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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.07.2008
Aktenzeichen: IX R 79/06
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO § 173 Abs. 1
AO § 169
AO § 170
AO § 171
EStG § 17
Bei insolvenzfreier Liquidation einer GmbH realisiert sich der durch eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe als nachträgliche Anschaffungskosten bedingte Veräußerungsverlust eines ehemals wesentlich beteiligten Gesellschafters bereits in dem Zeitpunkt, in dem er erklärt, mit seiner Forderung gegenüber allen gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten der vermögenslosen und überschuldeten GmbH aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung im Rang zurückzutreten.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gründete im Jahr 1993 zusammen mit einer anderen Person eine GmbH, an deren Stammkapital er mit 49 % beteiligt war. Die GmbH erwirtschaftete in den Anfangsjahren Verluste, im Streitjahr (1996) aber einen Jahresüberschuss. Sie war in allen Jahren überschuldet. Ihre Umsätze stiegen in der Zeit ihrer Geschäftsverbindungen mit einem ausländischen Reiseveranstalter in den Jahren ab 1996; ihre Geschäftstätigkeit kam aber nach dessen Konkurs ganz zum Erliegen.

Im Jahr 1995 schloss der Kläger mit der GmbH einen Darlehensvertrag. Danach stellte er der GmbH Mittel in Höhe von 160 000 DM zur Verfügung. Das Darlehen sollte zum Ausgleich von Liquiditätsengpässen, zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft sowie zur Vermeidung einer eventuell auftretenden Überschuldung dienen. Die GmbH war berechtigt, das Darlehen in Teilbeträgen abzurufen und verpflichtet, die Darlehensmittel ausschließlich zur Begleichung von unbezahlten Rechnungen und von Steuerschulden zu verwenden. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage der GmbH verzichtete der Kläger zunächst auf eine Verzinsung. Die GmbH nahm das Darlehen Anfang des Streitjahres in Höhe von 159 000 DM in Anspruch, tilgte es in den Folgejahren zum Teil, so dass ihre Verbindlichkeit Ende 1998 aus diesem Darlehen noch 81 665,45 DM betrug.

Im Streitjahr veräußerte der Kläger seinen Geschäftsanteil für 1 DM an den Mitgesellschafter. In einer Bindungs- und Rangrücktrittserklärung vom Februar 1999 erklärte der Kläger den Rangrücktritt seiner Darlehensforderung gegenüber den gesamten gegenwärtigen und künftigen Forderungen anderer Gläubiger aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung. Außerdem verpflichtete er sich, über seine Forderung ohne die Zustimmung der anderen Gesellschaftsgläubiger nicht zu verfügen, sie nicht einzuziehen, nicht auf sie zu verzichten, nicht an einen Dritten abzutreten oder zu verpfänden. Ausweislich der Erklärung hatte die GmbH "per 31.12.97 einen Bilanzverlust in Höhe von 422.865,79 DM" ausgewiesen, "der vorgetragen wird."

Die GmbH wurde mit Gesellschafterbeschluss vom Dezember 2001 aufgelöst; im Jahr 2003 wurde sie im Handelsregister gelöscht.

In seiner im Jahr 1998 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gab der Kläger einen Veräußerungsverlust nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 25 525,40 DM an, der sich aus dem Unterschied von Veräußerungspreis (1 DM) und den Anschaffungskosten bei Gründung (24 400 DM) sowie den Veräußerungskosten (1 026,40 DM) ergab. Dieser Veräußerungsverlust wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) in den Einkommensteuerbescheiden u.a. vom 29. September 2000 nicht berücksichtigt, nachdem der Kläger die vom FA geforderten Unterlagen nicht vorgelegt hatte. Einspruch wie auch Klage blieben ohne Erfolg.

