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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.09.2007
Aktenzeichen: V B 169/07
Rechtsgebiete: UStG, FGO


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b n.F.
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 7
FGO § 128 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist unter anderem der Betrieb von Geldspielautomaten.

Mit ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für das I. Kalendervierteljahr 2007 vom 31. Mai 2007 erklärte die Antragstellerin steuerpflichtige Umsätze von 22 980 € und Vorsteuerbeträge von 767,06 €. Sie ermittelte eine Umsatzsteuervorauszahlung von 3 599,14 €.

Gleichzeitig legte die Antragstellerin gegen diese Umsatzsteuervoranmeldung unter Berufung auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) --nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vom 28. November 2006 (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 347, 1)-- Einspruch ein --über den der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) noch nicht entschieden hat-- und beantragte in Höhe der ermittelten Umsatzsteuervorauszahlung Aussetzung der Vollziehung (AdV).

Mit Verfügung vom 6. Juni 2007 lehnte das FA die AdV ab.

Der im Anschluss daran beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag hatte Erfolg. Zur Begründung seines Beschlusses führte das FG im Wesentlichen aus, es beständen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuervoranmeldung. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides seien auch dann gegeben, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von einer in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Beurteilung abhänge. Dies sei der Fall, wenn der Bundesfinanzhof (BFH) die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden habe und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte insoweit unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.

So sei es im Streitfall. Der 16. Senat des Niedersächsischen FG habe in seinem Beschluss vom 22. Mai 2007 (16 V 137/07) keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG n.F.) i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung vom 28. April 2006 (BGBl I 2006, BStBl I 2006, 353) geäußert. Dagegen habe das FG Düsseldorf es in seinem Beschluss vom 27. März 2007 5 V 4521/06 A(U) (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2007, 455) jedoch als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob die Vorschrift europarechtskonform sei. Ein sicheres Präjudiz für die Gemeinschaftsrechtskonformität lasse sich auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht entnehmen. Zweifel daran würden auch von einem Teil des Schrifttums geäußert, während ein anderer Teil keine diesbezüglichen Bedenken habe.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es führt aus: Zum einen berechtigten nicht bereits unterschiedliche Auffassungen zweier Finanzgerichte in einem summarischen Verfahren zur AdV. Zum anderen beständen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. verstoße nicht gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL). Die Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet, alle "Glücksspiele mit Geldeinsatz" von der Umsatzsteuer zu befreien, vielmehr stehe ihnen ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der es ihnen erlaube, bestimmte Glücksspiele der Besteuerung zu unterwerfen. Davon gehe auch Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen vom 3. März 1994 Rs. C-38/93, Glawe (Slg. 1994, I-1679 Randnr. 10) aus.

Auch der Neutralitätsgrundsatz verbiete die Besteuerung bestimmter Glücksspielumsätze nicht, sofern alle gleichartigen Glücksspiele erfasst würden. Die Gleichbehandlung aller sonstigen Glücksspiele innerhalb und außerhalb öffentlich zugelassener Spielbanken, mit Ausnahme der dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterliegenden Umsätze, in der Weise, dass diese Umsätze besteuert würden, verletze nicht Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL). Der Begriff der "Bedingung" in dieser Bestimmung sei dahingehend zu verstehen, dass er den Mitgliedstaaten freistelle, die Voraussetzungen festzuschreiben, unter denen vom Vorliegen eines Glücksspiels auszugehen ist. Auch der systematische Zusammenhang der Richtlinienvorschrift spreche dafür, dass der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten größere Freiheiten auf der Tatbestandsseite der Befreiungsbestimmungen eingeräumt habe.

Das FA beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Niedersächsischen FG vom 13. Juli 2007 5 V 208/07 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das FG ist nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BFH-Beschluss vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; in BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87).

Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267, unter II. 1., m.w.N., und vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484).

2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass der BFH bislang zu der streitigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit der Richtlinienbestimmung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL insoweit vereinbar ist, als er "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" im Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt. Diese Rechtsfrage war im Gesetzgebungsverfahren und ist im Schrifttum umstritten. Das Für und Wider hat das FG insbesondere auch unter Verweis auf den Beschluss des FG Düsseldorf in UR 2007, 455 dargelegt (die Richtlinienkonformität bejahen: Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks 15/5558, Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 15/5812; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, 11, Begründung II. Besonderer Teil, zu Art. 2; Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 16/749, zu den Nummern 5 bis 7; Klenk in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Rz 133.2, a.E.; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 9 Rz 14 und 15j; Dziadkowski, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 685, 688; derselbe, Der Umsatz-Steuer-Berater --UStB-- 2007, 16; Jahndorf/Oellerich, UR 2007, 457. Die Richtlinienkonformität verneinen: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BRDrucks 326/05, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BRDrucks 937/05, Nr. 5, Zu Art. 2 Nr. 1; dem folgend Thill/Puls, UStB 2006, 166, 168 ff.; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, E § 4 Nr. 9 Rz 211 ff.). Ferner hat das FG unter Heranziehung von EuGH-Entscheidungen ausgeführt, dass sich diesen kein sicheres Präjudiz für eine Gemeinschaftsrechtskonformität der Regelung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. entnehmen lässt und seine Zweifel darauf gestützt.

Dies genügt für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 311, sowie Korf, IStR 2007, 519 - Anm. zum Beschluss des FG Düsseldorf vom 27. März 2007 5 V 4521/06 A(U)).

Ende der Entscheidung

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