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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.12.2001
Aktenzeichen: V B 148/01
Rechtsgebiete: BGB, FGO, AO 1977, UStG 1993


Vorschriften:

BGB § 242
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
AO 1977 § 125 Abs. 1
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
UStG 1993 § 15 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 1. Juli 1996 gegründet. Unternehmensgegenstand sollte der Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit gebrauchten PKW und Ersatzteilen sein. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung wurde als Art der Tätigkeit "Taxi-Unternehmen" und der Gesamtumsatz für das Gründungsjahr mit 0 DM und für das Folgejahr mit 60 000 DM angegeben.

Da die Klägerin für das Streitjahr keine Steuererklärungen abgegeben hatte, wurde sie im Schätzungswege zur Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer veranlagt. Bei der Umsatzsteuer schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 60 000 DM und berücksichtigte 0 DM Vorsteuer (Umsatzsteuerbescheid vom 5. November 1998). Versehentlich wurde zunächst nur gegen den Gewerbesteuermessbescheid und den Körperschaftsteuerbescheid Einspruch eingelegt.

Im März 1999 reichte die Klägerin eine Umsatzsteuererklärung für 1996 ein, die lediglich Vorsteuer in Höhe von 616,62 DM auswies. Im September 1999 beantragte sie unter Bezugnahme auf ihre Umsatzsteuererklärung Änderung des Umsatzsteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und hilfsweise "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand". Das FA behandelte die Umsatzsteuererklärung als Einspruch, den es als verspätet verwarf (Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1999).

Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Einzelnen aus, dass der Umsatzsteuerbescheid nicht nichtig und der Einspruch verspätet gewesen sei. Es ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Einsprüche gegen den Gewerbesteuerbescheid (gemeint wohl: Gewerbesteuermessbescheid) und den Körperschaftsteuerbescheid umfassten auch die Anfechtung des Umsatzsteuerbescheids. Die Frage der Rechtzeitigkeit des Einspruchs könne jedoch dahinstehen, da der streitgegenständliche Bescheid auf derart fehlerhafter Grundlage ergangen sei, dass er als nichtig angesehen werden müsse. Insoweit werde vorliegend nicht das Schätzungsergebnis hinsichtlich der Umsatzsteuer angegriffen; angegriffen werde vielmehr die denknotwendig unrichtige und mithin bewusst und zielgerichtet zum Nachteil der Klägerin erfolgte Schätzung der Vorsteuer. Diese Verfahrensfragen hätten grundsätzliche Bedeutung, da das angefochtene Urteil "sowohl den auf allen Rechtsgebieten anwendbaren Grundsatz des § 242 BGB sowie insbesondere eine durch die Bundesgesetzgebung nicht entsprechend eingeschränkte Verletzung des Artikel 14 GG sowie einen erheblichen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 GG" beinhalte. Insoweit erscheine auch zur Rechtsfortbildung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung der Instanzgerichte die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erforderlich.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

a) Die Revision war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2001, 2068). Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar ist. Diese Voraussetzungen müssen in der Beschwerdeschrift dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Frage, wann ein fehlerhafter Schätzungsbescheid nichtig ist, bedarf keiner weiteren Klärung. Nach § 125 Abs. 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung der in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nach der Rechtsprechung des BFH führen selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides; anders verhält es sich nur, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 14. April 1989 III B 5/89, BFHE 156, 376, BStBl II 1990, 351; Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259).

Die Klägerin wendet sich in ihrer Beschwerdebegründung nicht gegen diese Grundsätze, sondern macht lediglich geltend, im Streitfall habe das FA grob fehlerhaft, bewusst und willkürlich zu seinem Nachteil geschätzt. Damit ist keine Frage aufgeworfen, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht. Dies gilt auch insoweit, als die Klägerin geltend macht, die Vorentscheidung verletze Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG) und den Grundsatz des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

b) Die Revision war auch nicht zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Voraussetzung einer Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ist, dass der Streitfall Veranlassung gibt, Leitsätze zur Auslegung des Gesetzes aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 147). Es ist nicht ersichtlich und in der Beschwerdegründung auch nicht dargelegt, inwiefern eine Revisionsentscheidung in der vorliegenden Sache einer derartigen Fortbildung des Rechts dienen könnte.

c) Schließlich war die Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, wenn eine divergierende Rechtsprechung verhindert oder beseitigt werden soll (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Juli 2001 X B 46/01, BFH/NV 2001, 1596, und in DStR 2001, 2068, sowie Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 115 FGO Rz. 170). Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, inwiefern eine den Streitfall betreffende divergierende Rechtsprechung besteht oder zu erwarten ist. Insofern fehlt es bereits an der Darlegung der Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

Darüber hinaus können nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/4061 vom 11. September 2000, abgedruckt bei Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 115 FGO Rz. 64) auch Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren, wenn sie z.B. von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Bloße Einwände gegen die Richtigkeit des Urteils reichen aber für die Revisionszulassung nicht aus (vgl. BFH in BFH/NV 2001, 1596).

An einem derartigen Fehler, der eine Gefahr für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung mit sich bringen könnte, leidet die Vorentscheidung nicht.

Der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 setzt Rechnungen voraus, in denen die Steuer gesondert ausgewiesen ist. Der Mangel der fehlenden Rechnung kann nicht durch Schätzung behoben werden (BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 V R 75/78, BFHE 146, 569, BStBl II 1986, 721). Eine Schätzung der Vorsteuer kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 UStG Rz. 74 ff.). Das FA hatte deshalb keine Veranlassung, Vorsteuer zu schätzen, solange die Klägerin keine Vorsteuer geltend gemacht hatte. Jedenfalls leidet die Vorentscheidung nicht deshalb unter einem schwerwiegenden Fehler, weil sie eine Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids mangels einer Schätzung von Vorsteuern verneint.

Ende der Entscheidung

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