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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.07.2004
Aktenzeichen: V R 30/00 (1)
Rechtsgebiete: UStG 1999, Richtlinie 77/388/EWG, EGEntsch 2000/186/EG


Vorschriften:

UStG 1999 § 15 Abs. 1 b
UStG 1999 § 27 Abs. 3
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 27
EGEntsch 2000/186/EG Art. 2
EGEntsch 2000/186/EG Art. 3 Abs. 1
1. Ein Unternehmer, der einen PKW zur gemischten (teils unternehmerischen und teils nichtunternehmerischen) Nutzung erwirbt, und diesen seinem Unternehmen zuordnet, kann im Besteuerungszeitraum 1999 den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen.

2. Der Steuerpflichtige kann sich im Besteuerungszeitraum 1999 gegenüber den Vorschriften des § 15 Abs. 1 b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 unmittelbar auf Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, weil Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG) zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von Art. 6 und Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig ist, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung ab dem 1. April 1999 vorsieht.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Malerunternehmen. Im April 1999 erwarb er einen PKW zum Preis von 55 086,21 DM zuzüglich 16 v.H. Umsatzsteuer in Höhe von 8 813,79 DM. Er ordnete diesen PKW seinem Unternehmen zu und nutzte ihn zu 70 v.H. für unternehmerische und zu 30 v.H. für unternehmensfremde Zwecke.

In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für April 1999 machte der Kläger die gesamte Umsatzsteuer aus dem Kauf des PKW als Vorsteuer geltend. Der Kläger ist der Auffassung, die ab 1. April 1999 geltende Neuregelung des § 15 Abs. 1 b des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) verstoße gegen Gemeinschaftsrecht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 1999 unter Hinweis auf § 15 Abs. 1 b UStG nur 50 v.H. der Vorsteuerbeträge als abziehbar.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus, der Kläger könne sich auf die für ihn günstigere Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen; die Beschränkungen des Vorsteuerabzugs widersprächen dem Gemeinschaftsrecht, wenn --wie hier-- Beschränkungen dieses Inhalts weder vor In-Kraft-Treten der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehen gewesen seien, noch --im Zeitpunkt der Entscheidung des FG am 10. Februar 2000-- gemäß Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG eine entsprechende Ermächtigung zu deren Erlass vorliege.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 15 Abs. 1 b UStG. Es weist darauf hin, dass der Rat der Europäischen Union mit Entscheidung vom 28. Februar 2000 2000/186/EG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2000 Nr. L 59, 12 vom 4. März 2000) die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) gemäß Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG mit Wirkung ab 1. April 1999 ermächtigt habe, den Abzug der Mehrwertsteuer auf die Gesamtausgaben für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt werden, auf 50 v.H. zu beschränken, soweit die Fahrzeuge --wie im Streitfall der vom Kläger angeschaffte PKW-- weder Umlaufvermögen des Steuerpflichtigen sind noch höchstens bis zu 5 v.H. für private Zwecke genutzt werden.

Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 30. November 2000 V R 30/00 (BFHE 193, 174, BFH/NV 2001, 405) das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 2 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 2000/186/EG zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Art. 6 und 17 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig, weil das der Entscheidung vorangegangene Verfahren nicht den Vorgaben des Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG entspricht?

2. Ist Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung 2000/186/EG, wonach die Entscheidung auf den 1. April 1999 zurückwirkt, gültig?

3. Entspricht Art. 2 der Entscheidung 2000/186/EG den inhaltlichen Anforderungen, die an eine derartige Ermächtigung zu stellen sind, und ergeben sich hieraus Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift?

Der EuGH hat die Fragen mit Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-17/01 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2004, 315) wie folgt beantwortet:

1. Die Prüfung des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung 2000/186/EG des Rates vom 28. Februar 2000 zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - abweichende Regelungen anzuwenden, geführt hat, hat keinen Mangel erkennen lassen, der die Gültigkeit dieser Entscheidung beeinträchtigen könnte.

2. Artikel 3 der Entscheidung 2000/186/EG ist ungültig, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland durch den Rat der Europäischen Union ab dem 1. April 1999 vorsieht.

3. Artikel 2 der Entscheidung 2000/186/EG entspricht den inhaltlichen Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung und ist nicht ungültig.

Das FA hat keine Stellungnahme abgegeben.

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger tritt der Revision entgegen.

Gegenstand des Verfahrens ist gemäß § 68 FGO der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 vom 22. Februar 2001.

II.

Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung (§ 127 FGO).

Zu Recht hat das FG entschieden, dass dem Kläger im Streitjahr 1999 abweichend von § 15 Abs. 1 b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG der volle Vorsteuerabzug für das ganz seinem Unternehmen zugeordnete Fahrzeug zusteht und er die private Verwendung nach § 3 Abs. 9 a Nr. 1 UStG versteuern muss. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, nachdem der angefochtene Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 1999 während des Revisionsverfahrens durch den Umsatzsteuer-Jahressteuerbescheid für 1999 vom 22. Februar 2001 ersetzt worden ist.

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Nach der durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) eingeführten Neuregelung des § 15 Abs. 1 b UStG sind abziehbar nur zu 50 v.H. Vorsteuerbeträge, die auf die Anschaffung oder Herstellung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen i.S. des § 1b Abs. 2 UStG entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden.

Der PKW des Klägers ist ein Fahrzeug i.S. des § 1b Abs. 2 UStG.

