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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.09.2002
Aktenzeichen: V B 84/02
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 122
AO 1977 § 122 Abs. 2
AO 1977 § 366 Satz 2
BGB § 130
BGB § 130 Abs. 1 Satz 1
FGO § 47 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Gegen die Einspruchsentscheidung mit dem Datum des 9. Dezember 1999 erhoben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) durch einen am Donnerstag, dem 13. Januar 2000, in den Nachtbriefkasten des Finanzgerichts (FG) eingeworfenen Schriftsatz Klage. Durch die erwähnte Einspruchsentscheidung hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einsprüche gegen die Bescheide über die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen für 1989 bis 1992 zurückgewiesen.

Das FG wies die Klage ab, weil sie nicht rechtzeitig innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben worden sei. Das FG stellte aufgrund einer Beweisaufnahme fest, dass die im verschlossenen Brief übersandte Einspruchsentscheidung am Donnerstag, dem 9. Dezember 1999 zur Post aufgegeben worden sei, dass sie nach § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) am Sonntag, dem 12. Dezember 1999, als bekannt gegeben gelte und dass die Monatsfrist mit Ablauf dieses Tages begonnen und am 12. Januar 2000 abgelaufen sei. Das FG führte u.a. weiter aus, die Klagefrist beginne nicht erst am 13. Dezember 1999, weil die Einspruchsentscheidung den Eingangsstempel dieses Tages im Büro der Prozessbevollmächtigten erhalten habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeitpunkt der Postaufgabe falsch angegeben worden sei, seien nicht vorhanden. Ebenso wenig hatte das FG Zweifel an dem Zugang der Sendung mit der Einspruchsentscheidung innerhalb der Drei-Tage-Frist nach § 122 Abs. 2 AO 1977.

Mit der Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), sind nicht vorhanden.

1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Hierzu muss die Beschwerde, ausgehend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, konkret auf die Rechtsfrage eingehen, ihre über den Streitfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit dartun und ferner ausführen, warum die Frage zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine Fortentwicklung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedarf (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Februar 1999 III B 91/98, BFH/NV 1999, 1122, m.w.N.).

Ob die Beschwerde diesen Anforderungen genügt, braucht nicht vertieft zu werden; denn die von den Klägern als klärungsbedürftig angesehene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig: Sie ist geklärt und lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten.

a) Die Kläger sehen es --sinngemäß-- als klärungsbedürftig an, ob im Rahmen von § 122 Abs. 2 AO 1977 von dem Begriff "Zugang" in § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auszugehen sei und ob eine Einspruchsentscheidung erst dann zugegangen sei, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser habe Kenntnis nehmen können und dies nach den üblichen Gepflogenheiten auch habe erwartet werden können. Die Klärung dieser Rechtsfrage sei, so führen die Kläger sinngemäß weiter aus, deshalb entscheidungserheblich, weil die Sendung mit der Einspruchsentscheidung erst am Montag, dem 13. Dezember 1999, im Bürobriefkasten ihrer Prozessbevollmächtigten vorgefunden worden sei und bei einem früheren Einwurf keine Kenntnisnahme zu erwarten sei.

b) Die gestellte Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine durch verschlossenen Brief mit der Post bekannt gegebene Einspruchsentscheidung zugegangen ist und den Lauf der Klagefrist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) auslöst, ist geklärt und braucht in dem von den Klägern erstrebten Revisionsverfahren nicht geklärt zu werden.

Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beginnt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage von einem Monat mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Für die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gilt nach § 366 Satz 2 AO 1977 in der Fassung vor der Geltung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21. August 2002 (BGBl I 2002, 3322) der § 122 AO 1977 entsprechend. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Geltungsbereich dieses Gesetzes am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.

Die Vorschrift fingiert den Zugang eines mit der Post übermittelten Verwaltungsakts am dritten Tag nach dessen Aufgabe zur Post. Mit der Zugangsfiktion in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 wollte der Gesetzgeber --zugunsten wie zuungunsten des Adressaten-- generell einen Streit über den genauen Zeitpunkt des Posteingangs so weit wie möglich ausschließen. Der Drei-Tages-Zeitraum gilt deshalb auch, wenn der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt und auch dann, wenn in diesen Zeitraum ein Samstag und Sonntag fällt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 2001 VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661, und vom 22. April 1996 XI B 2/96, BFH/NV 1996, 727). Dementsprechend darf gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht auf den tatsächlich früheren Zugang entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückgegriffen werden (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2000 X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274). § 122 Abs. 2 AO 1977 regelt die Bekanntgabe von schriftlichen Verwaltungsakten unabhängig von § 130 BGB.

Da nach den tatsächlichen und den Senat mangels zulässiger Verfahrensrügen auch im Beschwerdeverfahren bindenden Feststellungen des FG über den Zugang (vgl. zu diesen Feststellungen auch BFH-Urteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365), keine Zweifel an der tatsächlichen Übermittlung des Verwaltungsakts innerhalb des Zeitraums von § 122 Abs. 2 AO 1977 bestehen, wird die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung fingiert, ohne dass dafür § 130 BGB maßgebend ist.

2. Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nicht gegeben.

a) Der Streitfall gibt weder Veranlassung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO), Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen noch besteht über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts, weil z.B. die Auslegung revisiblen Rechts durch die Vorinstanz fehlerhaft ist und der unterlaufene Fehler von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51; vom 27. September 2001 XI B 25/01, BFH/NV 2002, 213, und vom 9. Oktober 2001 XI B 43/01, BFH/NV 2002, 191).

Aus den Ausführungen des Senats zur nicht vorhandenen grundsätzlichen Bedeutung ergibt sich bereits, dass der Ansatz der Kläger, nach dem für den Zugang von Einspruchsentscheidungen auf § 130 BGB abzustellen sei, mit dem geltenden Recht unvereinbar ist. Hinzu kommt, dass die Beschwerdebegründung nicht ergibt, dass die Vorentscheidung von den allgemein anerkannten Grundsätzen zu § 122 Abs. 2 AO 1977 abweicht.

b) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, weil der Zulassungsgrund "Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" auch die Divergenz der Entscheidung des FG von der Rechtsprechung des BFH oder eines anderen obersten Bundesgerichts umfasst, scheidet aus, weil die Begründung der Beschwerde insoweit nicht den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.

Im Übrigen geht die Beschwerdebegründung bei angeblichen Abweichungen der Vorentscheidung zu Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte von der unzutreffenden Annahme aus, der Zugang nach § 122 Abs. 2 AO 1977 sei mit demjenigen in § 130 BGB identisch.

3. Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.

Ende der Entscheidung

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