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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.11.2007
Aktenzeichen: V B 119/06
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 53 Abs. 2
FGO § 65 Abs. 2 Satz 2
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 119 Nr. 4
ZPO § 166
ZPO § 174 Abs. 1
ZPO § 174 Abs. 2
ZPO § 174 Abs. 4
ZPO § 174 Abs. 4 Satz 1
ZPO § 189
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
V B 118/06 V B 119/06

Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob am 15. und 16. November 2005 Klagen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) für die Streitjahre 1994 und 1995 vom 8. Juni 2005 sowie für die Streitjahre 1997 und 1998 vom 13. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 26. Oktober 2005 und 3. November 2005.

Mit Verfügungen vom 21. November 2005 forderte der Senatsvorsitzende des Finanzgerichts (FG) die Klägerin unter Setzung einer Frist mit ausschließender Wirkung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, bis spätestens 30. Dezember 2005 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen.

Die gesetzten Fristen wurden durch den Berichterstatter des FG antragsgemäß bis zum 20. Februar 2006 verlängert.

Innerhalb der verlängerten Fristen bezeichnete die Klägerin die Klagebegehren nicht.

Mit Gerichtsbescheiden vom 13. März 2006 wies das FG die Klagen als unzulässig ab. Die Gerichtsbescheide wurden dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. März 2006 zugestellt.

Die Klägerin beantragte am 26. April 2006 mündliche Verhandlungen. Am 27. April 2006 machte der Berichterstatter des FG den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Zustellung des Gerichtsbescheides aufmerksam.

Mit Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG vom 2. Mai 2006 wurden Termine zur mündlichen Verhandlung auf den 23. Mai 2006 bestimmt. Aufgrund von Anträgen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurden diese Termine durch Verfügung des Senatsvorsitzenden des FG vom 12. Mai 2006 aufgehoben. Diese Verfügungen enthalten eine weitere Terminbestimmung auf "Mittwoch, 21. Juni 2006, 11.30 Uhr" mit dem Zusatz "Eine Ladung zu diesem Termin wird noch gesondert ergehen". Durch weitere Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG wurden die Termine zur mündlichen Verhandlung auf den 21. Juni 2006 um 10.00 Uhr --nicht wie zuvor angekündigt um 11.30 Uhr-- bestimmt.

Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde die Ladung gegen Empfangsbekenntnis per Telefax übermittelt. Die Geschäftsstelle des FG erinnerte den Prozessbevollmächtigten vergeblich an die Rücksendung der Empfangsbekenntnisse. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte in der Folge telefonisch beim Berichterstatter die Verschiebung der Termine.

In den Terminen zur mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2006 um 10.00 Uhr --aufgerufen um 10.29 Uhr-- erschien für die Klägerin niemand. Die Sachen wurden in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verhandelt. Erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung um 10.34 Uhr erschien gegen 11.30 Uhr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in Begleitung des Geschäftsführers der Klägerin.

Mit Urteilen vom 21. Juni 2006 stellte das FG fest, dass die Gerichtsbescheide vom 13. März 2006 als Urteile wirken. Zur Begründung der Ordnungsmäßigkeit der Ladungen zur mündlichen Verhandlung führte es unter anderem aus, die Zustellung einer Ladung sei auch ohne Rücksendung des vollständig ausgefüllten Empfangsbekenntnisses wirksam, wenn der Empfänger das zuzustellende Schriftstück in Kenntnis der Zustellungsabsicht tatsächlich entgegengenommen habe. Bei Übersendung eines Schriftstücks gegen Empfangsbekenntnis sei --ebenso wie bei der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung)-- die Vermutung gerechtfertigt, dass der Zugang spätestens am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post erfolgt sei.

