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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: IX R 77/06
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 42
EStG § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c
EStG § 3c Abs. 2
EStG § 17 Abs. 1
EStG § 17 Abs. 2
Die Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine von den Gesellschaftern der GmbH neu gegründete, beteiligungsidentische GmbH ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO, weil die Anteile zu einem Zeitpunkt veräußert wurden, als die Veräußerung noch nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterlag, oder weil sich die Tätigkeit der neu gegründeten GmbH auf das Halten der veräußerten Anteile beschränkte.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger, die Klägerin und die Mutter des Klägers waren an der X-GmbH zu 41 %, zu 35 % und zu 24 % beteiligt. Am 13. Dezember 2001 errichteten sie die Y-GmbH --die am 11. Januar 2002 in das Handelsregister eingetragen wurde-- und übernahmen entsprechend ihrer Beteiligung an der X-GmbH Stammeinlagen in Höhe von 41 %, 35 % und 24 % des Stammkapitals der Y-GmbH. Am gleichen Tag veräußerten sie mit Wirkung zum 28. Dezember 2001 ihre Anteile an der X-GmbH zu einem Kaufpreis von insgesamt 50 000 DM an die Y-GmbH; der Kaufpreis stand ihnen im Verhältnis ihrer Beteiligung an der X-GmbH zu.

In ihrer Einkommensteuerklärung für das Streitjahr 2001 machten die Kläger einen Veräußerungsverlust des Klägers i.S. des § 17 Abs. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den Veräußerungsverlust nicht, da ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 der Abgabenordnung --AO--) vorliege. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg; das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1302, veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 42 AO.

Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von negativen Einkünften des Klägers nach § 17 EStG in Höhe von 425 528 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zu Unrecht hat das FG die Veräußerung der Anteile des Klägers an der X-GmbH an die Y-GmbH nicht der Besteuerung nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG zugrunde gelegt; die Veräußerung dieser Anteile ist kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 AO).

1. Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine Anteile an der X-GmbH nur zum Schein an die Y-GmbH veräußert hat (§ 117 des Bürgerlichen Gesetzbuches) und die Veräußerung deshalb als Scheingeschäft gemäß § 41 Abs. 2 AO steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zur Prüfung, ob ein Scheingeschäft vorliegt, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. September 2004 IX R 5/03, BFH/NV 2005, 498, m.w.N.).

2. Entgegen der Auffassung des FG ist die Veräußerung der Anteile an der X-GmbH an die Y-GmbH kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO.

a) Ein Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die --gemessen an dem erstrebten Ziel-- unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 29. August 2007 IX R 17/07, BFH/NV 2008, 426, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2003 IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II 2004, 648, m.w.N.).

b) Es stand dem Kläger frei, ob, wann und an wen er seine Anteile an der X-GmbH veräußert. Dies gilt auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht im Einklang mit § 17 EStG. Die Vorschrift soll den durch die Veräußerung des Anteils an einer Kapitalgesellschaft eingetretenen Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit erfassen (BFH-Urteil vom 13. Juli 1999 VIII R 72/98, BFHE 190, 87, BStBl II 1999, 820). Die Ausschöpfung von Verlusten entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43). Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist ein Verlust anzusetzen, wenn die Anschaffungskosten den Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten übersteigen; die Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten ist zudem durch § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr 2001 geltenden Fassung besonders geregelt. Der Kläger hat mit der Veräußerung seiner Anteile nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Stimmt die Gestaltung mit den gesetzlichen Zielen überein, bedarf es weiterer, insbesondere außersteuerlicher Motive hierfür grundsätzlich nicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43).

c) Der Kläger hat auch nicht dadurch gegen gesetzliche Wertungen verstoßen, dass er seine Anteile zu einem Zeitpunkt veräußerte, als die Veräußerung noch nicht dem Halbeinkünfteverfahren (vgl. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c und § 3c Abs. 2 EStG i.d.F. des Art. 1 des Steuersenkungsgesetzes --StSenkG-- vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 433) unterlag. Dem zeitlichen Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens liegen Entscheidungen des Gesetzgebers (vgl. § 52 Abs. 4a Nr. 2 und 8a EStG i.d.F. des Art. 1 StSenkG) zugrunde, die durch die Anwendung des § 42 AO nicht korrigiert werden dürfen. Der Kläger umging kein Steuergesetz, sondern nutzte die Möglichkeit einer günstigeren Steuergestaltung (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1978 VIII R 126/75, BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77).

Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger seine Anteile veräußerte anstatt die X-GmbH aufzulösen. Es trifft zwar zu, dass der Kläger bei der Anteilsveräußerung --anders als bei der Auflösung-- mit dem Veräußerungszeitpunkt den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns (-verlusts) bestimmen konnte (zur Entstehung des Veräußerungsgewinns, BFH-Urteil vom 18. Dezember 2001 VIII R 5/00, BFH/NV 2002, 640; zur Entstehung des Auflösungsverlusts, BFH-Urteil vom 19. April 2005 VIII R 45/04, BFH/NV 2005, 1545, m.w.N.). Ein Gestaltungsmissbrauch könnte daher gegeben sein, wenn der Kläger wirtschaftlich seine Anteile nicht veräußern, sondern die X-GmbH auflösen wollte. Hierfür bestehen aber nach den tatsächlichen Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte. Dass sich die X-GmbH --nach dem Vortrag des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren-- zum Zeitpunkt der Veräußerung in einer schweren Krise befunden hat, genügt nicht.

d) Die Gestaltung wird schließlich nicht dadurch rechtsmissbräuchlich, dass der Kläger seine Anteile an die mit der X-GmbH beteiligungsidentische Y-GmbH veräußerte.

Ein Gestaltungsmissbrauch ist regelmäßig nicht gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger --aus welchen Gründen auch immer-- auf Dauer zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1996 I R 55/95, BFHE 181, 490, BStBl II 1998, 90, m.w.N.). Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass die Y-GmbH zumindest im ersten Jahr nach ihrer Gründung nur die Anteile an der X-GmbH hielt und keine weiteren Geschäfte tätigte. Denn es obliegt der Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen Tuns abzustecken (BFH-Urteil vom 20. März 2002 I R 63/99, BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50).

Entgegen der Auffassung des FG ist im Streitfall durch die Anteilsveräußerung nicht nur formal ein Rechtsträgerwechsel eingetreten. Die Anteile an der X-GmbH dienten nach der Veräußerung nur noch der Y-GmbH zur Einkünfteerzielung; ein Durchgriff auf diese Gesellschaft kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Kapitalgesellschaft ist ein selbständiges Steuersubjekt (vgl. § 1 des Körperschaftsteuergesetzes), das die von ihr aus der Beteiligung erzielten Einkünfte unabhängig vom Gesellschafter zu versteuern hat (sog. Trennungsprinzip). Der Anteilseigner hat unmittelbar keinen Gewinn aus der Tätigkeit der Kapitalgesellschaft zu versteuern. Diese Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern bewirkt, dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre eine eigenständige Leistungsfähigkeit entsteht, die von derjenigen der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt und unabhängig von ihr besteuert werden darf (BFH-Urteil vom 4. März 2008 IX R 78/06, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2008, 1039).

Auch hat sich durch die Anteilsveräußerung die wirtschaftliche Situation des Klägers geändert. Denn der Kläger konnte nunmehr eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen zugunsten der X-GmbH nicht mehr steuerlich geltend machen. Die Übernahme von eigenkapitalersetzenden Bürgschaften für eine Gesellschaft, an welcher der Anteilseigner nur mittelbar beteiligt ist, führt nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der (unmittelbaren) wesentlichen Beteiligung (BFH-Urteil in BFH/NV 208, 1039).

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- nicht festgestellt, ob der vereinbarte Kaufpreis dem Wert der Anteile an der X-GmbH entsprochen hat. Sollte der vereinbarte Kaufpreis hinter dem Wert der Anteile zurückgeblieben sein, läge eine gemischte verdeckte Einlage vor (hierzu Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl., § 17 Rz 110). Die verdeckte Einlage steht der Veräußerung der Anteile gleich, wobei der gemeine Wert der Anteile an die Stelle des Veräußerungspreises tritt (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 EStG). Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang den Wert der Anteile an der X-GmbH zu ermitteln haben.

Ende der Entscheidung

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