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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: V B 71/05
Rechtsgebiete: FGO, UStG, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2
UStG § 16 Abs. 1 Satz 1
UStG § 20
AO 1977 § 222
AO 1977 § 227
AO 1977 § 258
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), beantragte mit Schreiben vom 8. Juni 2004 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) Vollstreckungsaufschub für Steuerschulden in Höhe von ca. 31 000 €. Das FA lehnte den Antrag ab. Nach Vorlage weiterer Unterlagen gewährte das FA am 1. Juli 2004 für die damaligen Rückstände in Höhe von 31 477,65 € Vollstreckungsaufschub bis 6. August 2004 gegen Zahlung von jeweils 3 000 € zum 9. Juli und 2. August 2004 sowie gegen pünktliche Erfüllung der laufenden Zahlungsverpflichtungen. Die Klägerin zahlte nur die erste Rate zum 9. Juli 2004; die zum 10. Juli 2004 fällige Umsatzsteuervorauszahlung für Mai 2004 in Höhe von 5 441,74 € entrichtete sie nicht.

Den daraufhin gestellten Antrag der Klägerin auf "Erlass der offenen Umsatzsteuer, hilfsweise Stundung ... sowie Vollstreckungsaufschub" lehnte das FA ab.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die Ablehnung eines Erlasses bzw. einer Stundung durch das FA lasse keine Ermessensfehler erkennen. Aus der von der Klägerin vorgelegten Betriebsauswertung zum 30. April 2004 ergebe sich keine positive Prognose. Außerdem habe die Klägerin mit anderen Gläubigern Ratenzahlungen und im Wesentlichen vollständige Befriedigung ihrer Forderungen vereinbart. Die Ablehnung der Stundung sei nicht zu beanstanden, weil die Klägerin weder werthaltige Sicherheit geleistet noch substantiiert dargelegt habe, dass die Steueransprüche durch die Stundung nicht gefährdet seien. Die Ablehnung des beantragten Vollstreckungsaufschubs sei rechtsfehlerfrei, weil der Klägerin durch die Vollstreckung kein unangemessener Nachteil entstanden sei, der durch kurzfristiges Zuwarten oder eine andere Vollstreckungsmaßnahme hätte vermieden werden können.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und das Urteil des FG leide unter Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es mag schon fraglich sein, ob die Klägerin eine abstrakte Rechtsfrage herausgestellt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996, 141; vom 14. März 2000 V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148). Jedenfalls aber haben die von ihr aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Soweit die Klägerin rügt, die Sollversteuerung stelle eine Kreditbeschaffung seitens des Fiskus dar, ist die Sache nicht klärungsbedürftig, weil sich die Beantwortung der damit verbundenen Frage nach der Rechtmäßigkeit der Sollversteuerung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Februar 2000 XI B 119/98, BFH/NV 2000, 948; vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461; vom 26. Mai 2004 III B 89/03, BFH/NV 2004, 1221). § 16 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sieht die Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten zwingend vor, sofern nicht § 20 UStG gilt.

b) Auch die von der Klägerin als grundsätzlich angesehene Frage, ob die wirtschaftliche Existenzgefährdung einer juristischen Person und die ihres Gesellschafter-Geschäftsführers zur Annahme der Erlassbedürftigkeit führen kann, führt nicht zur Zulassung der Revision. Einer Rechtsfrage kann nur grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie im künftigen Revisionsverfahren geklärt werden kann, was nur dann der Fall ist, wenn sie für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich ist (BFH-Beschluss vom 8. April 2004 VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310). Das ist hier nicht der Fall, weil angesichts der für die Ermessensausübung maßgebenden und vom FG festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nicht ersichtlich ist, dass gerade der Erlass der Umsatzsteuervorauszahlungen in Höhe von ca. 31 000 € die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der GmbH beseitigt hätte. Eine wirtschaftliche Notlage des Steuerpflichtigen, mag sie auch unverschuldet sein, rechtfertigt einen Erlass von Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen nur, wenn sie durch die Steuerfestsetzung selbst verursacht worden ist (BFH-Urteil vom 24. November 1988 V R 186/83, BFH/NV 1989, 419, m.w.N.). Dass die streitigen Steuerbeträge von ca. 31 000 € die wirtschaftliche Existenzgefährdung der Klägerin verursacht haben, kann angesichts von Verlusten in Höhe von 91 929 € (2001) und in Höhe von 124 253 € (2002) nicht angenommen werden.

