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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 10.11.2002
Aktenzeichen: V B 190/01
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 170 Abs. 2
AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 171 Abs. 3
AO 1977 § 171 Abs. 3 a
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, die sich in den Streitjahren 1991 und 1992 in Liquidation befand, erstellte zunächst, weil ihr Buchführungswerk hierzu keine Grundlage bot, keine Jahresabschlüsse für die Jahre 1991 und 1992. Weil die Klägerin auch keine Umsatzsteuererklärung für 1991 abgab, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom 23. Juli 1993. Zur Begründung ihres Einspruchs legte die Klägerin am 8. September 1993 zwar keinen Jahresabschluss aber eine Umsatzsteuererklärung für 1991 vor, die vom damaligen Leiter der Finanzen, Herrn A, mit dem Zusatz "i.A." eigenhändig unterschrieben war. Das FA stimmte der Umsatzsteuererklärung zunächst zu, erließ jedoch im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung am 12. Mai 1995 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1991. Mit dem Einspruch gegen diesen Bescheid begehrte die Klägerin, den Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. Das FA beschied diesen Einspruch nicht förmlich, weil es davon ausging, dass der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 4 der Abgabenordnung --AO 1977--) wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist entfallen sei.

Auch die am 22. Oktober 1993 eingereichte Umsatzsteuererklärung für 1992 trug die Unterschrift "i.A. A.". Das FA setzte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Umsatzsteuersonderprüfung abweichend von der Erklärung mit Bescheid vom 10. Mai 1995 die Umsatzsteuer für 1992 fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch nahm die Klägerin zurück. Mit Bescheid vom 24. Januar 1996 änderte das FA den Umsatzsteuerbescheid für 1992 erneut. Auch dieser Bescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, wurde bestandskräftig.

Am 8. Mai 1998 reichte die Klägerin unter Bezugnahme auf die nunmehr vorliegenden Jahresabschlüsse berichtigte Umsatzsteuererklärungen für 1991 und 1992 ein und begehrte eine entsprechende Herabsetzung der Umsatzsteuer bzw. für 1992 eine Erstattung.

Das FA lehnte mit der Begründung, die Festsetzungsverjährung sei bereits eingetreten, eine Änderung der Bescheide ab. Der Einspruch, mit dem die Klägerin im Wesentlichen geltend machte, die Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, weil die Erklärungen nicht vom gesetzlichen Vertreter, dem Liquidator, sondern von dem insoweit nicht vertretungsberechtigten früheren Angestellten A unterzeichnet worden sei, hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 bezwecke, der Steuerverwaltung ausreichend Zeit zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen einzuräumen. Dazu stelle die Regelung auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht, die Abgabe der Steuererklärung, erfüllt habe. Typisierend gehe der Gesetzgeber davon aus, dass nach Abgabe der Steuererklärung ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren ausreiche, die Besteuerungsgrundlagen abschließend zu ermitteln. Die Anlaufhemmung ende deshalb, wenn das FA aus der Steuererklärung die richtigen Schlüsse auf den Steuerschuldner und die zu veranlagende Steuer ziehen könne und in Kenntnis des Umstandes, dass die Steuererklärung von einem Dritten stamme, die Steuererklärung zur Grundlage der Veranlagung mache. Ob das Ende der Festsetzungsfrist sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Steuerpflichtigen bzw. der Finanzverwaltung auswirke, sei unerheblich. Ein schutzwürdiges Interesse des Steuerpflichtigen bestehe nicht, denn dieser habe die Möglichkeit, die Steuerfestsetzung anzufechten und damit den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO 1977 bzw. § 171 Abs. 3 a AO 1977 zu hemmen.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Grundsätzliche Bedeutung habe die Frage, welche Anforderungen an eine Umsatzsteuererklärung in formeller Hinsicht zu stellen sei und ob der Fristbeginn des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 von einer ordnungsgemäß unterschriebenen Umsatzsteuererklärung abhänge oder auch eine unvollständige Umsatzsteuererklärung ausreiche. Die bisher ergangenen Urteile hätten keine Klärung herbeigeführt.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung liegen nicht vor.

