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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: V B 32/01
Rechtsgebiete: FGO, UStG 1991/1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

FGO § 69
UStG 1991/1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 2 Nr. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 2
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein Unternehmer, der Vertriebsagenten ohne besonders berechnetes Entgelt zum Einsatz befördert und anlässlich ihrer Auswärtstätigkeit unterbringt und verpflegt, an diese steuerpflichtige Leistungen erbringt.
Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) betrieb in den Streitjahren (1991 bis 1993) einen Pressevertrieb und eine Pension.

Im Rahmen seines Pressevertriebs beschäftigte er auf Provisionsbasis Vertriebsagenten, die als selbständige Handelsvertreter behandelt wurden. Die Vertriebsagenten waren in Kolonnen zusammengeschlossen; der Antragsteller stellte den sog. Kolonnenführern Kraftfahrzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe die Vertriebsagenten in ihre Einsatzgebiete gebracht wurden. Die Vertriebsagenten wurden in der Pension des Antragstellers oder in von ihm angemieteten Pensionen untergebracht. Der Antragsteller trug auch die Verpflegungskosten der Vertriebsagenten.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung ging der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) davon aus, der Antragsteller habe an seine Vertriebsagenten umsatzsteuerpflichtige Unterkunfts-, Transport- und Verpflegungsleistungen erbracht; es liege ein tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe (den Provisionszahlungen) vor. Das FA änderte entsprechend die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1991 bis 1993 und setzte für die nachzuzahlenden Beträge Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) fest.

Der Antragsteller legte gegen diese Bescheide Einsprüche ein und beantragte zunächst beim FA die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Über die Einsprüche ist bislang noch nicht entschieden.

Das FA lehnte den Antrag auf AdV der Bescheide in dem hier streitigen Punkte ab.

Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die AdV der Bescheide. Das FG gab dem Antrag statt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich das FA mit der vorliegenden --vom FG zugelassenen-- Beschwerde. Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf AdV der Umsatzsteuerbescheide für 1991 bis 1993 sowie der zugehörigen Zinsbescheide abzulehnen.

Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht ernstliche Zweifel i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bejaht. Dabei liegen die Zweifel auf rechtlichem und auf tatsächlichem Gebiet.

2. Zweifel auf tatsächlichem Gebiet liegen insbesondere insoweit vor, als zwar zu vermuten ist, dass der Antragsteller die streitigen Leistungen im Rahmen von Geschäftsreisen --oder jedenfalls einer vergleichbaren Auswärtstätigkeit-- seiner Vertriebsagenten erbracht hat, genaue Feststellungen hierzu fehlen aber bislang.

3. Es bestehen auch rechtliche Zweifel, ob der Antragsteller Leistungen gegen Entgelt an seine Vertriebsagenten erbracht hat. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991/1993 unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerpflicht entfällt nicht, wenn ein Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen an seine Arbeitnehmer oder deren Angehörige auf Grund des Dienstverhältnisses ausführt, für die die Empfänger der Lieferung oder sonstigen Leistung (Leistungsempfänger) kein besonderes Entgelt aufwenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1991/1993).

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1991/93 entspricht Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer. Nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG werden die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands und die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt.

a) Leistungen im Sinne der o.g. Vorschriften sind nur Sachleistungen, nicht aber Geldleistungen. Der Senat geht aufgrund des ihm bislang bekannten Sachverhalts davon aus, dass es hier ausschließlich um derartige Sachleistungen geht, dass der Antragsteller also z.B. die Vertriebsagenten auf eigene Kosten verpflegt hat und ihnen nicht nur ihren Verpflegungsmehraufwand ersetzt hat.

b) Zur Frage, ob eine sonstige Leistung gegen Entgelt vorliegt, sind die Grundsätze des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 16. Oktober 1997 C-258/95 (Fillibeck, Slg. 1997, I-5577) zu beachten. Der EuGH hat dort unter Randnr. 11 bis 14 wörtlich ausgeführt:

"11) Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterwirft der Mehrwertsteuer Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger im Inland gegen Entgelt ausführt.

12) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt der Begriff der Dienstleistungen gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem empfangenen Gegenwert voraus (vgl. insbesondere Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86, Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 12).

13) Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist Besteuerungsgrundlage bei Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung die tatsächlich dafür erhaltene Gegenleistung. Diese Gegenleistung stellt also den subjektiven, nämlich tatsächlich erhaltenen Wert und nicht einen nach objektiven Kriterien geschätzten Wert dar (vgl. Urteile vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 154/80, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, Slg. 1981, 445, Randnr. 13, vom 23. November 1988 in der Rechtssache 230/87, Naturally Yours Cosmetics, Slg. 1988, 6365, Randnr. 16, vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-126/88, Boots Company, Slg. 1990, I-1235, Randnr. 19, vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C-38/93, Glawe, Slg. 1994, I-1679, Randnr. 8, vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache C-33/93, Empire Stores, Slg. 1994, I-2329, Randnr. 18, und vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-288/94, Argos Distributors, Slg. 1996, I-5311, Randnr. 16).

14) Außerdem muß nach der gleichen Rechtsprechung diese Gegenleistung in Geld ausgedrückt werden können (vgl. genannte Urteile Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, Randnr. 13, Naturally Yours Cosmetics, Randnr. 16, und Argos Distributors, Randnr. 17)."

Der EuGH hat hieraus für den ihm damals vorgelegten Fall gefolgert, dass ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer unentgeltlich ohne konkrete Verknüpfung mit der Arbeitsleistung oder dem Lohn von der Wohnung zur Arbeitsstätte ab einer bestimmten Entfernung befördert, keine Dienstleistung gegen Entgelt i.S. des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erbringt.

Im Streitfall kommt es also darauf an, ob die Transport-, Verpflegungs- und Unterbringungsleistungen des Antragstellers mit den Leistungen der Vertriebsagenten im Sinne der o.g. Grundsätze des EuGH verknüpft sind.

aa) Unterbringung

Rechtsprechung und Finanzverwaltung haben bislang entgeltliche Umsätze des Unternehmers an seine Arbeitnehmer verneint, wenn er diesen aus Anlass einer Dienstreise oder einer sonstigen Auswärtstätigkeit Unterbringungsleistungen erbringt. So bewirkt ein Arbeitgeber keinen steuerbaren Umsatz, wenn er seinen Arbeitnehmern für Arbeiten an weit von deren Heimatorten entfernten Tätigkeitsstätten unberechnet Übernachtungen in gemieteten Zimmern stellt (Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 21. Juli 1994 V R 21/92, BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881). Nach dem Senatsurteil vom 23. November 2000 V R 49/00 (BFHE 193, 170, BStBl II 2001, 266) kann sich der Unternehmer für den Vorsteuerabzug aus Kosten für Reisen seines Personals, soweit es sich um Übernachtungskosten handelt, unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen; mit dem Urteil wäre es unvereinbar, eine steuerpflichtige Unterbringungsleistung des Unternehmers an das Personal zu bejahen.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung steht dem Unternehmer grundsätzlich der Vorsteuerabzug aus Übernachtungskosten anlässlich einer unternehmerisch bedingten Auswärtstätigkeit (Dienstreise, Einsatzwechseltätigkeit, Fahrtätigkeit, doppelte Hauhaltsführung) seiner Arbeitnehmer zu, wenn er als (rechtlicher) Empfänger der Übernachtungsleistungen anzusehen ist (Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 28. März 2001 IV B 7 -S 7303a- 20/01, BStBl I 2001, 251). Auch insoweit entfällt eine steuerbare Leistung an die Arbeitnehmer.

