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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.09.2003
Aktenzeichen: V R 34/99 (1)
Rechtsgebiete: UStG 1991, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1991 § 2
UStG 1991 § 4 Nr. 8 Buchst. c
UStG 1991 § 15 Abs. 1
UStG 1991 § 15 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3
1. Beim sog. echten Factoring, bei dem der Factor Forderungen eines Unternehmers (des sog. Anschlusskunden) ankauft, ohne gegen diesen bei Ausfall von Schuldnern ein Rückgriffsrecht zu haben, liegen umsatzsteuerrechtlich keine Umsätze des Anschlusskunden an den Factor, sondern Umsätze des Factors an den Anschlusskunden vor (Änderung der Rechtsprechung).

2. Kauft ein Factor Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos auf und berechnet er seinem Kunden dafür Gebühren, liegt eine "Einziehung von Forderungen" i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG 1991 vor. Die Einziehung der Forderungen ist steuerpflichtig und führt nicht zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs.


Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH & Co. KG (Factoring KG). Sie gehörte zusammen mit der M-GmbH zur Firmengruppe A. Die M-GmbH importierte im Streitjahr (1991) und den Folgejahren Fahrzeuge der Marke X und vertrieb sie über ein eigenes Händlernetz auf dem deutschen Markt. Die Factoring KG übernahm für sie das Factoring- und Finanzierungsgeschäft.

Mit Factoringvertrag vom 27. Juni 1991 verpflichtete sich die Factoring KG gegenüber der M-GmbH, deren Forderungen gegenüber den Händlern aus Fahrzeuglieferungen innerhalb eines jeweils zuvor von ihr festgelegten Rahmens anzukaufen und die darüber hinausgehenden Forderungen mit Rückgriffsrecht gegen die M-GmbH zu verwalten. Für die angekauften Forderungen übernahm sie das Ausfallrisiko ohne Rückgriffsrecht gegen die M-GmbH. Der Delkrederefall galt als eingetreten bei Ausfall der Zahlung durch die Händler 150 Tage nach Fälligkeit der jeweiligen Rechnung. Ferner verpflichtete sich die Factoring KG zur Führung der Debitorenbuchhaltung und zur Übersendung von Unterlagen an die M-GmbH, die dieser Einblick in den Stand der jeweiligen Abnehmer-Geschäftsbeziehungen ermöglichten. Die Factoring KG hatte den Nennbetrag der innerhalb einer Kalenderwoche angekauften Forderungen der M-GmbH unter Abzug der vereinbarten Gebühren am dritten Bankarbeitstag der folgenden Woche zu vergüten. Vereinbarte Gebühren waren eine Factoringgebühr von 2 % und eine Delkrederegebühr von 1 % der Nennbeträge der übernommenen Forderungen. Ferner verpflichtete sich die M-GmbH zur Zahlung von Zinsen, deren Bemessungsgrundlage der tägliche Debitorenstand der Händler bei der Factoring KG sein sollte. Der Zinssatz sollte 1,8 % über dem Zinsdurchschnittssatz liegen, den die Factoring KG für ihre Refinanzierung zu zahlen hatte.

Die Factoring KG vertrat die Auffassung, sie erbringe an die M-GmbH auch insoweit steuerpflichtige Leistungen, als sie das Ausfallrisiko für die angekauften Forderungen übernommen hatte (echtes Factoring), und stellte der M-GmbH diese Leistungen mit den entsprechenden Gebühren und Zinsen in Rechnung. Dementsprechend machte sie in ihrer für das Streitjahr 1991 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eingereichten Steuererklärung auch den Vorsteuerabzug in Höhe von 1 028 100 DM für die damit zusammenhängenden Eingangsumsätze geltend.

Nach Durchführung einer Betriebsprüfung versagte das FA der Klägerin (als Rechtsnachfolgerin der Factoring KG) insoweit den Vorsteuerabzug (Umsatzsteuerbescheid 1991 vom 11. April 1997) mit der Begründung, dass sie insoweit nicht unternehmerisch tätig gewesen sei.