Mit Urteil vom 8. März 1979 IV R 75/76 (BFHE 127, 479, BStBl II 1979, 501) hat der Bundesfinanzhof (BFH) für die Anwendung des § 145 Abs. 2 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO), der Vorläufervorschrift zu § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, entschieden, der Zweck der Vorschrift erfordere ein weiteres Hinausschieben des Beginns der Verjährungsfrist nicht, wenn das FA durch das Einreichen einer Steuererklärung in die Lage versetzt wird, die Veranlagung gegenüber dem Steuerschuldner durchzuführen. Eine vom Dritten eingereichte Steuererklärung erfülle diese Voraussetzungen jedenfalls dann, wenn das FA aus der Steuererklärung die richtigen Schlüsse auf den Steuerschuldner und die zu veranlagende Steuer ziehen könne und in Kenntnis des Umstandes, dass die Steuererklärung von einem Dritten stamme, diese Steuererklärung zur Grundlage der Veranlagung mache. § 170 Abs. 2 AO 1977 --ebenso die Vorläufervorschrift in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO-- gehen davon aus, dass ein Großteil der Steuerpflichtigen die Steuererklärung erst geraume Zeit nach Entstehen des Steueranspruchs abzugeben pflegt, und schieben den Beginn der Festsetzungsverjährung in den Fällen hinaus, in denen eine Steuererklärung abzugeben ist. Ein Hinausschieben des Beginns der Verjährung erschien dem Gesetzgeber aber nicht erforderlich, wenn vor Ablauf dieses Zeitraums eine Steuererklärung eingereicht wird. Für ein Hinausschieben des Beginns der Festsetzungsfrist ist deshalb kein Raum, wenn das FA in Kenntnis dessen, dass die Steuererklärung von einem Dritten stammt, diese zur Grundlage der Veranlagung machen kann. Diese Auffassung steht, worauf das FG zutreffend hinweist, auch im Einklang mit der insoweit einhelligen Auffassung in der Literatur (z.B. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 170 AO 1977 Rz. 15; Hartmann in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 170 AO 1977 Rz. 19; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, § 170 Rz. 13; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 170 AO 1977 Rz. 12; Baum in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 170 Rz. 7; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 170 Rz. 5).

Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen betreffen, wie sie selbst einräumt, andere Sachverhalte; eine überhaupt nicht unterzeichnete Einkommensteuererklärung kann vorbehaltlich der Nachholung der --sofern erforderlich fristgemäßen-- Unterschriftsleistung ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren nicht in Gang setzen (BFH-Urteil vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203).

Auch aus der Rechtsprechung zur Frage, ob das FA tätig werden darf oder muss, wenn Voraussetzung für dessen Tätigwerden ein mit einer Ausschlussfrist verknüpfter Antrag ist (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 1998 III R 5/97, BFH/NV 1999, 363; vom 15. Oktober 1998 III R 58/95, BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237, und vom 10. Oktober 1986 VI R 208/83, BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77), ergeben sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine weiteren Gesichtspunkte für die von ihr herausgestellte und im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob das FA sich hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist auf das Fehlen einer Steuererklärung berufen darf. Die zitierten Entscheidungen betreffen Sachverhalte, in denen das Tätigwerden des FA einen dem Steuerpflichtigen zurechenbaren Antrag voraus setzt, während bei der Erhebung der Umsatzsteuer das FA ungeachtet dessen, dass eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen ist, tätig werden kann und muss und ggf. die Steuer auf der Grundlage geschätzter Besteuerungsgrundlagen festsetzen darf.

Aus den gleichen Gründen kommt auch eine Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht in Betracht. Ein Grund, die Revision wegen einer Abweichung der Vorentscheidung von der Rechtsprechung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, besteht nicht, weil die Vorentscheidung nicht von den Entscheidungen des BFH abweicht, sondern diese auf den Streitfall anwendet.

Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.

Ende der Entscheidung

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