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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.11.2000
Aktenzeichen: V B 72/00
Rechtsgebiete: UStG, FGO


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 16 Buchst. e
FGO § 128 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betrieb im Streitjahr (1997) ein Kurzzeitpflegeheim, in dem sie pflegebedürftige Menschen für kurze Zeiträume (meist 4 Wochen, zum Teil auch mehrfach im Jahr) stationär aufnahm und pflegerisch versorgte. In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr gab sie keine steuerpflichtigen Umsätze an. Sie war --und ist-- der Auffassung, die von ihr erbrachten Umsätze seien gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte mit Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 12. Juli 1999 gegen die Antragstellerin Umsatzsteuer fest, weil im vorangegangenen Kalenderjahr (1996) die Pflegekosten nicht in mindestens 40 v.H. der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden seien, wie dies nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG erforderlich sei.

Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch und ihrem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) machte die Antragstellerin geltend, die Auffassung des FA beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des in der genannten Vorschrift enthaltenen Tatbestandsmerkmals "Pflegekosten". Das FA war entsprechend dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 14. November 1997 (BStBl I 1997, 957 = nunmehr Abschn. 99a der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 --UStR--) davon ausgegangen, zu diesen Kosten gehörten bei einer Unterbringung in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung die in Rechnung gestellten Aufwendungen insbesondere für Unterkunft, Verpflegung, Betreuung, Grundpflege und krankenpflegerische Versorgung. Dagegen sind nach Auffassung der Antragstellerin unter "Pflegekosten" i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG nur die pflegebedingten Aufwendungen, nicht aber die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu verstehen. Gehe man von diesem Begriffsverständnis aus, so seien die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift erfüllt.

Mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 1999 berücksichtigte das FA abziehbare Vorsteuerbeträge und setzte die Steuer entsprechend herab. Im Übrigen wies es den Einspruch zurück und lehnte eine AdV ab.

Daraufhin erhob die Antragstellerin Klage vor dem Finanzgericht (FG), über die noch nicht entschieden worden ist. Ihren zugleich gestellten Antrag auf AdV lehnte das FG als unbegründet ab.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf AdV weiter.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde ist begründet.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 1997 i.d.F. der Einspruchsentscheidung. Bei summarischer Beurteilung spricht viel dafür, dass die Umsätze der Antragstellerin gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei sind.

1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche ernstlichen Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe gegeben sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Mai 1993 V B 33/93, BFH/NV 1994, 133).

2. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sind u.a. die mit dem Betrieb der Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 v.H. der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Sozialversicherungsträger zu entlasten (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534, unter II. 3. c). Je nachdem, ob man den Begriff "Pflegekosten" i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG im Sinne der Antragstellerin oder im Sinne des FA auslegt, wurde im Streitfall die 40 v.H.-Grenze über- oder unterschritten.

Der BFH hat noch nicht entschieden, wie der Begriff der "Pflegekosten" i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG auszulegen ist. Auch die Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift (vgl. BTDrucks 12/1506, S. 178) gibt insofern keinen Aufschluss. Dafür, unter dem Begriff "Pflegekosten" nur die (reinen) Kosten der Pflege, nicht aber auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu verstehen, sprechen der Wortsinn des Begriffs "Pflegekosten" sowie der dargelegte Zweck des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG. Denn wenn durch diese Vorschrift die Sozialversicherungsträger entlastet werden sollen, kommt es darauf an, wieweit deren Leistungspflicht geht. Maßgebend insofern sind die Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) --Soziale Pflegeversicherung--. Auf diese Vorschriften ist § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG abgestimmt (vgl. BRDrucks 505/93, S. 58, 172). Bei teil- und vollstationärer Pflege werden die Pflegebedürftigen von Aufwendungen entlastet, die für ihre Versorgung nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit erforderlich sind (pflegebedingte Aufwendungen); die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung tragen die Pflegebedürftigen selbst (§ 4 Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Dementsprechend übernimmt die Pflegekasse bei der Kurzzeitpflege die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie in der Zeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1999 die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bis zu einem Gesamtbetrag von 2 800 DM im Kalenderjahr (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB XI).

Die für den Erlass des angefochtenen Bescheides maßgebende Auslegung des FA und des BMF, die den Begriff der "Pflegekosten" i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG mit "Kosten eines Pflegefalles" gleichsetzt und auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung berücksichtigt, ist deshalb bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung zweifelhaft.



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