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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: V R 19/04
Rechtsgebiete: KStG, UStG, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

KStG § 4 Abs. 3
KStG § 4 Abs. 1 Satz 1
KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6
KStG § 4
UStG 1993 § 14 Abs. 3
UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b
UStG § 2 Abs. 3
UStG § 2 Abs. 1
UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 14
UStG § 2 Abs. 1 Satz 3
UStG § 15 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 2 Satz 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Stadtgemeinde, eröffnete im Jahre 1904 eine Kleinbahn für Personen- und Güterverkehr auf einer Streckenlänge von 8 km.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts stellte die Klägerin die Personenbeförderung auf der Schiene zugunsten eines Schienenersatzverkehrs mit Omnibussen ein. Den Betrieb dieser Kraftomnibuslinie übertrug sie auf ein privates Busunternehmen gegen Zahlung einer monatlichen Pacht.

Im Jahre 1977 stellte sie auch die Güterbeförderung ein.

Danach überließ die Klägerin die Gleise mit allen dazugehörigen bau- und signaltechnischen Anlagen kostenlos der Deutschen Bundesbahn (DB) zur Güterbeförderung.

Mit Vertrag vom 10. Dezember 1992 regelten die Klägerin und die DB die Nutzungsverhältnisse neu. Sie vereinbarten, die Gleisanlage an den Bahnhof X anzuschließen. Dabei behandelten die Vertragspartner die Klägerin als Inhaberin eines Privatgleisanschlusses und vereinbarten die grundsätzliche Geltung der "Allgemeinen Bedingungen für Privatgleisanschlüsse" der DB. Die Klägerin und die DB stimmten der "Mitbenutzung" des Anschlusses durch die an das Industriestammgleis angeschlossenen Firmen zu. Auf dem Gleisanschluss werden seither mit Fahrzeugen der DB Güter im Übergang zur DB befördert. Genutzt wird dieser Gleisanschluss durch ein Landhandelsunternehmen und eine Genossenschaft, deren Betriebsgelände in Y neben dem früheren Bahnhof liegt und dort unmittelbar an die Gleise angrenzt.

Für das Streitjahr 1995 gab die Klägerin eine Umsatzsteuererklärung ab, in der sie als Art des Unternehmens angab "Kleinbahnverwaltung". Darin erklärte sie steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 6 083 DM und steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug in Höhe von 14 918 DM, die aus Zinseinnahmen und Pachtzinsen bestanden. Ferner machte die Klägerin Vorsteuerbeträge in Höhe von 23 076,46 DM geltend, die aus Erhaltungsaufwendungen für die Gleisanlagen resultieren. Die von der Klägerin erklärten steuerpflichtigen Umsätze in Höhe von 6 083 DM setzen sich dabei wie folgt zusammen: Anschlussgebühren für den Gleisanschluss 79,73 DM, Pacht der Buslinie 3 017,28 DM, Erlöse aus Anlageverkäufen 521,74 DM und Unfallentschädigung 2 464,58 DM.

Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zu dem Ergebnis, die Klägerin sei mit dem Betrieb der Kleinbahn keine Unternehmerin mehr. Ein Betrieb gewerblicher Art i.S. des § 4 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) liege nicht vor, da die Gleisanlagen nur noch für einen Industriebetrieb genutzt würden. Deshalb handele es sich nicht um einen öffentlichen Verkehr i.S. des § 4 Abs. 3 KStG. Auch handele es sich nicht um einen Betrieb gewerblicher Art im Sinne der allgemeinen Definition des § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG. Ein derartiger Betrieb gewerblicher Art setze eine gewisse Selbständigkeit voraus, d.h. eine Organisation mit personellen und sachlichen Betriebsmitteln. Ferner müsse die Betätigung nachhaltig sein, also von einigem Gewicht. Und es müsse eine Einnahme-Erzielungsabsicht vorliegen. Die Kleinbahn dagegen beschäftige kein eigenes Personal. Auch handele es sich nicht um eine Tätigkeit von einigem Gewicht, da der Jahresumsatz weder nachhaltig den Betrag von 60 000 DM übersteige noch die Kleinbahn zu anderen Unternehmern unmittelbar in Wettbewerb trete. Da die Klägerin der DB ihr einziges Betriebsmittel kostenlos überlasse, fehle es an der Absicht, Einnahmen zu erzielen. Die Klägerin schulde allerdings Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG), soweit sie in ihren Ausgangsrechnungen Umsatzsteuer offen ausgewiesen habe.

Dementsprechend versagte das FA der Klägerin den geltend gemachten Vorsteuerabzug und setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf 912 DM fest (Umsatzsteuerbescheid vom 11. Juni 1998).

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 943 veröffentlicht ist, gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es verneinte zwar einen Betrieb gewerblicher Art i.S. des § 2 Abs. 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG; es meinte jedoch, die Klägerin gelte nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) als Steuerpflichtige; hierauf könne sie sich berufen; ihr stehe deshalb der Vorsteuerabzug zu.

Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision, mit der es Verletzung materiellen Rechts rügt. Es meint, die Klägerin sei mit der Unterhaltung der Gleisanlagen nicht wirtschaftlich tätig geworden. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG seien zwar Leistungen, die die Nutzung von körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfassten, grundsätzlich als wirtschaftliche Tätigkeiten anzuerkennen, die zu besteuerten Umsätzen i.S. von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG führten. Die von der Klägerin erzielten Einnahmen von jährlich etwa 100 DM seien jedoch bei weitem nicht gewichtig genug, um von einer wirtschaftlichen Tätigkeit sprechen zu können (Hinweis auf Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 26. September 1996 Rs. C-230/94 --Enkler--, Slg. 1996, I-4517, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1996, 418).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II. 1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat sich bei der Frage, ob die streitbefangenen Leistungen für das Unternehmen der Klägerin bezogen worden sind, zu Unrecht auf die Prüfung beschränkt, ob die Klägerin mit den von ihr als steuerpflichtig behandelten Aktivitäten gemäß § 2 Abs. 3 UStG im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art oder gemäß Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG tätig wurde; es hätte zuvor vielmehr prüfen müssen, inwieweit die allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG bzw. Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 77/388/EWG für eine unternehmerische Tätigkeit vorlagen. § 2 Abs. 3 UStG und Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG begründen nämlich nicht die Umsatzsteuerpflicht der öffentlichen Hand, sondern schränken sie ein (vgl. Lange, UR 2000, 1, unter c).

2. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

3. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Bei richtlinienkonformer Anwendung muss dabei eine wirtschaftliche Tätigkeit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG) ausgeübt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Dezember 1996 V R 23/93, BFHE 182, 388, BStBl II 1997, 368).

Die Gestattung der Mitbenutzung eines Anschlussgleises ist --ähnlich wie die Vermietung-- eine derartige wirtschaftliche Tätigkeit, wenn sie als Nutzung des Gegenstands (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG) zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen vorgenommen wird; eine nur gelegentlich ausgeübte Tätigkeit reicht nicht aus (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-4517, UR 1996, 418, Rdnr. 20 ff.).

Nach den Grundsätzen dieses vom FA herangezogenen EuGH-Urteils ist die Feststellung, ob die Vermietung eines körperlichen Gegenstands wie eines Wohnmobils i.S. von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen vorgenommen wird, von dem nationalen Gericht aufgrund der Gesamtheit der Gegebenheiten des Einzelfalls zu beurteilen (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-4517, UR 1996, 418, Rdnr. 30). Wird ein Gegenstand vermietet, der seiner Art nach sowohl für wirtschaftliche als auch für nichtunternehmerische Zwecke verwendet werden kann, sind dabei alle Umstände seiner Nutzung zu prüfen, um festzustellen, ob er tatsächlich zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen verwendet wird (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-4517, UR 1996, 418, Rdnr. 27). Eine der Methoden, mit denen geprüft werden kann, ob die betreffende Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausgeübt wird, ist der Vergleich zwischen den Umständen, unter denen der Betreffende den Gegenstand tatsächlich nutzt, und den Umständen, unter denen die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-4517, UR 1996, 418, Rdnr. 28). Ferner sind die tatsächliche Dauer der Vermietung des Gegenstands, die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen Gesichtspunkte, die zur Gesamtheit der Gegebenheiten des Einzelfalls gehören und daher neben anderen Gesichtspunkten bei dieser Prüfung berücksichtigt werden können (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-4517, UR 1996, 418, Rdnr. 29).

Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Senats im Einzelfall aufgrund des Gesamtbildes der Verhältnisse zu beurteilen ist, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei ist eine Reihe verschiedener (nicht abschließend festgelegter) Kriterien zu würdigen, die je nach dem Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung für oder gegen die Nachhaltigkeit der Einnahmeerzielung sprechen können. Der tatsächlichen Würdigung der Einzelheiten durch die Tatsacheninstanz kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Der BFH prüft als Revisionsinstanz nur, ob dem FG bei der tatsächlichen Würdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind (BFH-Urteil in BFHE 182, 388, BStBl II 1997, 368). Ohne eine derartige Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls durch das FG ist dem BFH eine abschließende Entscheidung nicht möglich.

Im Streitfall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin das Anschlussgleis nicht "zur Erzielung von Einnahmen", sondern zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur der Gemeinde und damit für unternehmensfremde Zwecke unterhielt. Die Förderung der kommunalen Wirtschaft gehört grundsätzlich zu den nichtunternehmerischen Aufgaben einer Gemeinde. Feststellungen dazu, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Klägerin von den Mitbenutzern der Gleisanlage die geringfügige Vergütung erhielt und wie diese bemessen wurde, fehlen. Nach den vorgenannten Grundsätzen macht jedenfalls nicht jedes Nutzungsentgelt unabhängig von seiner Höhe die Nutzungsüberlassung zur wirtschaftlichen Tätigkeit. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die Gleise instand hielt, um sie einmal möglichst vorteilhaft zu veräußern, enthält der vom FG festgestellte Sachverhalt nicht. Es kommt deshalb ernsthaft in Betracht, dass die Klägerin die Leistungen für die Instandhaltung der Gleise nicht gemäß § 15 Abs. 1 UStG für ihr Unternehmen bezog.

Da das FG diesen Gesichtspunkt nicht geprüft hat, ist es dem Senat nicht möglich, selbst in der Sache zu entscheiden.

4. Sollte das FG bei der Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zum Ergebnis gelangen, dass die Gestattung der Mitbenutzung des Anschlussgleises eine wirtschaftliche Tätigkeit war und die Klägerin die Leistungen für die Instandhaltung der Gleise für ihr Unternehmen bezog, ist zu erwägen, ob ein Eigenverbrauch für unternehmensfremde Zwecke gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1993 (Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG) vorlag, soweit die Gestattung der Mitbenutzung des Anschlussgleises zu einem Entgelt unterhalb der Selbstkosten erfolgte. Insoweit wird auf die beim EuGH anhängige Rechtssache C-412/03 --Hotel Scandic G(sabäck-- verwiesen.



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