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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: V R 49/05
Rechtsgebiete: UStG 1993/1999, AO 1977


Vorschriften:

UStG 1993/1999 § 15 Abs. 4
AO 1977 § 164
AO 1977 § 168
Ist die Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr der Anschaffung oder Herstellung eines gemischt genutzten Gegenstandes formell bestandskräftig und hat der Unternehmer oder --bei Fehlen oder Abweichung von der Umsatzsteuererklärung-- das FA ein i.S. des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechtes Aufteilungsverfahren angewandt, ist dieser Maßstab (auch für die nachfolgenden Kalenderjahre des Berichtigungszeitraumes) bindend.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, errichtete in den Jahren 1998 und 1999 (Streitjahre) ein Wohn- und Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung zum Teil steuerfrei, zum Teil unter Verzicht auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze vermietete. Nach dem Verhältnis der Nutzflächen entfielen 33,38 v.H. auf die steuerpflichtig vermieteten und 66,62 v.H. auf die steuerfrei vermieteten Einheiten. Die Umsätze von insgesamt 20 837 DM entfielen zu 40,92 v.H. auf die steuerpflichtigen und zu 59,08 v.H. auf die steuerfreien Vermietungen.

Wie sich aus der vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung ergibt, hat die Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre die im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes angefallenen Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Nutzflächen aufgeteilt; der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stimmte den Steuererklärungen gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO 1977) zu.

Im Rahmen einer bei ihr im Jahr 2000 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung beantragten die Kläger nunmehr, die Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze aufzuteilen. Dem folgte das FA in den aus anderen Gründen geänderten Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 1998 und 1999 nicht. Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage unter Hinweis darauf statt, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei auch die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel eine sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG).

Hiergegen richtet sich die Revision des FA.

Es trägt im Wesentlichen vor, die Anwendung des Umsatzschlüssels scheide deswegen aus, weil die erstmaligen Steuerfestsetzungen --die nach Zustimmung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) gleichstehenden Umsatzsteuererklärungen (§ 168 AO 1977)-- bestandskräftig seien. Die Klägerin sei an den dort gewählten Aufteilungsmaßstab gebunden, soweit dieser sachgerecht gewesen sei.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen: "die in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind". Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer u.a. für die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Verwendet der Unternehmer --wie hier die Klägerin-- ein Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger Vermietungsumsätze (Gewerbeflächen) und teilweise zur Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnungen), ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.

Das FG geht mit den Beteiligten zu Recht davon aus, dass als sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 UStG auch eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze grundsätzlich anzuerkennen ist (zuletzt BFH-Beschluss vom 12. Mai 2005 V B 197/03, BFH/NV 2005, 1880, m.w.N).

2. Wurde die Umsatzsteuerfestsetzung für das Anschaffungsjahr (Vorsteuer- bzw. Abzugsjahr) eines gemischt genutzten Gegenstands unanfechtbar, so ist ein der Festsetzung zugrunde liegendes sachgerechtes Aufteilungsverfahren für den Unternehmer bindend. Dieser Aufteilungsmaßstab ist auch maßgebend für eine mögliche Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG bei Änderungen, die sich auf die Höhe der steuerfreien oder steuerpflichtigen Mietumsätze auswirken (z.B. BFH-Urteil vom 17. August 2001 V R 1/01, BFHE 196, 345, BStBl II 2002, 833; BFH-Beschluss vom 11. März 2005 V B 184/03, BFH/NV 2005, 1398).

a) Für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Eingangsleistungen ist bei richtlinienkonformer Auslegung von § 15 Abs. 1 und 2 UStG maßgebend, ob der Steuerpflichtige die Leistungen für sein Unternehmen bezogen hat und im Jahr des Leistungsbezuges mit den Investitionsausgaben tatsächlich Umsätze ausführt, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist bzw. wenn die tatsächliche Verwendung noch aussteht, die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hatte, mit den Investitionsausgaben Umsätze auszuführen, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 8. Juni 2000 Rs. C-400/98 --Breitsohl--, Slg. 2000, I-4321, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 329, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2000, 302; vom 8. Juni 2000 Rs. C-396/98 --Schloßstraße--, UVR 2000, 308; BFH-Urteil vom 25. November 2004 V R 38/03, BFHE 208, 84, BStBl II 2005, 414, mit Nachweisen).

Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht endgültig, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer mit der Lieferung eines Gegenstands oder der Ausführung einer Dienstleistung an den vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen entsteht (Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--), sofern die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nicht auf falscher Erklärung in Fällen von Betrug oder Missbrauch beruht (vgl. die vorbezeichneten EuGH-Urteile). Ohne die Sofortentscheidung des Unternehmers über die beabsichtigten Verwendungsumsätze kann der Vorsteuerabzugsanspruch dem Grunde und der Höhe nach bei der Steuerfestsetzung für den maßgebenden Besteuerungszeitraum nicht beurteilt werden (BFH-Urteile vom 8. März 2001 V R 24/98, BFHE 194, 522, BStBl II 2003, 430; vom 17. Mai 2001 V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434; vom 6. Juni 2002 V R 27/00, BFH/NV 2002, 1621, und vom 28. November 2002 V R 51/01, BFH/NV 2003, 515).

Dieser Anspruch auf Vorsteuerabzug nach Maßgabe der tatsächlichen oder --wenn diese im Erwerbsjahr noch aussteht-- der beabsichtigten Nutzung bei Leistungsbezug darf deshalb, soweit er auf zutreffenden Angaben beruht, nicht aufgrund nachträglicher Ereignisse wieder rückgängig gemacht werden (z.B. BFH-Urteil vom 22. März 2001 V R 46/00, BFHE 194, 533, BStBl II 2003, 433, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Auch eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) lässt dies nicht zu (EuGH-Urteil Schloßstraße in UVR 2000, 308 RandNr. 52; vgl. BFH-Urteile in BFHE 194, 533, BStBl II 2003, 433; vom 8. März 2001 V R 24/98, BFH/NV 2001, 876). Maßgebend ist insoweit der Besteuerungszeitraum des Leistungsbezuges (vgl. BFH-Urteile vom 16. Mai 2002 V R 56/00, BFHE 199, 37, unter II.2.c; vom 22. März 2001 V R 39/00, BFH/NV 2001, 1153, unter II.2.). Entscheidend ist danach grundsätzlich die formelle Bestandskraft des Steuerbescheides für das Jahr des Leistungsbezuges. Unerheblich ist dagegen, dass Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 jederzeit aufgehoben oder geändert werden können (EuGH-Urteil Schloßstraße in UVR 2000, 308 RandNr. 48). Das gilt zugunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen.

b) Diese Grundsätze gelten auch für den Umfang des Vorsteuerabzuges, der für den Leistungsbezug festzusetzen ist. Der Umfang richtet sich nach der (ggf. erst beabsichtigten) Verwendung. Hat der Steuerpflichtige deshalb in der Steueranmeldung, die --wie die Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG)-- einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 AO 1977), einen i.S. des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechten Maßstab für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen, die auf Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallen und der Berichtigung nach § 15a UStG unterliegen, ist dieser --soweit er auf zutreffenden Angaben beruht-- (für den gesamten Berichtigungszeitraum i.S. des § 15a UStG) bindend (BFH-Beschluss vom 16. November 2004 V B 173/03, BFH/NV 2005, 584). Entsprechendes gilt, wenn das FA bei der Steuerfestsetzung (abweichend von der Anmeldung) einen anderen sachgerechten Aufteilungsmaßstab zugrunde legt und die Steuerfestsetzung unanfechtbar wird.

c) Die Klägerin hat in ihren Umsatzsteuererklärungen für 1998 und 1999 die Aufteilung der streitigen Vorsteuerbeträge nach dem Flächenschlüssel begehrt. Diesen Umstand hat das FG zwar in seinem Urteil nicht ausdrücklich erwähnt. Dies ergibt sich jedoch aus der Einspruchsentscheidung, die das FG ausdrücklich in Bezug genommen hat. Damit gilt der gesamte Inhalt dieses Bescheides als festgestellt (z.B. BFH-Urteile vom 21. Januar 1992 VIII R 72/87, BFHE 169, 219, BStBl II 1992, 958; vom 20. August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75, m.w.N.). Diesem Umstand hat das FG zu Unrecht keine rechtserhebliche Bedeutung beigemessen. Sein Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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