entspricht auch dem Zweck der Zugangsvermutung, für das steuerrechtliche Massenverfahren eine wenig verwaltungsaufwändige, praktikable, möglichst rechtssichere und möglichst streitvermeidende Form der Bekanntgabe von Verwaltungsakten zu eröffnen.
Wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 für den Fall auf den nächsten Werktag verlängert, dass der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist, so können beide Verfahrensbeteiligte auf einfache, leicht nachprüfbare und rechtssichere Weise den fiktiven Bekanntgabetag errechnen, an dem die Rechtsbehelfsfrist beginnt. Dadurch werden eine Reihe von Problemen vermieden, mit denen die Rechtsprechung wiederholt befasst worden ist, und die für die Beteiligten unvorhergesehene und sachlich nicht erforderliche Zugangsschranken für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bilden; Vorschriften des Verfahrensrechts sind gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes im Zweifel so auszulegen, dass der Zugang zu den Gerichten eröffnet wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, unter C. III. 2. b dd, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). So brauchen, wenn § 108 Abs. 3 AO 1977 angewandt wird, die Finanzämter, Finanzgerichte und auch die steuerberatenden Berufe sich nicht mit der Frage zu befassen, auf welche Weise die Zugangsvermutung für Sonnabende sowie Sonn- und gesetzliche Feiertage erschüttert werden kann, z.B. wenn Absprachen mit dem Postboten bestehen, die Post erst am Montag statt am Sonnabend zu bringen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 828; vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175), wenn die Post antragsgemäß beim Postamt zur Abholung bereitgehalten wird (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 90), wann ein Postfach üblicherweise geleert zu werden pflegt (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1998 X B 147/98, BFH/NV 1999, 745) und ob ein Anwalt oder Steuerberater sich an Sonnabenden persönlich zur Post begeben und seine Post aus dem Postfach abholen muss, wenn sein Kanzleipersonal aufgrund der Fünftagewoche nicht verfügbar ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 286).
Überdies wird, da die Erschütterung der Bekanntgabevermutung in Fällen der vorliegenden Art häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist, der Streit oftmals zusätzlich um die Frage geführt werden, ob der Verwaltungsakt tatsächlich an dem in den Akten vermerkten Datum zur Post gegeben worden ist. Da die Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post nicht im Wege des Anscheinsbeweises geführt werden kann (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534; vom 4. Oktober 1989 VI R 55/86, BFH/NV 1990, 148; vom 15. September 1994 XI R 31/94, BFHE 175, 327, BStBl II 1995, 41; vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211, unter II. 3. b) und die Finanzämter die Feststellungslast für den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufgabe zur Post tragen (BFH-Urteile vom 26. April 1989 I R 86/88, BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695, unter II. 5.; in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211, unter II. 3. a), droht dann die Finanzverwaltung hinsichtlich der Einzelheiten des Postabsendeverfahrens im steuerrechtlichen Massenverfahren in Beweisnot zu geraten (vgl. BFH-Urteile vom 19. Dezember 1984 I R 7/82, BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485; in BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695). All diese Streitigkeiten werden hingegen in Fällen der vorliegenden Art weitgehend vermieden, wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 jeweils gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 bis zum nächsten Werktag verlängert.
c) Die Auffassung, dass sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977, wenn ihr Ende auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, auf den nächsten Werktag verlängert, wird von Teilen des steuerrechtlichen Schrifttums (Spanner in HHSp, § 122 AO Rz. 25 a; Güroff in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 122 AO Rz. 34 f.; ebenso bereits Offerhaus, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1977, 1512, 1513; Späth, Betriebs-Berater 1974, 1468) und von der überwiegenden Meinung im Schrifttum zu § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG (entspricht § 108 Abs. 3 AO 1977) und § 41 Abs. 2 VwVfG (entspricht § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) geteilt (Obermayer/Grün, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1999, § 31 Rn. 34; Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2001, § 31 Rn. 35; Knack/Hennecke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2000, § 41 Rn. 19; Meyer/Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1982, § 41 Rn. 14; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., § 31 Rn. 14, § 41 Rn. 41; a.A. Obermayer/Liebetanz, a.a.O., § 41 Rz. 35; Kopp/Ramsauer, a.a.O., 8. Aufl. 2003, § 31 Rn. 32, § 41 Rn. 44; ferner Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 23. Juli 1990 Gr.S. 1/90-19 B 88.185, NJW 1991, 1250). Die Auffassungen im Schrifttum zu den entsprechenden Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch --SGB X-- (§ 26 Abs. 3, § 37 Abs. 2 SGB X) sind gespalten (Nachweise zum Streitstand bei Schneider-Danwitz, Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, Gesamtkommentar, § 37 SGB X, Anm. 41; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 19. März 1957 10 RV 609/56, BSGE 5, 53 - zu § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes, entsprechend der bisherigen Auffassung des BFH; offen gelassen indes im Urteil des BSG vom 6. Dezember 1996, BSGE 79, 293).
d) An der entgegenstehenden Auffassung im Urteil in BFH/NV 1997, 828 und im Beschluss vom 30. Juni 1999 IX B 53/99 (BFH/NV 1999, 1620) hält der erkennende Senat aus den genannten Gründen nicht mehr fest. Der erkennende Senat weicht mit seiner Auffassung von Entscheidungen des II. Senats (Urteil in BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462), des III. Senats (Urteil in BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175), des IV. Senats (Beschluss in BFH/NV 1999, 286), des X. Senats (Urteil in BFH/NV 1997, 90; Beschluss in BFH/NV 1999, 745) und des XI. Senats (Beschluss vom 22. April 1996 XI B 2/96, BFH/NV 1996, 727) ab. Die betreffenden Senate haben auf Anfrage der Abweichung zugestimmt.
Ferner weicht der erkennende Senat von dem Urteil des I. Senats vom 13. März 1991 I R 39/90 (BFH/NV 1992, 146) ab. Eine Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO kommt aber insoweit nicht in Betracht, weil die maßgebliche Rechtsfrage für den I. Senat seinerzeit nicht entscheidungserheblich war (vgl. Beschluss des BFH vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207). In dem vom I. Senat entschiedenen Fall, in dem die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 an einem Sonntag endete und der I. Senat § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht anwandte, war die Klage um zwei Tage verspätet erhoben; sie wäre mithin auch bei Anwendung des § 108 Abs. 3 AO 1977 verspätet gewesen.
2. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Klage ist rechtzeitig erhoben. Die Sache geht an das FG zurück, damit es das Klagebegehren in der Sache prüft.
Ende der Entscheidung
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