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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: IX R 72/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 10d Abs. 1
EStG § 10d Abs. 4
Der Antrag, ganz oder teilweise von einem Verlustrücktrag abzusehen, kann nur bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheids über die gesonderte Feststellung des zum Schluss des Verlustentstehungsjahres verbleibenden Verlustvortrags geändert oder widerrufen werden.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für das Jahr 2002 bei einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte auf 0 € fest; der negative Gesamtbetrag der Einkünfte ergab sich aus negativen Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb. Auf Nachfrage des FA teilten die Kläger mit Schreiben vom 20. August 2003 mit, ein Verlustrücktrag in das Streitjahr solle nicht durchgeführt werden; der Verlust solle in das Jahr 2003 vorgetragen werden. Mit Bescheid vom 3. Mai 2004 stellte das FA den zum 31. Dezember 2002 verbleibenden Verlustvortrag gesondert fest.

Mit Schreiben vom 3. Juli 2004 beantragten die Kläger, den Verlust aus dem Jahr 2002 in Höhe von 6 000 € auf das Streitjahr zurückzutragen, da sich der Verlustvortrag nicht in voller Höhe bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2003 auswirke. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Nach R 115 Abs. 5 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2001 (EStR) könne der Antrag, vom Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ganz abzusehen, bis zur Bestandskraft des den verbleibenden Verlustvortrag feststellenden Bescheids nach § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes widerrufen werden.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 401, veröffentlichten Urteil statt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 10d Abs. 1 Sätze 5 bis 8 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG).

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen vertritt die Auffassung, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könnten Wahlrechte grundsätzlich nur bis zur Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung ausgeübt werden, auf die sie sich auswirken sollen. R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR wende diese Rechtsprechung auf § 10d Abs. 1 EStG an; der Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG wirke sich auf die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum Ende des Verlustentstehungsjahres aus.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat das FA zu Unrecht verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern und einen Verlustrücktrag aus dem Jahr 2002 zu berücksichtigen.

1. Gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG ist ein für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits erlassener Steuerbescheid insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG) zu gewähren oder zu berichtigen ist. Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden (§ 10d Abs. 1 Satz 6 EStG).

§ 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG enthalten gegenüber der Abgabenordnung (AO) eigenständige Korrekturvorschriften (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1999 XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762, m.w.N.). Berichtigungsgrund ist allein ein fehlerhafter Verlustabzug; dessen Ursache ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 1. September 1998 VIII R 4/97, BFH/NV 1999, 599, m.w.N.). Die Vorschriften bezwecken die richtige und vollständige Verwirklichung des Verlustabzugs und stellen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vor das Vertrauen in dessen Bestand (BFH-Urteil vom 4. April 2001 XI R 59/00, BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564, m.w.N.).

2. Entgegen der Auffassung des FG sind im Streitfall die Voraussetzungen des § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG nicht erfüllt. Denn ein Verlustrücktrag für das Streitjahr ist aufgrund des Antrags der Klägerin vom 20. August 2003, vom Verlustrücktrag ganz abzusehen, nicht zu gewähren; die Klägerin ist an ihren Antrag infolge der Bestandskraft des Bescheids vom 3. Mai 2004 über die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 2002 verbleibenden Verlustvortrags gebunden.

a) Ein Verlustrücktrag ist nicht i.S. des § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG "zu gewähren", soweit der Steuerpflichtige beantragt hat, vom Verlustrücktrag abzusehen. Nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG ist auf Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise von der Anwendung des Satzes 1 der Vorschrift abzusehen; im Antrag ist die Höhe des Verlustrücktrags anzugeben (§ 10d Abs. 1 Satz 8 EStG). Rechtsfolge des Antrags ist, dass der Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG ganz oder teilweise ausgeschlossen ist. Im beantragten Umfang ist ein Verlustrücktrag daher auch nicht zu gewähren. Die Klägerin --bei Ehegatten gilt der Antrag des Ehegatten, der den Verlust erzielt hat (Schmidt/Heinicke, EStG, 27. Aufl., § 10d EStG Rz 27; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 10d EStG Rz 90; v. Groll, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 126)-- hat mit Schreiben vom 20. August 2003 wirksam beantragt, von einem Verlustrücktrag in das Streitjahr ganz abzusehen; der Antrag ist nicht formbedürftig.

b) Diesen Antrag konnte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 3. Juli 2004 nicht mehr ändern. Das Gesetz sieht für den Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG zwar weder eine Frist noch eine Bindung an die einmal getroffene Entscheidung vor. Die Klägerin hat ihr Antragsrecht aber mit Eintritt der Bestandskraft des Bescheids vom 4. Mai 2004 über die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 2002 verbleibenden Verlustvortrags verbraucht; sie ist infolge der Bestandskraft dieses Bescheids an ihren Antrag gebunden.

aa) Die Klägerin war allerdings nicht bereits mit dem Zugang ihres Antrags beim FA entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches daran gebunden. Dem Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG --eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung (HHR/Hallerbach, § 10d EStG Rz 90)-- liegt kein selbständiges Gestaltungsrecht zugrunde, bei dem der Zweck seiner Ausübung schon durch die Ausübung selbst und nicht erst mit einer entsprechenden Entscheidung der Finanzbehörde erreicht wird (zu sog. "selbständigen Gestaltungsrechten" BFH-Urteil vom 19. Dezember 1985 V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420; sowie Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 149 AO Rz 5; Weber-Grellet in: Deutsches Steuerrecht 1992, 1417).

