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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 25.05.2000
Aktenzeichen: V R 48/99
Rechtsgebiete: UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1993 § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. b
BUNDESFINANZHOF

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Fällt unter den Begriff "Vermietung von Grundstücken" in Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG die entgeltliche Überlassung eines aus Fertigteilen errichteten Gebäudes, das nach Vertragsbeendigung entfernt werden muss und auf einem anderen Grundstück wieder verwendet werden kann?

2. Ist insoweit von Bedeutung, ob der Vermieter dem Mieter das Grundstück und das Gebäude oder nur das Gebäude überlässt, das er auf dem Grundstück des Mieters errichtet hat?

UStG 1993 § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. b

Beschluss vom 25. Mai 2000 - V R 48/99 -

Vorinstanz: FG München (EFG 1999, 1160)


Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) vermietete dem F sog. Gemeinschaftsunterkünfte "mit Umgriff" (d.h. mit dem dazu notwendigen Grund und Boden) zur vorläufigen Unterbringung von Asylbewerbern. Als Vertragsdauer waren jeweils mindestens fünf Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit vereinbart.

Einige der Gemeinschaftsunterkünfte befanden sich auf einem Grundstück, das der Kläger von der Stadt B gemietet hatte und andere der Gemeinschaftsunterkünfte auf Grundstücken, die F von der Stadt B gemietet hatte. In beiden Fällen waren die Grundstücke nach Ende des Mietverhältnisses mit dem Kläger vollständig geräumt zurückzugeben.

Der Kläger hatte die Gemeinschaftsunterkünfte auf diesen Grundstücken als ein- und zweistöckige Gebäude --Fertighäusern vergleichbar-- aus vorgefertigten Teilen errichtet. Die Gebäude standen auf Sockeln aus Beton, die auf einem in das Erdreich eingelassenen Betonfundament mit einer Grundfläche von 35 m x 12 m errichtet worden waren. Die Wände waren aus Platten mit einer Größe von 5 m x 7 m angefertigt worden. Sie waren mit den in das Fundament eingelassenen Befestigungsbolzen verschraubt. Die zimmermannsmäßig errichteten Dachstühle waren mit Dachziegeln gedeckt. Die Fußböden und Wände der Sanitär- und Küchenräume waren gefliest. Das Bausystem für die Herstellung der Gebäude ließ es zu, dass das auf das Fundament aufgesetzte Bausystem jederzeit mit acht Personen innerhalb von zehn Tagen zur Wiederverwertung demontiert werden konnte.

Vorsteuerbeträge hatte der Kläger für die Errichtung der Gebäude im Jahr 1992 nicht abgezogen. Für die Streitjahre 1993 bis 1995 meldete er steuerfreie Umsätze durch Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 an.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) besteuerte die Umsätze des Klägers mit dem allgemeinen Steuersatz, weil er nicht Grundstücke, sondern nur Gebäude als sog. Scheinbestandteile (§ 95 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) vermietet habe. Das FA berücksichtigte bei der Steuerfestsetzung auch Vorsteuerbeträge.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Steuerbescheide für 1993 bis 1995 ab. Zur Begründung führte es u.a. aus: Die vermieteten Gebäude seien nicht Grundstücksbestandteile geworden, weil sie nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden worden seien. Der Kläger sei nach den für die Grundstücksüberlassungen maßgebenden Vereinbarungen verpflichtet gewesen, die Grundstücke geräumt zurückzugeben. Die Inhaber der Grundstücke hätten auch kein Wahlrecht auf Übernahme der Gebäude gehabt. Da die Gebäude als Scheinbestandteile zu beurteilen seien, habe der Kläger bewegliche Sachen vermietet und könne die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG nicht beanspruchen. Er könne sich unter diesen Umständen auch nicht auf Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen, weil er kein Grundstück im Sinne der Richtlinie 77/388/EWG vermietet habe.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt fehlerhafte Anwendung von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG und vertritt die Auffassung, der Grundstücksbegriff in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG schließe bei richtlinienkonformer Beurteilung Scheinbestandteile nicht aus. Der Grundstücksbegriff müsse unabhängig von nationalen Besonderheiten ausgelegt werden.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die bezeichneten Umsätze als steuerfrei zu beurteilen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten und beantragt, sie zurückzuweisen.

II.

Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die im Tenor bezeichneten Rechtsfragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

1. Zur Rechtslage nach deutschem Recht

a) Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen sind nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG (u.a.) steuerfrei:

Die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Nicht befreit sind nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG (u.a.) die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, und die Vermietung und Verpachtung von Maschinen und sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Begriff "Grundstück" in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG bürgerlich-rechtlich zu verstehen (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1991 V R 95/89, BFHE 166, 191, BStBl II 1992, 209 zu 1. a; vom 8. Oktober 1991 V R 46/88, BFHE 167, 200, BStBl II 1992, 368 zu 1. a). Er umfasst auch Gebäude und Gebäudeteile, weil sie wesentliche Bestandteile des Grundstücks sind, wenn sie mit dem Grund und Boden fest verbunden sind (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören aber solche Sachen --auch Gebäude-- nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind (§ 95 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB). Die Vermietung dieser sog. Scheinbestandteile ist keine Grundstücksvermietung i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1966 V 252/63, BFHE 87, 508, 511, BStBl III 1967, 209).

b) Das FG hat für den BFH unangreifbar festgestellt, dass die von dem Kläger vermieteten Gebäude nur für vorübergehende Zwecke errichtet worden sind. Ihre Vermietung wäre danach --falls man an der bisherigen Rechtsprechung festhielte-- keine Grundstücksvermietung (§ 95 Abs. 1 BGB) und nicht nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei.

Zu bemerken ist, dass sich die Steuerpflicht der Umsätze des Klägers nicht bereits nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG ergibt. Eine Vermietung von Wohn- und Schlafräumen i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG, die "ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält", ist nicht gegeben, weil die Vermietung an F und nicht die Aufenthaltsdauer der einzelnen Asylbewerber maßgebend ist. Danach ist bei einer Mindestdauer der Vermietung mit fünf Jahren keine Absicht des Vermieters erkennbar, die Gebäude nur kurzfristig zur Beherbergung von Fremden zu überlassen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 19. November 1998 V R 21/98, BFH/NV 1999, 837, und vom 9. Dezember 1993 V R 38/91, BFHE 173, 454, BStBl II 1994, 585). Die Wohngebäude sind auch keine Betriebsvorrichtungen i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG.

2. Zur Rechtslage nach der Richtlinie 77/388/EWG

Art. 13 Teil B der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer ...

b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme

1. der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen Grundstücken,

2. der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,

3. der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen,

4. der Vermietung von Schließfächern.

Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen.

3. Zur Anrufung des EuGH

a) Der Begriff der Vermietung eines Grundstücks in Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist ein eigenständiger Begriff des Gemeinschaftsrechts. Selbst wenn Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Steuerbefreiung oder der Besteuerung ein weites Ermessen einräumt (EuGH-Urteil vom 3. Februar 2000 Rs. C-12/98 - Amengual Far, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2000, 118, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 123), kann die Auslegung des Grundstücksbegriffs nicht von dem Zivilrecht eines Mitgliedstaats abhängen. Nur so kann gewährleistet sein, dass die genannte Richtlinienbestimmung in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet wird.

Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt der Begriff "Vermietung von Grundstücken" die Vermietung von Gebäuden ein (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Februar 1998 Rs. C-346/95 - Elisabeth Blasi, Slg. 1998, I-481, UR 1998, 189). Die Vermietung von Zelten, Mobilheimen und Wohnanhängern erfüllt die Voraussetzungen jedoch nicht (EuGH-Urteil vom 3. Juli 1997 Rs. C-60/96 - Kommission/Französische Republik, Slg. 1997, I-3827, UR 1997, 443), weil die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ausschließlich der Vermietung von "Grundstücken" vorbehalten ist.

Danach sind die rechtlichen Voraussetzungen, die für die Annahme einer Vermietung von "Grundstücken" gegeben sein müssen, noch nicht geklärt. Es erscheint dem Senat nicht ausgeschlossen, dass die in Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG verwendeten Begriffe Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (the leasing or letting of immovable property bzw. 1' affermage et la location de biens immeubles) ebenso wie der für die Bestimmung über den Ort der Grundstücksvermietung (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG) verwendete Begriff "Grundstück" (immovable property bzw. biens immeubles) nach dem Wortsinn eine unbewegliche, fest mit dem Grund und Boden verbundene Sache bezeichnet und diese von beweglichen Sachen abgrenzt. Für vorübergehende Zwecke errichtete Gebäude wären dann als Vermietung von Grundstücken zu beurteilen, weil die Vorschrift eine bestimmte Dauer der Verbindung mit dem Grundstück nicht voraussetzt.

b) Falls die in Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG bezeichnete Vermietung eines Grundstücks auch die Vermietung eines nur für vorübergehende Zwecke, aber fest mit dem Boden verbundenen, errichteten Wohngebäudes einschließt, ist klärungsbedürftig, ob dies auch dann gilt, wenn der Vermieter nur das Wohngebäude vermietet, aber nicht den Grund und Boden, auf dem das Wohngebäude errichtet worden ist.

Bei der Vermietung der Gemeinschaftsunterkunft zur vorläufigen Unterbringung von Asylbewerbern auf einem Grundstück der Stadt B hatte der Mieter F dieses Grundstück gemietet und dem Kläger lediglich gestattet, das Gebäude darauf zu errichten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich deswegen die Vermietung nicht mehr auf ein Grundstück bezieht.

4. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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