Entsprechendes dürfte auch für selbständige Mitarbeiter gelten.

bb) Verpflegung

Nach dem Schreiben des BMF in BStBl I 2001, 251 (unter 2.6) steht dem Unternehmer auch grundsätzlich der Vorsteuerabzug aus Verpflegungskosten anlässlich einer unternehmerisch bedingten Auswärtstätigkeit seiner Arbeitnehmer zu, wenn er als (rechtlicher) Empfänger dieser Leistungen anzusehen ist. Offensichtlich will das BMF den Vorsteuerabzug aus den Verpflegungskosten nicht durch die Besteuerung einer Verpflegungsleistung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer neutralisieren.

Demgegenüber hat der BFH in der Verpflegung des Bordpersonals auf Schiffen im Fall des BFH-Urteils vom 19. Dezember 1996 V R 130/92 (BFHE 182, 403, BStBl II 1998, 279) eine entgeltliche und im Fall des Urteils vom 28. Mai 1998 V R 26/95 (BFHE 186, 154, BStBl II 1998, 589) eine unentgeltliche Leistung gesehen.

Die Rechtslage ist demgemäß zweifelhaft. Dies gilt auch, wenn freie Mitarbeiter anlässlich einer Auswärtstätigkeit verpflegt werden.

cc) Transport

Ernstlich zweifelhaft ist auch, ob der Antragsteller mit dem Transport der Vertriebsagenten an diese entgeltliche Leistungen erbracht hat.

Zwar kommt bei Sammeltransporten im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit von Arbeitnehmern möglicherweise eine unentgeltliche Leistung an diese in Betracht; dagegen scheidet eine entgeltliche Leistung an den einzelnen Arbeitnehmer mangels einer konkreten Verknüpfung mit seiner Arbeitsleistung regelmäßig aus (EuGH-Urteil Fillibeck in Slg. 1997, I-5577; BFH-Urteile vom 11. Mai 2000 V R 73/99, BFHE 191, 445, BStBl II 2000, 505; vom 11. Mai 1995 V R 105/92, BFHE 178, 241; vom 12. März 1998 V R 127/92, BFH/NV 1998, 1270, und vom 12. Februar 1998 V R 69/93, BFH/NV 1998, 1131).

Dementsprechend erbringt der Unternehmer beim Sammeltransport von freien Mitarbeitern anlässlich von Geschäftsreisen oder einer sonstigen Auswärtstätigkeit keine entgeltlichen Leistungen an diese.

4. Schließlich ist zweifelhaft, ob die genannten Leistungen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1991/1993 erfüllen; jedenfalls können diese Tatbestandsvoraussetzungen nicht zweifelsfrei bejaht werden. Unter die genannte Vorschrift fallen in erster Linie Leistungen an Arbeitnehmer, für die diese kein besonders berechnetes Entgelt aufwenden. Im Streitfall geht es um die in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Leistungen für den Bedarf des Personals, die Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt werden.

Zweifelhaft ist bereits, ob es sich bei den Vertriebsagenten, an die die Leistungen erbracht wurden, um "Arbeitnehmer" oder "Personal" im Sinne der genannten Vorschrift handelt; bislang wurden sie als selbständige Handelsvertreter behandelt.

Im Übrigen hat der EuGH in der Rechtssache Fillibeck (Slg. 1997, I-5577) entschieden, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG keine Anwendung findet, "wenn die Erfordernisse des Unternehmens im Hinblick auf besondere Umstände, wie die Schwierigkeit, andere geeignete Verkehrsmittel zu benutzen, und wechselnde Arbeitsstätten, es gebieten, dass die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird".

Solche Schwierigkeiten dürften auch im Streitfall vorliegen.

Schließlich sprechen die Grundsätze des bereits zitierten BMF-Schreibens in BStBl I 2001, 251 dagegen, dass der danach zu gewährende Vorsteuerabzug durch eine Besteuerung der Leistungen an die Vertriebsagenten wieder kompensiert werden soll.

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