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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.01.2006
Aktenzeichen: V R 3/04
Rechtsgebiete: UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1993 § 10 Abs. 1
UStG 1993 § 14 Abs. 2
UStG 1993 § 17 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 11 Teil C Abs. 1
1. Erstattet der erste Unternehmer in einer Leistungskette dem Endverbraucher einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts oder gewährt er ihm einen Preisnachlass, mindert sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den Umsatz des ersten Unternehmers (an seinen Abnehmer der nächsten Stufe). Der erste Unternehmer hat deshalb den für seinen Umsatz geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen.

2. Preisnachlässe, die dem Abnehmer von Reiseleistungen vom Reisebüro für eine von ihm lediglich vermittelte Reise gewährt werden, mindern die Bemessungsgrundlage des Umsatzes der vom Reisebüro dem Reiseveranstalter gegenüber erbrachten Vermittlungsleistung.


Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Reisebüro mit vier Filialen. Im Rahmen dieser Betätigung vermittelte sie ihren Kunden unter anderem Reisen, die von verschiedenen Reiseveranstaltern angeboten wurden. Je nach Reiseveranstalter zahlte der Kunde die von ihm gebuchte Reise entweder direkt in dem Reisebüro oder er musste den entsprechenden Reisepreis unmittelbar an den Reiseveranstalter überweisen (so genanntes Direktinkasso). Für die Vermittlung der Reise erhielt die Klägerin von den Reiseveranstaltern eine Provision, die im Durchschnitt 10 % des Reisepreises betrug. Bei der Buchung von Reisen gewährte die Klägerin ihren Kunden Preisnachlässe von bis zu 3 % des jeweiligen Reisepreises, wobei die Höhe des Preisnachlasses im Ermessen des jeweiligen Mitarbeiters der Klägerin lag. Sofern der Kunde den Reisepreis unmittelbar in dem Reisebüro bezahlte, wurde der Preisnachlass von dem zu zahlenden Betrag in Abzug gebracht. In den Fällen des Direktinkassos zahlten die Mitarbeiter der Klägerin den Kunden den Preisnachlass gegen Vorlage der von dem Reiseveranstalter zugesandten Reiseunterlagen in bar aus oder erteilten hierüber eine Gutschrift. Eine Weiterberechnung der Preisnachlässe gegenüber den Reiseveranstaltern erfolgte nicht. Zwischen der Klägerin und dem Reiseveranstalter bestand keine Absprache über zu gewährende Preisnachlässe, wenngleich diesem die Praxis aufgrund der allgemeinen Üblichkeit bekannt war.

In den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen kürzte die Klägerin ihre Umsätze aus den erhaltenen Provisionen um die gewährten Preisnachlässe. Dies stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) anlässlich einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung fest. Das FA vertrat die Auffassung, dass sich die Preisnachlässe nicht umsatzmindernd auswirken dürften, weil sie weder das Entgelt der Reiseunternehmen noch die Provision des Reisebüros herabsetzten. Es schätzte die umsatzmindernd geltend gemachten Preisnachlässe im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung und gelangte zu dem Ergebnis, dass die Umsätze zu 15 % Umsatzsteuer für 1996 um 32 480 DM, für 1997 um 40 000 DM und für 1998 um 7 440 DM sowie die Umsätze zu 16 % Umsatzsteuer für 1998 um 22 320 DM und für 1999 um 22 627 DM zu erhöhen seien. Dementsprechend setzte es die Umsatzsteuer 1996 bis 1999 neu fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung wies das FA ergänzend darauf hin, dass die Klägerin auch nicht berechtigt sei, den Kunden eine Gutschrift über den Preisnachlass mit Ausweis der Umsatzsteuer zu erteilen und hieraus die Vorsteuer geltend zu machen, weil zwischen der Klägerin und den Kunden kein Leistungsaustausch stattfinde.

Mit der Klage machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) wiederholt betont habe, dass es der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer erfordere, dass nur derjenige Betrag der Umsatzsteuer unterworfen werde, den der Endverbraucher zu zahlen habe. Demzufolge wirkten sich die gewährten Preisnachlässe entgeltmindernd aus. Hinzu komme, dass zwischen ihr, der Klägerin, und den Kunden durchaus eine Leistungsbeziehung bestehe. Diese zeige sich etwa daran, dass die Kunden bei niedrigpreisigen Geschäften, wie etwa den bloßen Verkauf von Fahrkarten, ein Bearbeitungsentgelt zu zahlen hätten.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 2002 und Änderung der Steuerbescheide vom 9. August 2001

die Umsatzsteuer 1996 auf 67 326,00 DM,

die Umsatzsteuer 1997 auf 75 711,00 DM,

die Umsatzsteuer 1998 auf 86 151,80 DM und

die Umsatzsteuer 1999 auf 51 895,68 DM

fest.