Im Rahmen der im Jahr 2003 abgegebenen Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 beantragte der Kläger die Berücksichtigung des Darlehensverlustes als Veräußerungsverlust, weil es sich bei diesem Gesellschafterdarlehen um ein Krisendarlehen gehandelt habe, das den nachträglichen Anschaffungskosten zuzurechnen sei. Der Darlehensverlust habe nicht schon im Jahr 1996, sondern erst geltend gemacht werden können, als der Verlust mit der Auflösung der GmbH endgültig festgestanden habe, wovon der Kläger erst im Jahr 2002 erfahren habe. Das FA lehnte eine Berücksichtigung dieses Verlustes für das Jahr 2002 ab. Daraufhin beantragte der Kläger im Mai 2005, den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres vom 29. September 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung nachträglich gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und den Darlehensverlust als Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG anzusetzen. Das FA lehnte diesen Antrag wegen Bestandskraft ab; auch der Einspruch blieb erfolglos: Weil der Abzug des damals beantragten Verlusts nach § 17 EStG bereits dem Grunde nach unterblieben sei, könnten spätere Ereignisse, die sich nur der Höhe nach auf einen solchen Verlust auswirkten, nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Klage blieb erfolglos: Das Finanzgericht (FG) begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 352, veröffentlichtes Urteil alternativ. Habe sich die GmbH schon im Jahr 1995 in der Krise befunden, wofür die Überschuldung spreche, könne zwar dem endgültigen Ausfall des Darlehens steuerliche Wirkung für die Vergangenheit zukommen. Da aber das rückwirkende Ereignis im Jahr 1999 eingetreten sei (Indiz: Bindungs- und Rangrücktrittserklärung), sei die sich anschließende vierjährige Festsetzungsfrist schon Ende 2003, also vor der Antragstellung im Jahr 2005 abgelaufen gewesen. Habe sich die GmbH allerdings 1995 noch nicht in der Krise befunden, könne sie erst 1999 eingetreten sein, als der Kläger die Erklärung abgegeben habe. In diesem Zeitpunkt sei der Kläger aber nicht mehr Gesellschafter gewesen, so dass es an einer gesellschaftlichen Veranlassung für das Stehenlassen des Darlehens fehle.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Rechtsfehlerhaft sei die Auffassung des FG, eine Änderung der Steuerfestsetzung scheitere am Ablauf der Festsetzungsfrist. Die Hingabe des Darlehens sei gesellschaftlich veranlasst gewesen. Das rückwirkende Ereignis sei aber noch nicht im Jahr 1999 mit der Bindungs- und Rücktrittserklärung eingetreten, sondern erst mit dem endgültigen Darlehensausfall im Jahr 2001.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 29. September 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2006 in der Weise zu ändern, dass ein Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG in Höhe von 81 685,95 DM berücksichtigt wird.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Im Ergebnis zutreffend hat es das FG abgelehnt, das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres zu ändern. Denn der Sachverhalt erfüllt keinen Korrekturtatbestand. Zwar hat das FG zu Unrecht auf den Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO abgestellt. Da indes der Kläger schon die Voraussetzungen von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, stellt sich die angefochtene Entscheidung aus diesem Grund als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).

1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Als Voraussetzung für eine Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO muss dieses Ereignis aber nachträglich eintreten, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Konnte das Ereignis bei Erlass des betreffenden Bescheides bereits berücksichtigt werden, greift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juli 2002 I R 69/00, BFH/NV 2002, 1545, und BFH-Beschluss vom 13. Mai 2005 VIII B 205/03, BFH/NV 2005, 1741, jeweils m.w.N.).

a) So verhält es sich hier; denn das FG ist zutreffend davon ausgegangen, das Darlehen des Klägers sei im Jahr 1999 endgültig ausgefallen. Zwar stellt der Ausfall des Darlehens ein den Veräußerungsgewinn rückwirkend beeinflussendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 71/02, BFH/NV 2003, 1398, und --allgemein zu Veräußerungsgewinnen-- BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, 900 f.). Hier konnte der endgültige Ausfall des Darlehens bereits im Rahmen der Veranlagung des Streitjahres berücksichtigt werden, die erst mit der die Klage als unzulässig verwerfenden Entscheidung durch das FG in der Mitte des Jahres 2001 bestandskräftig abgeschlossen wurde.