Im Streitfall sei die Klägerin ordnungsgemäß zu den Terminen der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2006 geladen worden. Die Ladungen seien durch Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG vom 24. Mai 2005 erfolgt. Die diesen Verfügungen entsprechenden Ladungen, in denen die Terminstunde mit 10.00 Uhr bezeichnet worden sei, seien dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis per Telefax am 24. Mai 2006 übermittelt worden. Da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Empfangsbekenntnisse nicht, wie es von ihm zu erwarten gewesen wäre, zurückgesandt habe, seien die Zustellungen auch ohne Rücksendung der vollständig ausgefüllten Empfangsbekenntnisse wirksam, da der Empfänger die zuzustellenden Schriftstücke in Kenntnis der Zustellungsabsicht tatsächlich entgegengenommen habe. Insoweit werte das FG die Äußerung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Nachgang zur mündlichen Verhandlung als unzutreffend. Denn die Sendeberichte vom 24. Mai 2005 dokumentierten eindeutig, dass die Ladungen an den Prozessbevollmächtigten abgesandt worden seien. Trotz weiterer, die Termine zur mündlichen Verhandlung betreffender Kontaktaufnahmen mündlicher und schriftlicher Art habe der Prozessbevollmächtigte zu keinem früheren Zeitpunkt gerügt, dass er die Ladungen nicht erhalten habe.

Dass frühere Verfügungen des Senatsvorsitzenden des FG die Terminstunde ursprünglich auf 11.30 Uhr gelegt hätten, stünde dem nicht entgegen. Die Verfügungen hätten lediglich die Aufhebung der Termine vom 23. Mai 2006 und die Ankündigung zum Gegenstand, dass neue Termine am 21. Juni 2006, 11.30 Uhr stattfänden, um der Klägerin und deren Prozessbevollmächtigtem entsprechende terminliche Dispositionen zu ermöglichen. Sie beinhalteten keine Ladung. Eine rechtliche Bindung habe insoweit nicht bestanden.

Gegen diese Urteile wendet sich die Klägerin mit den vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerden, mit denen sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Verletzung rechtlichen Gehörs, mangelnde Vertretung sowie Nichtberücksichtigung eines Beteiligtenwechsels des Beklagten als Verfahrensmängel rügt.

Im Wesentlichen trägt sie vor, das FG habe ihren Prozessbevollmächtigten nicht zu den Terminen am 21. Juni 2006, 10.00 Uhr geladen. Solche Ladungen seien dem Prozessbevollmächtigten weder im Original noch per Telefax zugegangen. Da auch keine Empfangsbekenntnisse vorgelegen hätten, hätten diese ebenfalls nicht an das FG übersandt werden können. Aufgrund der Terminankündigungen für den 21. Juni 2006 sei ihr Prozessbevollmächtigter davon ausgegangen, dass die Termine am 21. Juni 2006 um 11.30 Uhr stattfinden würden. Wegen Terminschwierigkeiten an diesem Tag habe sich dieser durch seine Sekretärin an das Gericht gewandt. Dieses sei bereit gewesen, die Termine auf 8.30 Uhr vorzuverlegen. Da jedoch der für nachmittags anberaumte Termin am 21. Juni 2006 habe verlegt werden können, habe es keiner Terminverschiebung mehr für den 21. Juni 2006 bedurft, so dass es bei den Terminen am 21. Juni 2006 habe verbleiben können. Entsprechend sei auch die Sekretärin des Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter verblieben. Dies habe dieser auch in einem Aktenvermerk vom 9. Juni 2006 so in der Akte vermerkt. Da der Prozessbevollmächtigte außer den Terminankündigungen keine anderweitigen Ladungen erhalten habe, sei er entsprechend den Terminankündigungen davon ausgegangen, dass die Termine am 21. Juni 2006 um 11.30 Uhr stattfinden würden. Dementsprechend sei er auch gegen 11.20 Uhr im Gerichtssaal erschienen.

II. 1. Die Verfahren werden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, weil es zweckmäßig ist, über die mit den gleichen Gründen erhobenen Beschwerden einheitlich zu entscheiden.

2. Die Beschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

a) Die Urteile des FG beruhen auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Klägerin war in den Terminen zur mündlichen Verhandlung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten und hat der Prozessführung insoweit auch nicht zugestimmt.

aa) Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 4 FGO gerügt. Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war und auch nicht der Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (vgl. § 119 Nr. 4 FGO). Eine mangelnde Vertretung ist auch dann gegeben, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist und deshalb nicht erschienen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juni 2002 III B 29/02, BFH/NV 2002, 1472, m.w.N.).

bb) Im Streitfall ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht ordnungsgemäß geladen worden.

Gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.d.F. des Art. 2 Abs. 19 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren vom 25. Juni 2001 (BGBl I 2001, 1206) kann einem Anwalt gemäß § 174 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein Schriftstück, wie die Ladung, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Die Zustellung kann nach § 174 Abs. 2 ZPO auch durch Telekopie bewirkt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 VII B 358/02, BFH/NV 2004, 531). Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO genügt zum Nachweis der Zustellung das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, welches auch durch Telekopie oder als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) an das Gericht zurückgesandt werden kann (§ 174 Abs. 4 Satz 2 ZPO; vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 531).

(1) Im Streitfall ist der Nachweis der vom FG angeordneten Zustellungen der Ladungen gegen Empfangsbekenntnis nicht erbracht.

Die Zustellung wird in § 166 ZPO als Bekanntgabe eines Schriftstückes in der im Einzelnen in der ZPO näher bestimmten Form definiert, während ihre Beurkundung (z.B. durch das anwaltliche Empfangsbekenntnis) dem Nachweis der Zustellung dient (so Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 11. Juli 2005 NotZ 12/05, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 3216; dem folgend BFH-Beschluss vom 21. Februar 2007 VII B 84/06, BStBl II 2007, 583; im Ergebnis auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 25. April 2005 1 C 6/04, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 130a VwGO Nr. 72, und BVerwG-Beschluss vom 17. Mai 2006 2 B 10/06, Die öffentliche Verwaltung 2006, 788).

Die Empfangsbekenntnisse befinden sich --anders als in dem Fall, der dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 531 zugrunde liegt-- nicht in den Gerichtsakten, so dass es an dem Nachweis der vom FG angeordneten Zustellungen der Ladungen gegen Empfangsbekenntnis nach § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO fehlt.

(2) Eine Heilung des sich hieraus ergebenden Formmangels wäre nach § 189 ZPO nur anzunehmen, wenn dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Ladungen tatsächlich zugegangen wären. Davon kann aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgegangen werden (vgl. BVerwG-Urteil in Buchholz 310, § 130a VwGO Nr. 72).

Insbesondere wegen der verschiedenen Möglichkeiten von Unterbrechungen und Störungen der Datenübermittlung im öffentlichen Netz, die nicht notwendigerweise im Ergebnisprotokoll des Sendegeräts registriert werden, kann durch ein Telefax-Sendeprotokoll weder der Zugang des Telefax bewiesen noch ein Anscheinsbeweis für einen Zugang erbracht werden (vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 1994 VIII ZR 153/93, NJW 1995, 665; Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 2. Dezember 1993 8 U 1043/93, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 1994, 1485). Entgegen der Rechtsansicht des FG kann daher bei Übersendung einer Ladung mittels Telekopie gegen Empfangsbekenntnis unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 27. September 2001 X B 145/00 (BFH/NV 2002, 212) nicht vermutet werden, dass der Zugang spätestens am "dritten Tag nach der Aufgabe zur Post" erfolgt sei, da es an einer solchen --anders als in dem vom BFH entschiedenen Streitfall-- bei der Übermittlung mittels Telekopie fehlt. Auch aus dem vom Gericht im Sitzungsprotokoll (Bl. 326) zitierten BFH-Beschluss vom 23. August 2005 VII B 153/05 (BFH/NV 2006, 309) ergibt sich nichts anderes, da dort der Zugang des Urteils auch ohne Rücksendung des Empfangsbekenntnisses nachgewiesen werden konnte, weil gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde erhoben worden war.

Anhaltspunkte dafür, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Ladung tatsächlich erhalten hat, ergeben sich im Streitfall auch nicht daraus, dass sich der Prozessbevollmächtigte bzw. dessen Mitarbeiterin um Terminverlegungen bemühte, wenn dem Prozessbevollmächtigten vorab mittels Verfügung des Senatsvorsitzenden des FG neue Termine am selben Tag --jedoch zu einer anderen Terminzeit als in der Ladung-- angekündigt wurden, und der Prozessbevollmächtigte zu dieser Terminzeit tatsächlich erscheint.

3. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidungen nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Rechtsstreite zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde --wie vorliegend-- nicht nur auf einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern auch auf weitere Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gestützt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Juni 2004 V B 2/04, BFH/NV 2004, 1554).

4. Da bereits der erörterte Verfahrensmangel zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG führt, kann auf sich beruhen, ob die von der Klägerin ferner geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen.

5. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz FGO abgesehen, der auch für das Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Anwendung findet (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2007 VIII B 154/06, BFH/NV 2007, 1910, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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