Das Urteil des FG ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 374.

Hiergegen wendet sich die Revision des FA: §§ 10 Abs. 1 und 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993/1999 seien eindeutig dahin gehend zu verstehen, dass Entgeltminderungen nur in der jeweiligen Leistungsbeziehung zwischen leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger zu berücksichtigen seien; eine Leistungsbeziehung bestehe hier aber gerade nicht zwischen der Klägerin und den Kunden, sondern nur zwischen der Klägerin und den Reiseveranstaltern, denen sie die Reisen vermittle. Soweit der EuGH in den vom FG genannten Urteilen zu Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a und Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) eine andere Auffassung vertrete, seien die entschiedenen Fälle nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, da hier keine "Herstellerrabatte" vorlägen. Eine Minderung der Bemessungsgrundlage käme nur dann in Betracht, wenn letztendlich die Gewährung eines Rabattes auf die Ausgangsrechnung des Reiseveranstalters gegenüber dem Kunden (Reisepreis) eine Auswirkung hätte. Dies sei auch der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG zu entnehmen (Urteil vom 19. Juni 2003 Rs. C-149/01, First Choice Holidays, Slg. 2003, I-6289, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2003, 456).

Das FA beantragt, das Urteil des FG vom 25. November 2003 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt, die Revision abzuweisen und die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen.

Die Parteien haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin an die Kunden gewährten Preisnachlässe die Bemessungsgrundlage der von der Klägerin an die Reiseveranstalter erbrachten Vermittlungsleistungen mindert (§§ 10 Abs. 1 und 17 Abs. 1 UStG; Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a und Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG).

1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt bemessen; nach Satz 2 der Bestimmung ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (abzüglich der Umsatzsteuer). Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert, so haben nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG

(1.) der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag und

(2.) der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen.

Zur Auslegung dieser Vorschriften sind Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a und Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen. Besteuerungsgrundlage ist nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG "bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen ... alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger ... erhält"; nach Teil C Abs. 1 dieser Bestimmung wird "im Falle ... des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedsstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert".

Nach den EuGH-Urteilen vom 15. Oktober 2002 Rs. C-427/98, Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland (Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328) und vom 24. Oktober 1996 Rs. C-317/94, Elida Gibbs (Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324, UR 1997, 265) ist das Umsatzsteuersystem darauf angelegt, dass nur der Endverbraucher wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer belastet wird (Elida Gibbs Rdnrn. 19, 22, 23; Rs. C-427/98 Rdnr. 53). Für Unternehmer, die auf den Produktions- und Vertriebsstufen vor der Endverbrauchsstufe tätig sind, muss die Umsatzbesteuerung neutral sein (Elida Gibbs Rdnrn. 26-28). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze darf dem Fiskus aus allen Umsatzgeschäften von der Herstellung bis zum Endverbrauch nur der Umsatzsteuerbetrag zufließen, den der Endverbraucher letztlich wirtschaftlich aufwendet (Elida Gibbs Rdnr. 24; Rs. C-427/98 Rdnr. 53). Der EuGH hat es deshalb nicht für erforderlich gehalten, dass ein Preisnachlass oder eine Preiserstattung (ggf. über einen "Gutschein") in der unmittelbaren Leistungsbeziehung gewährt werden muss, um sich entgeltmindernd auszuwirken; auch der vom Hersteller direkt an den Endverbraucher gewährte Preisnachlass mindert die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer des Herstellers für seinen Umsatz an seinen unmittelbaren Abnehmer (Zwischenhändler), ohne dass sich dadurch der Vorsteuerabzug des Abnehmers ändert oder die vom Hersteller an seinen Abnehmer erteilte Rechnung unrichtig wird (Elida Gibbs Rdnr. 33; Rs. C-427/98 Rdnr. 41). Der EuGH hat für derartige Fälle klargestellt, dass es kein allgemeines Korrespondenzprinzip zwischen der Bemessungsgrundlage des Lieferanten und dem Vorsteuerabzug seines Abnehmers gibt, diese vielmehr unabhängig voneinander zu beurteilen sind. Diese Grundsätze hat der EuGH zwar in Fallgestaltungen entschieden, in denen der Hersteller eines Produkts Gutscheine ausgegeben hat und diese im Falle eines Endumsatzes vom Hersteller dem Endverbraucher --ggf. über den letzten Einzelhändler-- vergütet wurden. Gleichwohl hat der EuGH für derartige Fälle ein allgemein gültiges Prinzip des Mehrwertsteuersystems zum Ausdruck gebracht, das sich auf alle Fälle der Leistungserstellung auf verschiedenen Vorstufen, einschließlich etwaiger Vermittlungsleistungen anwenden lässt: Wenn ein an der Leistungserstellung beteiligter Unternehmer dem Endverbraucher unmittelbar Preisnachlässe gewährt, mindert sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den von ihm erbrachten Umsatz. Vorliegend ist die Klägerin als Reisebüro mit ihren Vermittlungsleistungen als erster Unternehmer in der Kette von Dienstleistungen anzusehen, die letztlich als Einheit beim Endverbraucher (Reisekunden) ankommen.

Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 10 Abs. 1 und 17 Abs. 1 UStG ist deshalb von folgenden Grundsätzen auszugehen:

a) Das "Entgelt" i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG vermindert sich auch um solche Preisnachlässe, die ein in der Leistungskette beteiligter Unternehmer direkt dem Endverbraucher gewährt. Diese Interpretation des Begriffes "Entgelt" folgt aus dem materiellen Charakter der Umsatzsteuer als Endverbrauchssteuer; sie darf daher nicht höher sein als der in dem Gesamtbetrag enthaltene Umsatzsteuerbetrag, den der Endverbraucher letztlich aufwendet.

b) Erstattet der erste Unternehmer in einer Leistungskette dem Endverbraucher einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts oder gewährt er ihm einen Preisnachlass, mindert sich dadurch die Bemessungsgrundlage für den Umsatz des ersten Unternehmers (an seinen Abnehmer der nächsten Stufe). Der erste Unternehmer hat deshalb den für seinen Umsatz geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen.

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze mindert sich die Bemessungsgrundlage der von der Klägerin an die Reiseveranstalter erbrachten Vermittlungsumsätze um die Beträge, die den Endverbrauchern (Reisekunden) von der Klägerin vergütet wurden. Der Vorsteuerabzug der Reiseveranstalter für die von der Klägerin diesen in Rechnung gestellten Vermittlungsleistungen ändert sich dadurch nicht, auch wird die Rechnung durch die Änderung der Bemessungsgrundlage bei der Klägerin nicht unrichtig, so dass sie die Umsatzsteuer etwa nach § 14 Abs. 2 UStG (jetzt: § 14c UStG 2005) schulden würde. Im Gesamtergebnis erhält der Fiskus damit die Umsatzsteuer, die in dem vom Endverbraucher aufgewendeten Betrag enthalten ist. Dies zeigt folgendes Beispiel: Stellt der Reiseveranstalter dem Endverbraucher (bei einem Umsatzsteuersatz von 16 %) 1 000 DM zzgl. 160 DM Umsatzsteuer in Rechnung und vergütet dem Reisebüro eine Provision von 100 DM zzgl. 16 DM, führt der Reiseveranstalter 160 DM - 16 DM = 144 DM an das FA ab. Das Reisebüro gewährt dem Kunden 3 % Nachlass auf den Reisepreis, d.h. von 1 160 DM (brutto) = 34,80 DM; sein Bruttoentgelt beträgt damit 116 DM - 34,80 DM = 81,20 DM oder netto 70 DM. Das Reisebüro führt damit an das FA 16 % von 70 DM = 11,20 DM ab. Insgesamt erhält der Fiskus damit 144 DM + 11,20 DM = 155,20 DM. Dies entspricht der Umsatzsteuer, die in dem vom Reisekunden letztlich aufgewendeten Betrag von 1 160 DM - 34,80 DM = 1 125,20 DM enthalten ist (netto 970 DM, Umsatzsteuer 155,20 DM).

3. Der Senat ist in seinem Beschluss vom 14. April 1983 V B 28/81 (BFHE 138, 113, BStBl II 1983, 393) noch von dem Grundsatz ausgegangen, dass sich eine Entgeltminderung nur in der jeweiligen Leistungsbeziehung ergeben könne. An dieser Rechtsprechung wird angesichts der oben genannten, vom EuGH aufgestellten Grundsätze des Mehrwertsteuersystems nicht mehr festgehalten.

4. Der Hinweis des FA auf die EuGH-Rechtsprechung zu Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG stützt sein Begehren nicht, weil diese Regelung nur eingreift, soweit Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten, was vorliegend nicht der Fall ist. Deshalb ist auch § 25 UStG nicht einschlägig.

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