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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 25.04.2002
Aktenzeichen: V B 174/01
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 a.F.
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 119 Nr. 3
FGO § 155
ZPO § 227
ZPO § 227 Abs. 1
ZPO § 227 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wies in zwei Rechnungen an die S-AG (AG) mit dem Datum des 31. Dezember 1993 u.a. für die Projektvorbereitung zur Errichtung eines Seniorenheims 530 000 DM und 79 500 DM Umsatzsteuer und u.a. für die Projektvorbereitung eines Bauvorhabens in K 940 000 DM und 141 000 DM Umsatzsteuer aus.

Die Klägerin erklärte für 1993 nur Vorsteuerbeträge und keine Umsatzsteuer für ausgeführte Umsätze. Nach einer Steuerfandungsprüfung gelangte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu der Überzeugung, dass die Klägerin die berechneten Leistungen nicht ausgeführt habe. Er erhöhte die Umsatzsteuer für 1993 in dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 15. Mai 1998 um 220 500 DM, weil die Klägerin in den beiden erwähnten Rechnungen Steuerbeträge gesondert ausgewiesen habe, obwohl sie die berechneten Leistungen nicht erbracht habe. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA zurück.

Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Steuerfestsetzung für 1993, weil die Klägerin die Leistungen für das Seniorenheim nicht und für das Bauvorhaben in K nicht vollständig erbracht habe. Eine Rechnungsberichtigung scheide aus, weil die Klägerin Zweifel nicht ausgeräumt habe, ob die AG etwa in Anspruch genommene Vorsteuern durch Verrechnung mit einem Guthaben aus 1996 zurückgezahlt habe.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin u.a. die Verletzung von Verfahrensrecht, weil das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. September 2001 nicht verlegt und ihr damit die Möglichkeit genommen habe, dass sie --wie sie unter Zeugenbeweis gestellt habe-- erneut hätte geltend machen können, dass die AG nur einen geringen Teil der berechneten Steuer als Vorsteuer abgezogen und --soweit dies geschehen sei-- mit Guthaben verrechnet habe. Das FG habe dies nicht selbst aufgeklärt und deshalb seine Amtsaufklärungspflicht verletzt.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

2. Die Zulässigkeit der Beschwerde bestimmt sich gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) nach den vom 1. Januar 2001 an geltenden Vorschriften, wenn die Entscheidung nach dem 31. Dezember 2000 verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt wurde; danach ist insoweit das neue Recht anzuwenden.

3. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

a) Die Klägerin hatte einen Rechtsanspruch auf Aufhebung des Termins. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 und Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs aufgehoben oder verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Aufhebung oder Verlegung des Termins verzögert wird. Welche Gründe dabei als erheblich i.S. des § 227 ZPO anzusehen sind, richtet sich je nach Lage des Einzelfalles nach dem Prozessstoff und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 2001 V B 224/00, BFH/NV 2002, 520).

Im Streitfall hatten die in der Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwaltsgesellschaft) verbundenen Rechtsanwälte derartige erheblichen Gründe durch Vorlage von Urkunden hinreichend glaubhaft gemacht. Rechtsanwalt K war am Tag der mündlichen Verhandlung als Zeuge vor dem Landgericht geladen und Rechtsanwalt H war an diesem Tag als Verteidiger bei einer zuvor terminierten mehrtägigen Strafsache tätig. Die ebenfalls als Rechtsanwältin bei der Prozessbevollmächtigten tätige Fachanwältin für Familienrecht J war bisher nicht mit der Sache befasst. Angesichts der Bedeutung der Angelegenheit und des Umstands, dass Rechtsanwalt K dem FG in dem Schriftsatz vom 30. August 2001 mit dem Antrag auf Terminsverlegung angeboten hatte, rund einen Monat später (am 26. Oktober 2001) von München zum Gerichtsort nach X zu reisen, hätte das FG dem Verlegungsantrag entsprechen oder durch Gerichtsbescheid entscheiden müssen.

Die Verletzung des Rechts auf Gehör stellt gemäß § 119 Nr. 3 FGO einen absoluten Revisionsgrund dar, bei dem die Vorentscheidung ohne weitere Prüfung als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Infolgedessen ist unerheblich, ob die Klage in der Sache voraussichtlich Erfolg haben wird.

b) Hinzu kommt, dass das FG den Sachverhalt, den es im Zusammenhang mit der Rechnungsberichtigung für entscheidungserheblich hielt, nicht vollständig aufgeklärt und dadurch gegen § 76 Abs. 1 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen hat.

Es hat zwar --zutreffend-- auf die Nachweislast der Klägerin hingewiesen, die sie als Ausstellerin einer Rechnung über nicht erbrachte Leistungen, die mit gesondert ausgewiesenem Steuerbetrag abgerechnet werden, trägt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 8. März 2001 V R 61/97, BFHE 194, 517, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2001, 312, unter II. 3. b). Das FG hat aber nicht beachtet, dass es dazu mit Hilfe des FA feststellen muss (vgl. BFH-Urteil vom 22. März 2001 V R 11/98, BFHE 194, 528, UR 2001, 355, unter II. 3.), ob und in welchem Umfang der Rechnungsaussteller unberechtigt Vorsteuerbeträge erfolgreich abgezogen hat und ob er sie zurückgezahlt hat. Diese Nachweise kann der Rechnungsaussteller regelmäßig nicht führen, weil er wegen des Steuergeheimnisses (§ 30 der Abgabenordnung --AO 1977--) keine sachdienlichen Auskünfte über die steuerlichen Verhältnisse beim Rechnungsempfänger von den für ihn zuständigen Finanzbehörden erhalten kann (ggf. kommt eine Hinzuziehung oder Beiladung des Rechnungsempfängers zum Verfahren in Betracht, vgl. BFH-Beschluss vom 1. Februar 2001 V B 199/00, BFHE 194, 23, BStBl II 2001, 418). Die Klägerin hatte im Übrigen substantiiert Zeugenbeweis angetreten, dass die Gefährdung des Steueraufkommens in der angenommenen Höhe nicht bestanden hatte.

4. Gemäß § 116 Abs. 6 FGO kann bei erfolgreicher Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, der insoweit mit § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. übereinstimmt, das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Mai 2001 III B 52/00, BFH/NV 2001, 1419). Davon wird im Streitfall Gebrauch gemacht.

Es erscheint dem Senat angezeigt, darauf hinzuweisen, dass den bisherigen Feststellungen des FG nicht zu entnehmen ist, ob die Rechnungen vom 31. Dezember 1993 auch noch in diesem Jahr von der Klägerin an die AG ausgegeben worden sind.

Ende der Entscheidung

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