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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.07.2007
Aktenzeichen: V B 6/06
Rechtsgebiete: UStG 1999, AO, FGO, ZPO
Vorschriften:
UStG 1999 § 1 Abs. 1 a | |
AO § 110 Abs. 2 | |
AO § 125 | |
AO § 129 | |
AO § 173 | |
AO § 173 Abs. 1 | |
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 | |
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 | |
FGO § 108 | |
FGO § 155 | |
ZPO § 314 |
Gründe:
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb bis Januar 2001 ein Taxiunternehmen. Da er die Umsatzsteuererklärung nicht beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) einreichte, erließ das FA am 16. Oktober 2003 einen Schätzungsbescheid, in dem ausschließlich Umsätze von 52 586 DM (= Brutto 61 000 DM) erfasst waren. Zu dieser Höhe gelangte das FA auf Grund eines in den Akten befindlichen, vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Schreibens an das FA, in dem die frühere Bevollmächtigte mitgeteilt hatte:
"Herr G. hat sein Taxi-Geschäft Ende Januar 2001 an Herrn E. verkauft. Der Verkaufspreis von rund 61.000 DM wird zu keinem Veräußerungsgewinn führen ..."
Ob es sich hierbei um eine nach § 1 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1999) nicht steuerbare Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer handelte, untersuchte das FA nicht. Den Bescheid stellte es nach Niederlegung des Mandates durch die Bevollmächtigte dem Kläger persönlich zu. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 16. April 2004 bestellte sich die Bevollmächtigte erneut für den Kläger und beantragte die Änderung des Bescheides, was das FA ablehnte. Nach Zurückweisung des Einspruchs erhob die Klägerin Klage, die das FG mit folgender Begründung zurückwies:
Eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides sei ausgeschlossen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil die Antragsfrist nach § 110 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) versäumt worden sei und zudem der pauschale Hinweis auf eine "krankheitsbedingte Beeinträchtigung" nicht ausreiche. Der Bescheid sei auch nicht gemäß § 125 AO nichtig, weil das FA die fehlende Steuerbarkeit einer Geschäftsveräußerung im Ganzen übersehen habe. Eine Berichtigung nach § 129 AO wegen offenbarer Unrichtigkeit scheide aus, weil ein Rechtsanwendungsfehler nicht ausgeschlossen werden könne. Ebenso wenig könne der Bescheid nach § 173 AO mangels neuer Tatsache korrigiert werden. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt --die Veräußerung des Taxiunternehmens an einen Dritten-- sei dem FA bekannt gewesen. Dem Klagebegehren, wie es in der mündlichen Verhandlung protokolliert worden sei, könne somit nicht stattgegeben werden. Über den zuvor schriftsätzlich gestellten Antrag, "zur Vermeidung einer zusätzlichen Fortsetzungsfeststellungsklage die vom Beklagten begangene Amtspflichtverletzung festzustellen", entschied das FG nicht. Es führte aus, dass es diesen Antrag --sofern man hierin einen selbständigen Prozessantrag sehe-- kostenpflichtig als unzulässig abweisen würde. Dieser Antrag sei aber nicht als selbständiger Prozessantrag gestellt worden. Einen Antrag auf Protokoll- und Tatbestandsberichtigung hat das FG mit unanfechtbarem Beschluss vom 9. Januar 2006 zurückgewiesen, weil das Protokoll den Antrag so wiedergegeben habe, wie er in der mündlichen Verhandlung tatsächlich gestellt worden sei. Auch der Tatbestand sei nicht um die Aussage zu ergänzen, dass das FA einen Rechtsanwendungsfehler eingestanden habe, weil es diese Aussage bereits im Tatbestand wiedergegeben habe.
