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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: V R 13/06
Rechtsgebiete: FGO, UStG
Vorschriften:
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1 | |
UStG § 2 Abs. 1 Satz 1 | |
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2 |
V R 12/06 V R 13/06
Gründe:
I. Streitig sind die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft.
Im Oktober 1989 gründeten A und sein Sohn B die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kommanditgesellschaft (KG). A brachte sein bestehendes Einzelunternehmen in die Klägerin ein und wurde Komplementär, B beteiligte sich mit einem Festkapital von 25 000 DM als Kommanditist an der Klägerin. Gewinn und Verlust wurden im Verhältnis von 75 v.H. zu 25 v.H. zwischen A und B aufgeteilt.
Im November 1993 gründeten A und B eine GmbH. Das Stammkapital der GmbH beträgt 50 000 DM, wovon die Gesellschafter jeweils 50 v.H. (25 000 DM) halten. Gesellschafterbeschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Geschäftsführer der GmbH war B, A war als kaufmännischer Leiter, Kundenbetreuer und im Außendienst für die Gesellschaft tätig.
Am 1. Dezember 1995 vermietete die Klägerin ein von ihr errichtetes Gebäude und den Maschinenpark an die GmbH. In den Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 1997 und 1998 und im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für den Monat August 2000 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die GmbH als Organgesellschaft der Klägerin und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Hiergegen richteten sich nach erfolglosen Einspruchsverfahren die Klagen.
Im Klageverfahren erließ das FA den Umsatzsteuerjahresbescheid 2000.
Die Klagen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Urteile, von denen das die Umsatzsteuer 2000 betreffende in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2006, 771 veröffentlicht ist, im Wesentlichen wie folgt: Die für die Organschaft erforderliche finanzielle Eingliederung liege vor, wenn der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sei, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen könne. Erforderlich hierfür sei die Mehrheit der Stimmen, also mehr als 50 v.H. Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt. Die Stimmenmehrheit des Organträgers für Beschlüsse in der Organgesellschaft könne auch durch eine mittelbare Beteiligung gewährleistet werden. Eine finanzielle Eingliederung der GmbH liege vor, weil beide Gesellschafter zusammen --als Personengruppe-- sowohl über die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte an der Klägerin als auch über die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte an der GmbH verfügten. Insofern könnten beide Gesellschafter als Personengruppe einen einheitlichen gemeinsamen Willen bei der KG bilden und diesen auch in der GmbH durchsetzen.
Die GmbH sei auch organisatorisch in die Klägerin eingegliedert. Aus der finanziellen Eingliederung folge regelmäßig die organisatorische Eingliederung. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die Geschäftsführungsorgane der finanziell beherrschten Gesellschaft im Regelfall den mutmaßlichen Willen des beherrschenden Gesellschafters ausführen würden, da dieser aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung die personelle Besetzung der Geschäftsführungsorgane bestimme.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerin. Sie trägt vor, die GmbH sei nicht finanziell eingegliedert gewesen. Die finanzielle Eingliederung sei Grundvoraussetzung für die Annahme einer Organschaft und setze den Besitz der Anteilsmehrheit voraus. Dabei dürften jedoch die Anteile der Gesellschafter des Organträgers nicht addiert und dem Organträger zugerechnet werden. Eine finanzielle Eingliederung sei grundsätzlich nicht gegeben, wenn eine beherrschende Mehrheit nur durch Zusammenrechnung der unmittelbar von der Gesellschaft gehaltenen Anteile und der von deren Minderheitsgesellschafter gehaltenen mittelbaren Beteiligung erreicht werden könne. Eine finanzielle Eingliederung durch mittelbare Beteiligung über eine Gesellschaftsbeteiligung könne nur angenommen werden, wenn ein Gesellschafter die Stimmenmehrheit sowohl in der Organträgergesellschaft als auch in der Organgesellschaft halte. Eine finanzielle Eingliederung liege nicht vor, wenn die Stimmenmehrheit nur dadurch erreicht werde, dass einer der übrigen Gesellschafter mit dem überwiegend (aber nicht mehrheitlich) beteiligten Gesellschafter stimme. Eine Zusammenrechnung der Beteiligungen zu einer herrschenden Personengruppe sei nicht möglich, wenn Interessengegensätze zwischen den an der Besitzgesellschaft und den an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschaftern vorlägen. Die mündliche Verhandlung habe ergeben, dass steuerlich relevante Interessengegensätze zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und seinem Sohn B bestünden.
Das FG habe es versäumt, die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin durch eine Zeugenvernehmung des B festzustellen, und dadurch gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen.