Die Klage der Klägerin gegen diesen Bescheid hatte Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 926).

Hiergegen wendet sich das FA mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision.

Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 17. Mai 2001 V R 34/99 (BFHE 194, 544) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Frage zur Auslegung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vorgelegt:

1. Verwendet eine Factoring-Gesellschaft die von ihr bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen auch insoweit für Zwecke ihrer Umsätze, als sie Forderungen aufkauft und das Ausfallrisiko für diese Forderungen übernimmt?

2. Handelt es sich dabei um besteuerte Umsätze oder --jedenfalls auch-- um Umsätze i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG, die insoweit besteuert werden können, als die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen das Recht eingeräumt haben, für eine Besteuerung zu optieren? Welche der in Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG aufgezählten Umsätze liegen in diesem Fall vor?

Der EuGH hat die ihm gestellten Fragen mit Urteil vom 26. Juni 2003 Rs. C-305/01 --MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH-- (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2003, 399 mit Anm. Wäger) wie folgt beantwortet:

1. Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinen Kunden dafür Gebühren berechnet, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Art. 2 und 4 dieser Richtlinie ausübt, so dass er die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen hat und daher gemäß Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

2. Eine wirtschaftliche Tätigkeit, die darin besteht, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinem Kunden dafür Gebühren berechnet, stellt eine "Einziehung von Forderungen" i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 a.E. der Richtlinie 77/388/EWG dar und ist damit von der mit dieser Bestimmung eingeführten Steuerbefreiung ausgeschlossen.

Das FA beantragt weiterhin, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG 1991) kann ein Unternehmer unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen als Vorsteuerbeträge die ihm von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Lieferungen und sonstigen Leistungen, für die die Klägerin den Vorsteuerabzug geltend macht, für das Unternehmen der Factoring KG ausgeführt worden sind.

2. Die Factoring KG war Unternehmerin i.S. des § 2 UStG 1991, da sie Umsätze gegen Entgelt ausführte.

Dies gilt auch, soweit die Factoring KG im Rahmen des sog. echten Factoring das Ausfallrisiko für die Kaufpreisforderungen der M-GmbH übernahm.

a) Beim Factoring-Geschäft lässt sich der Factor (regelmäßig noch nicht fällige) Forderungen des sog. Anschlusskunden (im Streitfall: die Kaufpreisforderungen der M-GmbH aus dem Vertrieb der Autos) abtreten und bezahlt dafür sofort. Echtes Factoring liegt vor, wenn der Factor auch das Risiko des Forderungsausfalls übernimmt. Dagegen werden beim unechten Factoring die Forderungen nur vorschussweise vergütet; wenn sich ihre Uneinbringlichkeit herausstellt, muss der Anschlusskunde die Vergütung zurückzahlen. Im Übrigen entlastet der Factor den Anschlusskunden bei der Debitorenverwaltung, er überwacht die Fälligkeit der Kundenforderungen des Anschlusskunden und zieht diese ein.

b) Das echte Factoring wird zwar zivilrechtlich im Kern als Forderungsverkauf durch den Anschlusskunden an den Factor angesehen. Umsatzsteuerrechtlich liegen jedoch keine Umsätze des Anschlusskunden an den Factor, sondern Umsätze des Factors an den Anschlusskunden vor.

c) Die Vorschriften der §§ 2 und 15 UStG 1991 entsprechen Art. 4 und 17 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Das sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe; als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst (Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.