Der Antrag bewirkt zwar unmittelbar, dass im beantragten Umfang vom Verlustrücktrag abzusehen ist (vgl. v. Groll, a.a.O., § 10d Rz A 176 und B 357); er ist aber nur das rechtstechnische Mittel, um dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zwischen Verlustrücktrag und Verlustvortrag zu gewähren und es ihm zu ermöglichen, zugunsten des Verlustvortrags ganz oder teilweise auf den Verlustrücktrag zu verzichten (BTDrucks 12/4487, S. 34; vgl. auch HHR/Hallerbach, § 10d EStG Rz 90). Soweit der Steuerpflichtige beantragt, von der Anwendung des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG abzusehen, erhöht sich der Verlustvortrag entsprechend.

Der Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG setzt indes die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG voraus; der Verlustfeststellungsbescheid ist Grundlagenbescheid für den Einkommensteuer- und den Verlustfeststellungsbescheid des folgenden Veranlagungszeitraums (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 27/04, BFH/NV 2006, 16, m.w.N.; Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 10d Rz 46). Die mit dem Antrag erstrebte Rechtsfolge wird daher erst mit der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum Schluss des Verlustentstehungsjahres erreicht.

bb) Auch unbefristete Wahlrechte können aber (nur) bis zum Eintritt der Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung ausgeübt werden, auf welche sie sich auswirken sollen. Andererseits sind sie erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheids verbraucht (BFH-Urteile vom 21. September 2005 X R 32/03, BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66, und vom 30. August 2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn sich das Wahlrecht auf eine gesonderte Feststellung auswirken soll; denn hierfür gelten die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Da sich der Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG auf den Feststellungsbescheid gemäß § 10d Abs. 4 EStG auswirken soll, kann er auch nur bis zum Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids widerrufen oder geändert werden (gl.A. Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 10d Rz 28, Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 86; a.A. HHR/Hallerbach, § 10d EStG Rz 90; Zwerger in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 33 KStG a.F., Rz 117). R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR legt demnach das Gesetz zutreffend aus.

cc) Entgegen der Auffassung des FG (so auch Urteil des FG Köln vom 30. Januar 2001 13 K 6855/00, EFG 2001, 841; Zwerger, a.a.O., § 33 KStG a.F., Rz 117) ergibt sich aus § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG nicht, dass ein Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist des Verlustentstehungsjahres jederzeit geändert werden kann. § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG gelten nur für den Verlustrücktrag, nicht aber für den Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG (gl.A. v. Groll, a.a.O., § 10d Rz A 177 und B 356). Denn § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG. Die Vorschrift setzt voraus, dass der --in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG legal definierte-- Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist; der Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG wird weder in Satz 5 noch in Satz 6 der Vorschrift erwähnt. Soweit ein Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG vorliegt, ist aber --wie bereits ausgeführt-- der Anwendungsbereich des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG nicht eröffnet. Diese Auslegung nach dem Wortlaut entspricht auch dem Zweck des § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG, den Verlustrücktrag richtig und vollständig zu verwirklichen.

dd) Die Bindungswirkung des Antrags mit Eintritt der Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheids ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil dieser Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern wäre, wenn der Antrag --wie im Streitfall-- nach diesem Zeitpunkt geändert wird. Denn die Änderung des Antrags ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob ein Ereignis ausnahmsweise steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts. Es muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen (BFH-Urteil vom 10. November 2004 II R 24/03, BFHE 207, 364, BStBl II 2005, 182, m.w.N.).

Für den Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG ist ein solches Bedürfnis zu verneinen, da dem Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der gesonderten Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 EStG sowohl seine nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte als auch der Gesamtbetrag der Einkünfte im Rücktragsjahr bekannt sind. Damit kann er von seinem Antragsrecht Gebrauch machen. Weder Wortlaut noch Zweck des § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG erfordern, dass dem Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der Ausübung des Antragsrechts seine Einkünfte in den dem Verlustentstehungsjahr folgenden Veranlagungszeiträumen bekannt sind. Die Möglichkeit, zugunsten des Verlustvortrags ganz oder teilweise auf den Verlustrücktrag zu verzichten, sollte lediglich das körperschaftsteuerliche Anrechungsverfahren vereinfachen. Zur Gleichbehandlung sollte dies für natürliche Personen und Körperschaften gelten (vgl. BTDrucks 12/4487, S. 26). Die Regelung sollte die bisherigen Bestimmungen in § 8 Abs. 5 und in § 33 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes entbehrlich machen, die verhindern sollten, dass bei den zur Eigenkapitalgliederung verpflichteten Körperschaften ein Verlustrücktrag beim Zusammentreffen mit einer Gewinnausschüttung für das Abzugsjahr ohne steuerliche Entlastung verbraucht wird (BTDrucks 12/4487, S. 36). Der Gesetzesbegründung ist nicht zu entnehmen, dass das Antragsrecht dem Steuerpflichtigen --wie das FG meint-- eine veranlagungszeitraumübergreifende Optimierung seiner Steuerlast ermöglichen sollte.

3. Die Sache ist spruchreif. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ist nicht gemäß § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG zu ändern. Die Klage ist daher abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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