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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.03.2000
Aktenzeichen: V B 170/99
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, UStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 6b
AO 1977 § 42
UStG § 15a
FGO § 128 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 2 Satz 3
FGO § 69 Abs. 2 Satz 4
FGO § 69 Abs. 2 Satz 5
FGO § 69 Abs. 2 Satz 6
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine Grundbesitz-Verwaltungsgesellschaft, errichtete in der Zeit von Oktober 1993 bis August 1995 ein mehrgeschossiges Bürogebäude (Bauvolumen ca. ... Mio. DM) und vermietete es ab dem 1. September 1995 bis zum 31. Dezember 2005 an die A-Bank als alleinige Mieterin. Die Antragstellerin ist eine offene Handelsgesellschaft. Gesellschafter sind die A-Bank mit einer Beteiligung von 69 %, die B-GmbH --eine Beteiligungsgesellschaft und 100 %ige Tochter der A-Bank-- mit einer Beteiligung von 31 % sowie die A-Grundbesitz Verwaltungsgesellschaft mbH, die selbst vermögensmäßig nicht beteiligt ist.

Die Mittel für den Bau des Gebäudes hatte die Antragstellerin von den beiden vermögensmäßig beteiligten Gesellschaftern zunächst im Wege von Gesellschafterdarlehen erhalten; das Baugrundstück war von der A-Bank im Wege der Sacheinlage zur Verfügung gestellt worden. Vor dem Beginn der Vermietung im Jahr 1995 übertrugen --entsprechend ihrer Beteiligung-- die A-Bank ... DM und die B-GmbH ... DM auf die Antragstellerin. Diese Beträge stammten aus Rücklagen nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Gesellschafter. Hierdurch löste die Antragstellerin die zuvor von denselben Gesellschaftern gewährten Darlehen ab.

Ab 1992 beantragte die Antragstellerin im Zusammenhang mit den im Rahmen der Errichtung des Gebäudes in Anspruch genommenen Leistungen den Vorsteuerabzug.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) versagte im Anschluss an eine (zweite) Umsatzsteuer-Sonderprüfung den beantragten Vorsteuerabzug in geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1992 bis 1996 sowie in den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden für Januar, März und Juli 1997. Das FA ging davon aus, dass durch die Einschaltung der Antragstellerin bei Errichtung des Bürogebäudes für die an ihr beteiligte A-Bank eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliege, da die gewählte rechtliche Gestaltung zur Erreichung des angestrebten Ziels unangemessen sei, nur der Steuerminderung dienen solle und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen sei. Durch eine Gegenüberstellung der steuerlichen Auswirkungen bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums gemäß § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) hatte das FA einen Vorsteuerüberhang von ca. ... Mio. DM ermittelt.

Gegen die aufgrund dieser Rechtsauffassung ergangenen Bescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte beim FA erfolglos die Aussetzung der Vollziehung in Höhe von insgesamt ... DM.

Ihr sodann beim Finanzgericht (FG) gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte Erfolg. Das FG führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Im Streitfall sprächen erhebliche Gründe für einen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO 1977. Gleichwohl habe der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf dieser Rechtsauffassung beruhenden Umsatzsteuerbescheide. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien bei der Beurteilung des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts die Grundsätze zur "Vorschaltung" von Ehegatten auf die Vorschaltung von Gesellschaften entsprechend anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1996 XI R 12/96, BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374; vom 29. Januar 1997 XI R 27/95, BFH/NV 1997, 816). Übertrage man dementsprechend diese Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt, so seien ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide angebracht. Denn nach dem Vortrag der Antragstellerin seien die Rücklagen nach § 6b EStG von den Gesellschaftern auf die Antragstellerin als Eigenmittel zur Finanzierung der Baukosten spätestens vor Beginn der Vermietung des Gebäudes an die A-Bank im September 1995 übertragen worden, so dass der Antragstellerin die Lastentragung aus eigener wirtschaftlicher Kraft ermöglicht worden sei. Die Antragstellerin habe mithin --wegen der genügenden Ausstattung mit Eigenmitteln-- keine Aufwendungen für Zins und Tilgung mehr erbringen müssen und habe die laufenden Kosten der Gebäudeerhaltung mit den laufenden Mieteinnahmen wirtschaftlich selbst tragen können.

Gegen diesen Beschluss --der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1314 veröffentlicht ist-- hat das FA die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Beschwerde eingelegt. Es macht zur Begründung im Wesentlichen geltend: Die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätze zur "Vorschaltung" von Ehegatten seien nicht uneingeschränkt auf den Streitfall anwendbar. Die A-Bank habe zwar die Antragstellerin --durch Übertragung der Rücklagen gemäß § 6b EStG und Ablösung der Gesellschafterdarlehen-- so gestellt, dass sie die Lasten aus dem Grundstück aus eigenen Mitteln habe erbringen können. Die A-Bank sei aber zu 100 % an der Antragstellerin beteiligt, so dass es ihr völlig freistehe, die Vermögenswerte, die sie der Antragstellerin zur Errichtung des Bankgebäudes zugewendet habe, später --beispielsweise durch Herabsenkung des Gesellschaftskapitals oder durch die Auflösung der Gesellschaft-- wieder an sich zurückzuführen. Insofern unterscheide sich der Sachverhalt von dem bei der "Vorschaltung" von Ehegatten zugrunde gelegten Sachverhalt.

Das FA beantragt, den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1992 bis 1996 sowie der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Januar, März und Juli 1997 in Höhe von ... DM unter Aufhebung des angefochtenen FG-Beschlusses abzulehnen.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte ausgesetzt.

1. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen; dabei gelten § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO sinngemäß. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, unter II. 2. a, m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte zu bejahen.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des --seinerzeit ebenfalls für das Umsatzsteuerrecht zuständigen-- XI. Senats des BFH bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art die Rechtsprechung zur "Vorschaltung" von Ehegatten entsprechend anzuwenden ist (vgl. Urteile in BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374, und in BFH/NV 1997, 816). Die --im vorliegenden Fall streitige und entscheidungserhebliche-- Frage, ob und ggf. welche Modifizierung dieser Ehegatten-Rechtsprechung im Falle der Vorschaltung von Gesellschaften geboten ist, ist indes noch nicht abschließend geklärt. Der erkennende Senat hat sich mit dieser Rechtsfrage noch nicht befasst. Für deren Klärung ist im vorliegenden Beschlussverfahren nach der dargelegten Rechtsprechung kein Raum. Vielmehr sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gegeben, wenn --wie hier-- eine Rechtsfrage von der in der Rechtsprechung ungeklärten Beurteilung abhängt, ob eine Gestaltung missbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977 ist (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz. 314, m.w.N.).

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