c) Auch die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Durchsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen bei einem Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil weder nach dem Vortrag der Klägerin noch nach Aktenlage Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, die die Versagung eines Erlasses bzw. einer Stundung als unverhältnismäßig erscheinen lassen.

d) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die Frage, ob Leben und Gesundheit des Vollstreckungsschuldners zu beachten sind, weil diese Frage grundsätzlich geklärt ist.

Es ist geklärt, dass eine längerfristige Einstellung der Vollstreckung ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn die betreffende Vollstreckungsmaßnahme im konkreten Fall geeignet ist, Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Vollstreckungsschuldners auszulösen (Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 3. Oktober 1979 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214; BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 2004 VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621; vom 8. Oktober 1998 VII B 2/98, BFH/NV 1999, 443). Es ist aber auch geklärt, dass Erlass und Stundung bei Gefährdung anderer als der an dem konkreten Steuerschuldverhältnis beteiligten Personen, etwa Gesellschaftern, nicht in Betracht kommen. Das folgt daraus, dass §§ 222 und 227 der Abgabenordnung (AO 1977) die Verwirklichung und Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis regeln, das zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner besteht (Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Beschluss vom 19. Februar 1982 8 B 209/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1984, 596; BFH-Urteil vom 11. Mai 1965 I 390/61, HFR 1965, 483; vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 227 AO Rn. 302 Fußnote 75).

2. Das von der Klägerin behauptete Abweichen des FG-Urteils vom Urteil des FG Brandenburg vom 16. August 1996 1 V 1092/96 KV (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1997, 1090) erfordert keine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO). Eine Abweichung liegt nicht vor. Der Rechtssatz des FG Brandenburg lautet: "Vollstreckungsmaßnahmen zur Beitreibung von Umsatzsteuer können im Einzelfall selbst dann unbillig i.S. des § 258 AO sein, wenn der Vollstreckungsschuldner als Unternehmer der Sollversteuerung unterliegt, seine Existenz aber wegen erheblicher rechtshängiger Außenstände durch die Vollstreckung gefährdet ist." Davon ist im Streitfall auch das FG ausgegangen und hat unter Anwendung dieser Grundsätze die Entscheidung des FA für ermessensfehlerfrei erachtet.

3. Die Klägerin rügt auch das Vorliegen eines Verfahrensmangels ohne Erfolg, weil die von ihr geltend gemachten Verstöße gegen das Verfahrensrecht nicht vorliegen.

a) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe ein Gutachten eines Wirtschaftsprüfers, das Schreiben der Handwerkskammer sowie einen aktuellen Status über ihre wirtschaftliche Situation nicht hinreichend gewürdigt, ergibt sich daraus kein Verfahrensfehler, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen sind (BFH-Beschluss vom 11. November 2004 V B 82/04, BFH/NV 2005, 568; vom 4. Juni 2004 VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416).

b) Das FG hat auch keinen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es die Vernehmung der Buchhalterin L, des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Herrn M abgelehnt hat. Das Vorliegen eines Verfahrensmangels beurteilt sich nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG (BFH-Beschluss vom 23. Januar 2001 V B 76/00, BFH/NV 2001, 928). Das Übergehen eines Beweisantrages führt deshalb nur dann zu einem Verfahrensmangel, wenn es sich um einen bei Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG entscheidungserheblichen Beweisantrag gehandelt hat (BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2004 XI B 182/02, BFH/NV 2005, 564). Das ist nicht der Fall, weil das FG davon ausgegangen ist, dass die gesundheitlichen Probleme des Geschäftsführers und Gesellschafters der Klägerin nicht entscheidungserheblich seien, weil es für die Voraussetzungen des Erlasses nur auf die Situation der Klägerin selbst, also der GmbH, ankomme.

Ende der Entscheidung

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