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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.04.2009
Aktenzeichen: IX R 87/07
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 32b | |
EStG § 34 Abs. 1 S. 1, 3 |
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind im Streitjahr 2000 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger erhielt im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses von seinem Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von 375 000 DM und bezog 24 949 DM Arbeitslosengeld. Zudem erzielte er bei der Vermietung eines Wohnhauses in Frankreich Einkünfte in Höhe von 53 669 DM. Dabei wurden auch negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von insgesamt 134 478 DM berücksichtigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr ursprünglich auf 47 415 DM fest. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch wurde die Einkommensteuer auf 45 180 DM herabgesetzt. Im Übrigen hatte der insbesondere wegen der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. dem Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG erhobene Einspruch keinen Erfolg. Im Klageverfahren war zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das gesamte zu versteuernde Einkommen gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG tarifbegünstigt ist und sowohl das Arbeitslosengeld als auch die in Frankreich bezogenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bzw. Nr. 2 EStG unterliegen. Mit der gegen die Art und Weise der Berechnung des Steuersatzes bzw. der tariflichen Einkommensteuer erhobenen Klage machten die Kläger insbesondere geltend, es seien nur 1/5 der Progressionseinkünfte dem um 1/5 gekürzten, zu versteuernden Einkommen hinzuzurechnen.
Die Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1947). Das Finanzgericht (FG) wandte die Vorschriften der §§ 32b, 34 EStG zunächst getrennt an und glich die jeweiligen steuererhöhenden und steuerermäßigenden Wirkungen anschließend aus (sog. additive Methode). Dies führte bei einem zu versteuernden Einkommen von 203 788 DM und außerordentlichen Einkünften von 214 522 DM zu einer festzusetzenden Einkommensteuer von 28 028 DM.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, das die Verletzung materiellen Rechts rügt (§§ 32b, 34 EStG). Da der Progressionsvorbehalt als Steuersatznorm nach der Ermittlung der von § 34 Abs. 1 EStG geforderten, verbleibenden zu versteuernden Einkommens ansetze, sei zunächst dieses verbleibende zu versteuernde Einkommen zu ermitteln. Sofern sich hierbei ein Positivbetrag ergebe, sei dieser bei der Bemessung des besonderen Steuersatzes zu berücksichtigen. Für die Progressionseinkünfte ergebe sich nur insoweit eine Progressionswirkung, als sie in den positiven Bereich hineinragten.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben.
Die Kläger beantragen,
die Revision aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom FG zur Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer angewandte sog. additive Methode findet im Gesetz keine Grundlage.
1. a) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist auf Antrag die Einkommensteuer auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen außerordentlichen Einkünfte nach der sog. Fünftelregelung zu berechnen. Gemäß § 32b EStG ist das zu versteuernde Einkommen mit einem besonderen Steuersatz zu versteuern, der sich für das zu versteuernde Einkommen zuzüglich bestimmter steuerfreier Einkünfte ergibt.
Nach den den Senat bindenden finanzgerichtlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Kläger im Streitjahr eine Abfindung für die Aufgabe seiner Tätigkeit im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses (§ 24 Nr. 1 Buchst. b EStG) sowie Arbeitslosengeld i.S. von § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG sowie ausländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S. von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG erhalten. Damit unterliegt das zu versteuernde Einkommen --wie zwischen den Beteiligten unstreitig-- der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG, Arbeitslosengeld und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 EStG.
b) Die auf die außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer beträgt nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich 1/5 dieser Einkünfte. Ist das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der auf 1/5 des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer (§ 34 Abs. 1 Satz 3 EStG).
Im Streitfall betrug das zu versteuernde Einkommen nach den finanzgerichtlichen Feststellungen 203 788 DM. Darin sind außerordentliche Einkünfte in Höhe von 349 000 DM (375 000 DM ./. 24 000 DM nach § 3 Nr. 9 EStG und ./. 2 000 DM nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) enthalten. Für die Berechnung des verbleibenden zu versteuernden Einkommens i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG sind diese außerordentlichen Einkünfte zunächst mit Verlusten aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 134 478 DM zu verrechnen (vgl. hierzu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. September 1996 IV B 120/95, BFH/NV 1997, 223). Nach Abzug der noch zu berücksichtigenden außerordentlichen Einkünfte in Höhe von 214 522 DM (349 000 DM ./. 134 478 DM) ergibt sich ein negatives zu versteuerndes Einkommen. Für die Steuerberechnung hinsichtlich der außerordentlichen Einkünfte haben FA und FG zutreffend die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG herangezogen.
c) Das im Streitjahr an den Kläger gezahlte Arbeitslosengeld in Höhe von 24 949 DM ist nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die ausländischen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG.