§ 15 Abs. 1 b UStG ist nach § 27 Abs. 3 UStG erstmals auf Fahrzeuge anzuwenden, die nach dem 31. März 1999 angeschafft oder hergestellt, eingeführt, innergemeinschaftlich erworben oder gemietet werden.

Im Streitfall lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 b i.V.m. § 27 Abs. 3 UStG vor, da der Kläger das Fahrzeug zu 70 v.H. für unternehmerische Zwecke genutzt und das Fahrzeug nach dem 31. März 1999 angeschafft hat.

2. Der Kläger, der das Fahrzeug insgesamt dem Unternehmen zugeordnet hat und den uneingeschränkten Vorsteuerabzug begehrt, kann sich jedoch unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

a) Nach Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Nach ständiger Rechtsprechung kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen seiner Bedeutung für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn sie in der Richtlinie 77/388/EWG selbst vorgesehen sind (vgl. EuGH-Urteile vom 19. September 2000 Rs. C-177/99, C-181/99, Ampafrance SA und Sanofi Synthelabo, Rdnr. 34, UR 2000, 474, und vom 6. Juli 1995 Rs. C-62/93, BP Soupergaz, Rdnr. 18, Slg. 1995, I-1883, UR 1995, 404; Senatsbeschluss in BFHE 193, 174, BFH/NV 2001, 405).

b) Für eine Einschränkung des Vorsteuerabzuges, wie sie in § 15 Abs. 1 b UStG geregelt ist, fehlte im Streitjahr 1999 eine entsprechende Ermächtigung.

aa) Die Beschränkung des Vorsteuerabzuges war nicht nach Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie 77/388/EWG zulässig (ausführlich Senatsbeschluss in BFHE 193, 174, BFH/NV 2001, 405, unter 2. a und b).

bb) Eine Ermächtigung nach Art. 27 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 77/388/EWG fehlte für das Streitjahr 1999, denn der EuGH hat im Urteil in UR 2004, 315 Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG, ABlEG 2000, Nr. L 59, 12) zur Ermächtigung der Bundesrepublik, von Art. 17 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2 Buchst. a abweichende Regelungen einzuführen, aus folgenden Gründen für ungültig erklärt, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung ab dem 1. April 1999 vorsieht:

- Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Gemeinschaftsrechtsakts auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen. Dies kann ausnahmsweise dann anders sein, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist (Rdnr. 33, m.w.N.).

- Rechtsakte der Gemeinschaft müssen eindeutig sein, und ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein. Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Maße, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (vgl. Rdnr. 34, m.w.N.).

- Zur Erreichung des Zieles der Ermächtigung --Vermeidung von Steuerhinterziehungen und Steuermissbrauch bei nicht ausschließlich betrieblich genutzten Fahrzeugen wegen der schweren Kontrollierbarkeit-- und zur Vereinfachung der Besteuerung (vgl. Begründungserwägung 5 und 9 der Entscheidung 2000/186/EG) war eine Rückwirkung nicht erforderlich (vgl. Rdnr. 36).

- Hinsichtlich des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen ist der Grundsatz des Sofortabzuges der Vorsteuer zu beachten: Entscheidet sich der Steuerpflichtige dafür, dass ein Gut, das sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet wird, als Gegenstand des Unternehmens behandelt wird, ist die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Vorsteuer grundsätzlich vollständig und sofort abziehbar. Da keine Bestimmung es den Mitgliedstaaten erlaubt, das Recht auf Vorsteuerabzug einzuschränken, muss dieses deshalb somit für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden können (vgl. Rdnr. 37, m.w.N.).

cc) Weil Art. 3 der Entscheidung in ABlEG 2000, Nr. L 59, 12 ungültig ist, soweit er die rückwirkende Geltung des § 15 Abs. 1 b UStG gestattete, fehlte es bis zu der am 4. März 2000 erfolgten Veröffentlichung der Entscheidung in ABlEG 2000, Nr. L 59, 12 und deshalb auch im Streitjahr 1999 an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage für die Einschränkung des Vorsteuerabzuges.

Der Kläger kann sich deshalb wegen der Unvereinbarkeit der Einschränkung des Vorsteuerabzugsrechtes durch § 15 Abs. 1 b UStG auf das ihm günstigere Gemeinschaftsrecht des Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG berufen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 23. Januar 1986 Rs. 283/84, Trans Tirreno Express Spa, Slg. 1986, 231; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 2000 V R 49/00, BFHE 193, 170, BStBl II 2001, 266, m.w.N.).

3. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die private Verwendung des Fahrzeuges nach § 3 Abs. 9 a Nr. 1 UStG dem Grunde nach der Umsatzsteuer unterliegt. Danach werden einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes, der --wie hier-- zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens liegen.

Allerdings bestimmt § 3 Abs. 9 a Satz 2 UStG, dass dies nicht gilt u.a. bei der Verwendung eines Fahrzeuges, bei dessen Anschaffung Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1 b UStG nur zu 50 v.H. abziehbar waren. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor, denn der Kläger erhält den vollen Vorsteuerabzug für die Anschaffung des Fahrzeuges.

4. Der Senat kann, nachdem während des Revisionsverfahrens der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1999 am 22. Februar 2001 ergangen ist, nicht abschließend entscheiden und verweist die Sache gemäß § 127 FGO an das FG zurück.

Ende der Entscheidung

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