b) Dem FG ist darin beizupflichten, den zu nachträglichen Anschaffungskosten der veräußerten Anteile führenden endgültigen Ausfall des Darlehens bereits im Jahr 1999 anzunehmen.

aa) Zu den Einkünften aus Gewerbetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG --unter weiteren, hier nicht problematischen Voraussetzungen-- auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Das ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind. Das ist bei einem Darlehen des Gesellschafters an die Kapitalgesellschaft der Fall, wenn und insoweit es Eigenkapital ersetzt (vgl. § 32a Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung), weil der Gesellschafter es in einem Zeitpunkt gewährt, in dem er als ordentlicher Kaufmann Eigenkapital zugeführt hätte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 4. März 2008 IX R 80/06, BStBl II 2008, 577, und IX R 78/06, BStBl II 2008, 575).

bb) Im Streitfall konnte es das FG offenlassen, ob der Kläger als Gesellschafter der GmbH das Darlehen im Jahr 1995 in einem Zeitpunkt gewährte, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten. Denn jedenfalls im Jahr 1999 konnte der Kläger nicht mehr mit einer Rückzahlung des Darlehens rechnen.

Zwar lässt sich die Frage, ob und in welcher Höhe dem Steuerpflichtigen aus seiner Beteiligung ein Verlust entstanden ist, im Fall der Auflösung der Kapitalgesellschaft grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt beurteilen, in dem die Liquidation abgeschlossen ist. Ausnahmsweise kann nach der ständigen Rechtsprechung indes der Zeitpunkt, in dem der Verlust realisiert ist, schon vor dem Abschluss der Liquidation liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits festgestellten Verlusts nicht mehr zu rechnen ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27. November 2001 VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten für die Ermittlung eines Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 Abs. 1 EStG gleichermaßen.

Im Streitfall konnte das FG diese Voraussetzungen bejahen. Die GmbH war nach seinen Feststellungen, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, im Zeitpunkt der Bindungs- und Rangrücktrittserklärung (1999) vermögenslos und überschuldet. Wenn das FG aus dieser Erklärung des Klägers als Indiz folgert, dass bereits zu diesem Zeitpunkt mit einer Begleichung der restlichen Darlehensforderung nicht zu rechnen gewesen sei, so lässt dies Rechtsfehler nicht erkennen. Die Erklärung des Klägers gegenüber anderen Gläubigern der GmbH mit bankmäßiger Geschäftsverbindung ist als Beweisanzeichen für eine Verlustrealisation ergiebig. Sie stellt die Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen in das Belieben dieser Gläubiger und enthält nicht nur einen vollständigen Rangrücktritt gegenüber allen, auch künftigen bedingten oder befristeten Forderungen aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung, sondern überdies eine Verpflichtung den anderen Gläubigern gegenüber, über das Recht nicht zu verfügen (vgl. § 137 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Aus ihr ergibt sich im Zusammenwirken mit den Tatsachen der Vermögenslosigkeit und Überschuldung der GmbH folgerichtig, dass der Kläger bereits im Jahr 1999 davon ausgehen musste, mit seiner Rückzahlungsforderung endgültig auszufallen.

2. Der Kläger kann auch nicht beanspruchen, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aufgrund von § 173 Abs. 1 AO zu ändern.

Zwar mag es sein, dass der vom FG festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt. Denn dem FA wurden erst nach Abschluss der Veranlagung des Streitjahres die Umstände der Darlehensgewährung bekannt. Unbeschadet des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen dieser Norm ist bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Selbst wenn das FA im Rahmen der Veranlagungsarbeiten für das Jahr 2002 bereits im Jahr 2003 von den Umständen Kenntnis erlangte, war die in ihrem Ablauf gehemmte Festsetzungsfrist für das Streitjahr (§ 171 Abs. 3a AO: hier bis Mitte 2001) bereits abgelaufen (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).



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