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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: V R 34/03
Rechtsgebiete: UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG
Vorschriften:
UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 | |
UStG 1993 § 3 Abs. 9 | |
Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1 |
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Anwaltssozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Am 27. Juni 1992 schloss sie mit einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis einen Beratungsvertrag. Danach sollte die Klägerin die Gemeinschaftspraxis in sämtlichen den Geschäftsbetrieb betreffenden Rechtsangelegenheiten beraten. Als Honorar für diese Leistung wurde eine jährliche Pauschale von 250 000 DM, zahlbar in monatlichen Raten am Monatsende, vereinbart. Der Vertrag wurde fest abgeschlossen für die Dauer vom 1. Oktober 1991 bis 31. Dezember 1996; lediglich eine Kündigung aus wichtigem Grund blieb vorbehalten.
Da sich die Gemeinschaftspraxis wegen Differenzen zwischen ihren Gesellschaftern in 1993 auflösen wollte, eröffnete sie der Klägerin im Rahmen einer Zusammenkunft am 5. Juni 1993, dass sie den Beratungsvertrag auflösen wolle und ihn vorzeitig kündige. Trotz des Hinweises der Vertreter der Klägerin auf mögliche rechtliche Konsequenzen, nämlich Klage auf Erfüllung oder Schadensersatz war die Ärztegemeinschaft nicht mehr bereit, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten. Nachdem den Vertretern der Klägerin angedeutet worden war, dass ein Beharren auf dem Vertrag aufgrund einer dann beabsichtigten Bekanntmachung auf dem nur kleinen "ärztlichen Markt" für sie nachteilige Folgen haben werde, kam es nach schwierigen Verhandlungen schließlich am 24. August 1993 zu einer Auflösungsvereinbarung. Danach beendeten die Vertragsparteien "auf dringenden Wunsch der Gemeinschaftspraxis" den Beratungsvertrag einvernehmlich zum 30. August 1993. Für "den entgangenen Gewinn aufgrund der Auflösung des Vertragsverhältnisses" erhielt die Klägerin vereinbarungsgemäß im September 1993 von der Gemeinschaftspraxis "als Schadensersatz" einen einmaligen Betrag in Höhe von 450 000 DM (Ziff. 2 der Auflösungsvereinbarung). Die Klägerin ließ den Betrag in der Annahme, es handele sich um nichtsteuerbaren Schadensersatz, in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1993 unberücksichtigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem im Anschluss an eine Außenprüfung nicht. Es erließ am 26. November 1997 den angefochtenen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1993, mit dem es den Umsatz um 391 304 DM und die Umsatzsteuer um 58 695 DM erhöhte. Gleichzeitig setzte das FA Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von 8 974 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Seine Entscheidung ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2003, 1421 veröffentlicht.
Das FG vertrat im Wesentlichen die Auffassung, der Beratervertrag sei nicht durch Kündigung beendet worden, weil ein wichtiger Grund nicht vorgelegen habe. Auch die Klägerin habe den Vertrag nicht gekündigt, obwohl ihr dies wegen der Weigerung der Ärztegemeinschaft möglich gewesen sei; deshalb handele es sich nicht --wie die Klägerin meine-- um eine lediglich deklaratorische Auflösungsvereinbarung.
Eine Unterscheidung, die sich allein danach ausrichte, ob nach nationalem deutschen Zivilrecht Schadensersatz vorliege oder nicht, widerspreche den Zielen eines einheitlichen Mehrwertsteuersystems. Letztlich habe die Zahlung den entgangenen Gewinn abgelten sollen.
Die Zahlung unterliege jedoch nicht der Umsatzsteuer, denn der Annahme eines Leistungsaustausches stehe entgegen, dass dem Zahlenden durch den Verzicht auf die weitere Vertragsdurchführung kein verbrauchsfähiges Wirtschaftsgut zugewendet werde. Die Ärztegemeinschaft sei durch den Verzicht der Klägerin auf die weitere Vertragsdurchführung von ihrer eigenen Pflicht zur Zahlung der bis zum regulären Vertragsende monatlich zu zahlenden vollen Vergütung befreit worden. Dies sei für die Ärztegemeinschaft zwar vorteilhaft gewesen, weil ihr nun weitere Aufwendungen für die nicht mehr benötigte rechtliche Beratung erspart blieben. Dieser durch den Verzicht erlangte finanzielle Vorteil stelle aber kein verbrauchsfähiges Wirtschaftsgut dar, das --ähnlich wie ein Recht-- an andere Teilnehmer des Rechtsverkehrs weitergegeben werden könne.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.