Hierzu hat der EuGH im Streitfall entschieden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinen Kunden dafür Gebühren berechnet, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Art. 2 und 4 der Richtlinie 77/388/EWG ausübt, so dass er die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen hat und daher gemäß Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat der EuGH unter anderem ausgeführt:

"49 Denn einerseits erbringt der Factor, der in einem solchen Fall echtes Factoring betreibt, indem er Forderungen seines Kunden ankauft, ohne gegen diesen bei Ausfall von Schuldnern ein Rückgriffsrecht zu haben, dem Anschlusskunden unbestreitbar eine Dienstleistung, die im Wesentlichen darin besteht, dass er ihn von der Einziehung der Forderungen und dem Risiko ihrer Nichterfüllung entlastet. Andererseits hat der Anschlusskunde dem Factor als Entgelt für diese Dienstleistung eine Vergütung zu zahlen, die der Differenz zwischen dem Nennbetrag der dem Factor abgetretenen Forderungen und dem Betrag entspricht, den der Factor ihm als Preis für die Forderungen zahlt. Den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ist nämlich zu entnehmen, dass im Ausgangsverfahren die Factoring KG gemäß den Bestimmungen des Vertrages mit der M-GmbH eine Factoringgebühr von 2 % und eine Delkrederegebühr von 1 % der Nennbeträge der übernommenen Forderungen einbehalten hat.

50 Die Zahlung eines solchen Entgelts folgt somit nicht aus dem bloßen Vorhandensein der Forderungen im Vermögen des Factors, sondern sie stellt die tatsächliche Gegenleistung für eine von diesem ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit, nämlich die von ihm dem Kunden erbrachten Dienstleistungen, dar. Somit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Factors und der von ihm als Vergütung erhaltenen Gegenleistung, so dass nicht gesagt werden kann, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der echtes Factoring betreibt, seinem Anschlusskunden keine entgeltlichen Leistungen erbringe und damit keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 und 4 der Sechsten Richtlinie ausübe, sondern als bloßer Empfänger von Leistungen in Form von Forderungsabtretungen durch den Kunden anzusehen sei. Dass der Factor dem Kunden gegenüber für die Erfüllung der Forderungen einsteht, indem er das Ausfallrisiko übernimmt, ist als Nutzung des betreffenden Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie anzusehen, wenn diese Tätigkeit - wie es auch im Ausgangsverfahren der Fall war - gegen Entgelt für einen bestimmten Zeitraum ausgeübt wird.

...

52 Demnach ist festzustellen, dass die Tätigkeiten des echten Factorings, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen."

d) Dementsprechend war die Klägerin, auch soweit sie das echte Factoring betrieb, als Unternehmerin i.S. der §§ 2, 15 UStG 1991 grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) bislang beim echten Factoring eine steuerfreie Abtretung von Forderungen des Anschlusskunden an den Factor und keine Umsätze des Factors an den Anschlusskunden annahm (vgl. BFH-Urteile vom 10. Dezember 1981 V R 75/76, BFHE 134, 470, BStBl II 1982, 200, und vom 27. Mai 1987 X R 2/81, BFHE 150, 375, BStBl II 1987, 739), ist dies mit dem Urteil des EuGH in der vorliegenden Rechtssache nicht vereinbar; der Senat hält insoweit an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest.

3. Der Vorsteuerabzug ist auch nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1991 ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer für Leistungen, die der Unternehmer zwar gemäß § 15 Abs. 1 UStG 1991 für sein Unternehmen bezieht, aber in dessen Rahmen zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.

Die Klägerin hat die Leistungsbezüge, für die sie den Vorsteuerabzug begehrt, nicht zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.

Dies folgt aus § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG 1991 und der entsprechenden Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG.

Nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG 1991 sind die Umsätze im Geschäft mit Geldforderungen und die Vermittlung dieser Umsätze steuerfrei, ausgenommen die Einziehung von Forderungen. Nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten "die Umsätze - einschließlich der Vermittlung - im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen".

Der EuGH hat im vorliegenden Verfahren entschieden, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit, die darin besteht, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinem Kunden dafür Gebühren berechnet, eine "Einziehung von Forderungen" i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 a.E. der Richtlinie 77/388/EWG darstellt und damit von der mit dieser Bestimmung eingeführten Steuerbefreiung ausgeschlossen ist.

Folglich liegt auch eine "Einziehung von Forderungen" i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG 1991 vor, wenn ein Factor Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinem Kunden dafür Gebühren berechnet. Die Einziehung der Forderungen ist steuerpflichtig und führt nicht zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs.

Ende der Entscheidung

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