Der Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG ist grundsätzlich neben der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG anwendbar (BFH-Urteil vom 15. November 2007 VI R 66/03, BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375). § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG verweist durch Bezugnahme auf die Einkommensteuer, die auf 1/5 des zu versteuernden Einkommens entfällt, auf die Tarifvorschriften des Einkommensteuergesetzes, zu denen auch § 32b EStG gehört. § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG schreibt damit eine integrierte Steuerberechnung vor (BFH-Urteil vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269, BFH/NV 2008, 666, m.w.N. zum Streitstand). Die sog. additive Methode (dazu FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. März 2007 8 K 172/03, EFG 2007, 1947; Siegel, Finanz-Rundschau 2008, 389; Siegel/Diller, Deutsches Steuerrecht 2008, 178; Sieker, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz D 37) ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar (BFH-Urteil in BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375, m.w.N.). Danach sind die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte (Progressionseinkünfte) bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 EStG grundsätzlich steuersatzerhöhend zu berücksichtigen. Übersteigen die der Tarifermäßigung unterliegenden außerordentlichen Einkünfte das zu versteuernde Einkommen wie im Streitfall, so sind die Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG nur insoweit zu berücksichtigen, als sich nach einer Verrechnung mit dem negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommen ein positiver Differenzbetrag ergibt (so auch H 34.2 Beispiel 4 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs). Dem folgt der Senat.
Auch eine Auslegung, wonach bei der Steuerberechnung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG auch die Progressionseinkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalts nur zu 1/5 zu berücksichtigen sind, widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Die im Rahmen der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG durchzuführende Fünftelung bezieht sich nur auf das zu versteuernde Einkommen, nicht auch auf die Progressionseinkünfte nach § 32b EStG (BFH-Urteil in BFHE 220, 269, BFH/NV 2008, 666, m.w.N.). Das folgt daraus, dass die Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen des Progressionsvorbehalts erst bei der Ermittlung der Einkommensteuer zu berücksichtigen sind, die sich an die Fünftelung des zu versteuernden Einkommens anschließt. Dabei ist § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG entsprechend der in Satz 2 der Vorschrift angelegten Systematik auszulegen. Das negative verbleibende zu versteuernde Einkommen mindert die Wirkung des Progressionsvorbehalts, indem dieser in der Höhe nicht nur zur Anwendung kommt, in der er durch ein negatives verbleibendes zu versteuernden Einkommens neutralisiert wird. Diese Systematik ergibt sich aus dem Gedanken des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG. Damit bleibt für die Fünftelung der Progressionseinkünfte kein Raum; die gesetzgeberische Zielsetzung wird im Rahmen der Gesetzessystematik erreicht.
Nach dem Wortlaut des § 32b EStG findet der Progressionsvorbehalt bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG auch Anwendung, wenn das zu versteuernde Einkommen ausschließlich aus außerordentlichen Einkünften i.S. von § 34 Abs. 2 EStG besteht. Denn der besondere Steuersatz des § 32b Abs. 2 EStG ist nach Abs. 1 der Vorschrift auf das zu versteuernde Einkommen nach § 32a Abs. 1 EStG anzuwenden; zu diesem zu versteuernden Einkommen gehören auch die außerordentlichen Einkünfte (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 9. September 2004 15 K 6843/01 E, EFG 2005, 49). Jedoch liefe die volle Berücksichtigung der Progressionseinkünfte bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG dem Zweck des Progressionsvorbehalts zuwider, eine Steuerentlastung zu verhindern, die sich daraus ergibt, dass aufgrund des progressiven Tarifverlaufs auf das zu versteuernde Einkommen infolge der Steuerfreiheit der Progressionseinkünfte ein niedrigerer Steuersatz anzuwenden wäre als bei einer Steuerpflicht dieser Einkünfte.
2. Die Sache ist spruchreif.
Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen hat das FA im Rahmen seines Revisionsvorbringens die tarifliche Einkommensteuer zutreffend in Höhe von 44 932,40 DM angesetzt. Dies bedeutet insbesondere keine übermäßige Besteuerung. Im Übrigen verkennt das FG bei seiner Modellrechnung für den Streitfall, wonach die Steuer bei voller Steuerpflicht der Progressionseinkünfte niedriger wäre, dass die Steuerberechnung dann nicht mehr nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG vorzunehmen wäre. Das verbleibende zu versteuernde Einkommen wäre dann positiv.
Ende der Entscheidung
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