II. Die auf Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Die Beschwerde ist nicht wegen Verfahrensfehlers zuzulassen, weil das FG einen Antrag auf "Feststellung der Amtspflichtverletzung" übergangen haben soll. Denn laut Tatbestand und Sitzungsprotokoll, die gemäß § 155 FGO i.V.m. § 314 der Zivilprozessordnung den Beweis des mündlichen Parteivorbringens liefern, ist ein Feststellungsantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden. Im Übrigen sind Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestandes ausschließlich im eigenständigen Verfahren nach § 108 FGO vor dem FG zu verfolgen. Das FG hat den Antrag auf Tatbestandsberichtigung jedoch mit unanfechtbarem Beschluss vom 9. Januar 2006 abgelehnt. Etwaige dennoch enthaltene Unrichtigkeiten könnten nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 2005 IV B 100/03, BFH/NV 2005, 1809; vom 14. September 1988 IV S 2/87, BFH/NV 1989, 384). Dasselbe gilt für die Rüge, das FG habe im Tatbestand nicht aufgeführt, dass dem FA ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen sei.
2. Der Kläger rügt weiter ohne Erfolg, es sei verfahrensfehlerhaft (Verstoß gegen die Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens), wenn das FG das "Geständnis" des Finanzbeamten hinsichtlich einer unrichtigen Rechtsanwendung nicht als neue Tatsache i.S. des § 173 AO gewertet habe. Zwar kann ein Verfahrensfehler dann vorliegen, wenn das Gericht entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, weil es seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem schriftlich festgehaltenen Vortrag der Beteiligten nicht entspricht, oder eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist (BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2006 VIII B 108/05, BFH/NV 2007, 741). Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn das FG hat die Tatsache, dass das FA eine fehlerhafte Steuerfestsetzung eingestanden hat, in seinem Urteil berücksichtigt. Es hat den entsprechenden Sachvortrag sowohl in seinem Tatbestand (S. 3) als auch in seinen Gründen wiedergegeben (S. 6). Es hat lediglich aus materiell-rechtlichen Gründen abgelehnt, das "Geständnis" als neue Tatsache i.S. des § 173 AO anzuerkennen, weil es sich um einen Rechtsanwendungsfehler handele. Das FG hat somit nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens unberücksichtigt gelassen.
3. Die Revision war auch nicht wegen Divergenz zuzulassen. Der Kläger geht davon aus, dass das FG vom BFH-Urteil vom 26. November 1996 IX R 77/95 (BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422) abgewichen sei. Dort habe der BFH ausgeführt: "Im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kann eine Tatsache dagegen nicht als bekannt gelten, die der zuständige Beamte hätte kennen können oder kennen müssen; das Finanzamt kann sich nicht zum Nachteil der Steuerpflichtigen auf sein eignes Versäumnis oder Verschulden berufen." Die Divergenz besteht allerdings nicht.
Im Fall des IX. Senates ging es darum, dass der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung irrtümlich die Abschreibung (Absetzung für Abnutzung) nicht geltend gemacht hatte und nunmehr eine Änderung des Steuerbescheides zu seinen Gunsten nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen neuer Tatsachen begehrte. In diesem Zusammenhang führte der BFH aus, dass Tatsachen auch dann als "neu" i.S. des § 173 AO gelten, wenn sie der Finanzbeamte hätte erkennen können.
Vorliegend geht es jedoch nicht darum, dass der Steuerpflichtige dem FA nachträglich neue Tatsachen (dort: die tatsächlichen Voraussetzungen der Abschreibung) zur Kenntnis gebracht hat, sondern darum, dass der Kläger das FA nachträglich auf einen Rechtsfehler (die Nichtanwendung des § 1 Abs. 1 a UStG 1999) hingewiesen hat. Ein fehlerhafter Steuerbescheid kann nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO jedoch nicht bereits dann geändert werden, wenn das FA den Rechtsfehler hätte erkennen können. Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Änderung der tatsächlichen, nicht der rechtlichen Grundlagen eines Steuerbescheides. Nach der Rechtsprechung des BFH sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen --also wie im Streitfall die Nichtanwendung einer Steuerbefreiung--, keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 AO (BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144). Die Divergenzrüge ist somit nicht begründet.
Ende der Entscheidung
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