Das FA ist der Auffassung, das FG berufe sich zu Unrecht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 29. Februar 1996 Rs. C-215/94 --Jürgen Mohr-- (Slg. 1996, I-972, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1996, 119). Für die Annahme eines Leistungsaustausches spreche vielmehr das EuGH-Urteil vom 15. Dezember 1993 Rs. C-63/92 --Lubbock Fine--, Slg. 1993, I-6665).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Schadensersatzzahlungen --wie hier-- unterlägen nicht der Umsatzsteuer.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht eine Leistung gegen Entgelt verneint.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. EuGH-Urteile vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 --Fillibeck--, Slg. 1997, I-5577, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1997, 430; Jürgen Mohr in Slg. 1996, I-959, UR 1996, 119; vom 18. Dezember 1997 Rs. C-384/95 --Landboden--, Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, und Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 6. Mai 2004 V R 40/02, BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).
Diese Voraussetzungen liegen auch vor, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher Grundlage oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet. So ist z.B. der entgeltliche Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben, wie § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG belegt, eine sonstige Leistung (BFH-Urteile in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854; vom 16. November 1972 V R 8/70, BFHE 107, 545, BStBl II 1973, 171; vgl. auch BFH-Urteil vom 13. November 2003 V R 59/02, BFHE 203, 540). Als steuerbarer (aber unter die Befreiungsvorschrift für Vermietungsleistungen fallender) Umsatz wird auch die vertragliche Auflösung eines Mietvertrages gegen Abfindung beurteilt (EuGH-Urteil Lubbock Fine in Slg. I-1993, 6665, RandNrn. 9 und 12; BFH-Beschluss vom 23. Januar 2002 V B 161/01, BFH/NV 2002, 553). Im Urteil vom 4. Oktober 2001 Rs. C-326/99 --Stichting Goed Wonen-- (UR 2001, 484, BFH/NV Beilage 2001, 10, RandNr. 33 ff.) hat der EuGH entschieden, dass als "Lieferung von Gegenständen" die Begründung, die Übertragung oder die Änderung dinglicher Rechte an Grundstücken, sowie der Verzicht auf sie eingestuft werden könnte. Als steuerbare sonstige Leistung hat der erkennende Senat den entgeltlichen Verzicht eines auf Lebenszeit bestellten Testamentsvollstreckers auf die weitere Ausübung seines Testamentsvollstreckeramts beurteilt (BFH-Urteil in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).
2. Im Streitfall hat die Klägerin mit dem entgeltlichen Verzicht auf ihre Rechte aus dem Anwaltsvertrag eine steuerbare sonstige Leistung erbracht.
a) Insoweit geht das FG zu Recht davon aus, dass für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung die von den Beteiligten verwendete Bezeichnung --hier "Schadensersatz"-- nicht entscheidend ist. Ob die angeführten Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist vielmehr allein nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. Juli 1997 V R 94/96, BFHE 183, 288, BStBl II 1997, 707; in BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854).
b) Zu Unrecht hat das FG aber eine steuerbare sonstige Leistung verneint.
Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrages (vgl. §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches), durch den sich eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt, falls der leistende Vertragspartner Unternehmer ist. Zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenden Gegenwert besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Der Leistungsempfänger steht aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger fest. Die versprochene Leistung ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält. Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in gegenseitigen Verträgen verpflichtet haben, liegt der erforderliche Leistungsverbrauch grundsätzlich vor; das versprochene Tun, Dulden oder Unterlassen ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält (Senatsurteil vom 18. Januar 2005 V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394). Ob der Leistungsempfänger die Leistung tatsächlich verwendet oder ggf. zu welchem Zweck, ist grundsätzlich unerheblich (EuGH-Urteil Landboden in Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, RandNr. 20).
Das Urteil des FG, das von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war daher aufzuheben.
c) Im Streitfall sind die Voraussetzungen einer Leistung gegen Entgelt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt. Das FG geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Beratervertrag nicht durch eine außerordentliche Kündigung, sondern durch dessen einvernehmliche Aufhebung beendet worden ist und die Vertragsbeteiligten sich über die Höhe des für die Bereitschaft hierzu zu zahlenden Entgelts geeinigt haben. Danach hat die Klägerin eine aufgrund ihrer vorausgehenden wirtschaftlichen Tätigkeit erworbene Rechtsposition und die rechtliche Möglichkeit, darüber zu disponieren, zum Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages mit einem identifizierbaren Verbraucher gemacht.
Die Ärztegemeinschaft hat durch die Leistung der Klägerin auch einen Vorteil erlangt, da sie dadurch ohne weitere Streitigkeiten vorzeitig aus dem bis zum 31. Dezember 1996 fest abgeschlossenen Beratervertrag entlassen worden ist. Das genügt.
Ende der Entscheidung
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