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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.07.1998
Aktenzeichen: V B 23/98
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 56 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Satz 1
FGO § 155
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Mit Urteil vom 24. November 1997 wies das Finanzgericht (FG) eine Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen einen an sie gerichteten Umsatzsteuer-Haftungsbescheid für die Jahre 1991 bis 1993 ab. Das Urteil wurde den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 16. Dezember 1997 zugestellt. Am 19. Januar 1998, einem Montag, ging beim FG ein Telefax ein, mit dem die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gegen dieses Urteil Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, wurde vom FG an den Bundesfinanzhof (BFH) weitergeleitet.

Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats teilte den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 18. Februar 1998 mit, daß die Nichtzulassungsbeschwerde verspätet erhoben worden sei, und wies in diesem Zusammenhang auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin. Das Schreiben wurde den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 20. Februar 1998 zugestellt. Die Klägerin beantragte mit Telefax ihrer zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 6. März 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die versäumte Einhaltung der Beschwerdefrist.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führten die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten aus, die Fristversäumung beruhe auf einer unzutreffenden telephonischen Auskunft einer Hilfskraft in der Kanzlei der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten. Am 14. Januar 1998 habe eine Besprechung der Gesellschafter der Klägerin mit zwei Rechtsanwälten aus der Kanzlei der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten in deren Kanzleiräumen stattgefunden. Einer der beiden Rechtsanwälte, Rechtsanwalt X, ist Partner in dieser Anwaltssozietät. Dabei habe man festgestellt, daß die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten den Gesellschaftern der Klägerin nur eine unvollständige Kopie des FG-Urteils überlassen und nicht mitgeteilt hätten, wann das Urteil ihnen zugestellt worden sei. Aus diesem Grunde habe Z als einer der Gesellschafter der Klägerin während der Besprechung bei den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten angerufen und u.a. nach dem Datum der Zustellung gefragt, weil die Prozeßangelegenheit ab sofort durch die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten weiterbearbeitet würde. Eine in dieser Kanzlei beschäftigte Hilfskraft habe ihm daraufhin das Datum 19. Januar 1998 genannt, welches die Teilnehmer der Besprechung fortan ihrer weiteren Planung im Hinblick auf eine Rechtsmitteleinlegung zugrunde gelegt hätten. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts legte die Klägerin eidesstattliche Versicherungen der beiden an der Besprechung beteiligten Rechtsanwälte vor. Es habe kein Anlaß bestanden, an der Richtigkeit der telephonischen Auskunft zu zweifeln, zumal die Geschäftsstelle des FG das Urteil einige Tage vor diesem Datum ausgefertigt habe.

Die Klägerin beantragt, die Revision gegen die Vorentscheidung zuzulassen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat die Monatsfrist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht eingehalten (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO). Wegen der bereits am 16. Dezember 1997 durchgeführten Zustellung des FG-Urteils an die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist die Beschwerdefrist schon am 16. Januar 1998, einem Freitag, abgelaufen.

Der Klägerin ist im Hinblick auf die Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO), da ihr das Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist (vgl. dazu allgemein BFH-Beschluß vom 29. April 1997 VIII B 5/97, BFH/NV 1997, 790). Die von den Prozeßbevollmächtigten zu beachtenden Sorgfaltspflichten ergaben sich aufgrund der mit der Klägerin eingegangenen Dienstverträge, die Geschäftsbesorgungen zum Gegenstand hatten (vgl. dazu allgemein BFH-Urteil vom 27. Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob bereits die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten eine für die Fristversäumung ursächliche Pflichtverletzung dadurch begangen haben, daß sie das Zustelldatum des FG-Urteils der Klägerin zunächst offenbar überhaupt nicht und später auf Nachfrage nur fernmündlich und überdies inhaltlich unzutreffend durch eine Hilfskraft in ihrer Kanzlei mitgeteilt haben. Denn unabhängig davon haben die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nach dem Vortrag der Klägerin in der Person des Sozietätpartners Rechtsanwalt X in jedem Fall ihre sich aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt. Rechtsanwalt X hat es nämlich verabsäumt, die Richtigkeit der telephonischen Auskunft über das Zustelldatum zu überprüfen. Zu den Aufgaben des mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragten Rechtsanwalts gehört auch die Klärung der Frage der Zustellung, ggf. die Feststellung des Zustellungszeitpunkts des erstinstanzlichen Urteils (vgl. Bundesgerichtshof --BGH--, Beschluß vom 18. Dezember 1985 I ZR 171/85, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 1986, 614, m.w.N., zur parallelen Vorschrift des § 233 ZPO). Da es sich dabei um die Prüfung einer Zulässigkeitsvoraussetzung eines Rechtsmittels handelt, fällt diese Aufgabe in den eigenen Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts (vgl. BGH-Beschluß vom 25. Mai 1993 VI ZB 32/92, Versicherungsrecht --VersR-- 1994, 199, m.w.N.). Im Streitfall konnten die Gesellschafter der Klägerin bei der Besprechung am 14. Januar 1998 keine aussagekräftigen schriftlichen Unterlagen über das Zustelldatum vorlegen. Rechtsanwalt X war daher gehalten, entsprechende Nachforschungen anzustellen.

Bei der Einholung einer bloß fernmündlichen Auskunft von einer Hilfskraft aus der Kanzlei der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, die ihm zudem nur indirekt (durch einen der Gesellschafter der Klägerin) übermittelt wurde, durfte es der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte nicht bewenden lassen (vgl. dazu allgemein BGH-Beschluß in VersR 1994, 199; Greger in Zöller, Zivilprozeßordnung, § 233 Rn. 23 "Mehrere Anwälte"; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl., § 233 Rz. 65). Zum einen besteht bei einer telephonischen Übermittlung von Daten die Gefahr eines Hörfehlers (vgl. BGH-Beschlüsse vom 26. September 1990 VIII ZB 24/90, NJW-RR 1991, 91, m.w.N., sowie in VersR 1994, 199). Zum anderen konnte er nicht beurteilen, ob das genannte Datum von den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten selbst festgestellt worden war und ob man den Mitteilungen der auskunfterteilenden Person vertrauen konnte, etwa weil es sich bei ihr um eine zuverlässige, entsprechend geschulte und für die Erteilung von Auskünften zuständige Bürokraft handelte. In dem letztgenannten Gesichtspunkt unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem von der Klägerin angeführten BGH-Beschluß vom 20. März 1996 VIII ZB 7/96 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 831) zugrunde lag (dort ging es um die Auskunft der eigenen, zuverlässig arbeitenden Kanzleiangestellten gegenüber einem Rechtsanwalt). Die Erwägungen im BGH-Beschluß vom 22. Januar 1997 XII ZB 195/96 (VersR 1997, 598) sind auf den Streitfall ebenfalls nicht anwendbar, weil der Rechtsanwalt in jenem Fall immerhin auf zwei Informationsquellen zurückgegriffen hat (Auftragsschreiben als schriftliche Unterlage und zusätzlich telephonische Rückfrage beim erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten). Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte hätte die Richtigkeit des mitgeteilten Zustelldatums z.B. durch eine fernmündliche Nachfrage beim FG oder Anforderung einer schriftlichen Bestätigung durch die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten verifizieren müssen. Sein Verschulden war auch ursächlich für die Versäumung der Beschwerdefrist, da diese bei Einholung der richtigen Information noch hätte gewahrt werden können.



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