Die bei ihr, der Klägerin, zu treffenden Entscheidungen bestimme A in seiner Eigenschaft als Komplementär und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer allein. Der Kommanditist B sei nicht berechtigt, in das laufende Tagesgeschäft einzugreifen. A sei aber in der GmbH aufgrund seiner Beteiligung von nur 50 v.H. nicht in der Lage, die Geschicke der GmbH zu bestimmen.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 vom 26. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2001 und den Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2002 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 1997 auf ... DM, für 1998 auf ... DM und für 2000 auf ... DM herabgesetzt wird, hilfsweise den Rechtsstreit an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Die Verbindung der Verfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
2. Die Revisionen sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
a) Die Revisionen sind zulässig, weil sie durch das FG im Tenor, bestätigt durch die Urteilsgründe, seiner Urteile zugelassen worden sind. Die dem widersprechenden Rechtsbehelfsbelehrungen beseitigen die Zulassung nicht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 107; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 280).
b) Die Revisionen sind auch begründet. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die GmbH im Wege der Organschaft in die Klägerin eingegliedert gewesen sei.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
c) Mit dieser Vorschrift hat der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) Gebrauch gemacht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Januar 2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, m.w.N.), der bestimmt:
"Vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln."
Danach eröffnet das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bereits dann mehrere im Inland ansässige Personen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn sie "eng miteinander verbunden sind". Diesen Spielraum nutzt das nationale Recht aber nur teilweise aus. Die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen setzt nämlich ein Verhältnis der Über- und Unterordnung der beteiligten Gesellschaften voraus (BFH-Urteile vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441, unter II.1.). Die Organgesellschaft muss als Unternehmensteil dem Unternehmen des Organträgers zuzuordnen sein.
d) Für die Annahme einer Organschaft ist es nicht erforderlich, dass alle drei in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung (finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch) sich gleichermaßen deutlich feststellen lassen; nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534; vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167). Allerdings reicht es nicht aus, dass eine Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht (BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; in BFH/NV 1998, 1534, unter II.2.a; BFH-Beschluss vom 24. Februar 2003 V B 84/01, BFH/NV 2003, 949).
e) Zu Recht hat das FG die finanzielle Eingliederung der GmbH in die Klägerin angenommen. Die finanzielle Eingliederung setzt den Besitz der Anteilsmehrheit voraus, die erforderlich ist, um die wesentlichen Entscheidungen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Ist mit der Kapitalbeteiligung ein gleicher Stimmrechtsanteil verbunden, muss die Beteiligung des Organträgers regelmäßig mehr als 50 v.H. betragen. Der Organträger muss dabei nicht die Kapitalbeteiligung an der Organgesellschaft selbst besitzen. Eine mittelbare Eingliederung reicht aus. Diese liegt u.a. vor, wenn --wie hier-- die Gesellschafter einer Personengesellschaft (des Organträgers) die Geschäftsanteile der Organgesellschaft besitzen (BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a ee; vom 20. Januar 1999 XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136).
f) Es fehlt vorliegend aber an einer organisatorischen Eingliederung der GmbH.
aa) Zu Unrecht geht das FG bei finanzieller Eingliederung von der Vermutung der organisatorischen Eingliederung aus. Diese Annahme lässt sich nicht, wie das FG meint, auf die allgemeine Lebenserfahrung stützen. Der Senat hat vielmehr bereits mehrfach entschieden, dass aus der finanziellen Eingliederung nicht notwendigerweise die organisatorische Eingliederung folgt (BFH-Beschluss vom 20. September 2006 V B 138/05, BFH/NV 2007, 281; BFH-Urteil vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; a.A. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 698). Die organisatorische Eingliederung setzt vielmehr voraus, dass der Organträger durch organisatorische Maßnahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille tatsächlich durchgeführt wird und eine von seinem Willen abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht stattfindet (BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 133; vom 28. Januar 1999 V R 32/98, BStBl II 1999, 258; vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905; vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, Der Steuer-Eildienst 2008, 134).
bb) Vorliegend hat die Klägerin über die mit der finanziellen Eingliederung zwangsläufig einhergehende Möglichkeit der Weisung durch Gesellschafterbeschluss (vgl. hierzu Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 37 Rz 18) hinaus nicht ihren maßgebenden Einfluss auf die Willensbildung bei der GmbH sichergestellt. Bei der Klägerin erfolgt die Willensbildung durch deren Mehrheitsgesellschafter, Komplementär und alleinigen Geschäftsführer A. In der GmbH kann dieser Wille aber nicht durchgesetzt werden, weil die Geschäftsführung von B wahrgenommen wird. Eine "geschäftsführungsähnliche leitende Position" reicht nicht aus, um die Willensbildung in der Gesellschaft gegen den alleinigen Geschäftsführer zu bestimmen. Daher scheidet eine organisatorische Eingliederung aus.
Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Seine Urteile waren deshalb aufzuheben.
3. Die Sachen waren an das FG zurückzuverweisen, weil das FG keine ausreichenden Feststellungen zu den Bemessungsgrundlagen für die festzusetzende Steuer getroffen hat. Eine Verweisung an einen anderen Senat des FG --wie von der Klägerin beantragt-- ist nicht geboten, da ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG nicht ersichtlich sind (vgl. BFH-Urteile vom 16. Dezember 1998 X R 139/95, BFH/NV 1999, 780; vom 26. Juli 1991 VI R 100/90, BFH/NV 1992, 53).
Ende der Entscheidung
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