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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.06.2000
Aktenzeichen: V R 55/98
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 90a |
Wenn ersichtlich ist, dass der Kläger auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichten will, darf das FG zwar einen Gerichtsbescheid erlassen. Es darf dem Kläger aber nicht durch die Zulassung der Revision in dem Gerichtsbescheid die Möglichkeit nehmen, sein Klagebegehren in einer mündlichen Verhandlung weiter zu erläutern.
FGO § 90a
Urteil vom 28. Juni 2000 - V R 55/98 -
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1999, 408)
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer Tierseuchenkasse. Ihre Aufgaben sind in § 9 des baden-württembergischen Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz (AGViehsG) vom 6. November 1973, Gesetzblatt (GBl) 1973, 397 (seit 1987: Gesetz zur Ausführung des Tierseuchengesetzes --AGTiersG--, GBl 1987, 525) aufgezählt. Die Klägerin wirkt danach u.a. bei Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen und andere Tierkrankheiten mit.
In den Streitjahren 1986 und 1987 gab sie im Rahmen des ihr auch obliegenden Tiergesundheitsdienstes (§ 34 Abs. 1 AGViehsG) Tierarzneimittel ab. Zur Erfüllung der Aufgaben im Tiergesundheitsdienst "richtete" die Klägerin einen Betrieb gewerblicher Art "ein", der nach § 2 seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke i.S. des § 52 der Abgabenordnung (AO 1977) verfolgt.
Nachdem Zweifel wegen der Gemeinnützigkeit der Tiergesundheitsdienste (für Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, Bienen und Geflügel; insbesondere des Tiergesundheitsdienstes für Rinder) aufgetreten waren, hatte die Oberfinanzdirektion (OFD) der Klägerin in einem Schreiben vom 2. Januar 1987 mitgeteilt, dass weder der Medikamentenverkauf noch berechnete Leistungen des Tiergesundheitsdienstes die Voraussetzungen von § 65 AO 1977 erfüllten. Bei einer Außenprüfung im Januar 1989 u.a. für Umsatzsteuer 1986 bis 1988 stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin die Kosten für Blutproben zur Bekämpfung der Rinderleukose, die Kosten für Impfstoff für die Sanierung infektiöser Rinderbestände und die Kosten für Impfstoffe zur Bekämpfung anderer Tierkrankheiten (Viruserkrankungen durch Bovine Rhinotracheitis/Infektiöse Pustolöse Vulvovaginitis --IBR/IPV--) übernommen hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah hierin einen "Eigenverbrauch" i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und besteuerte ihn in den angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1986 und 1987 mit dem allgemeinen Steuersatz.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde durch das Finanzgericht (FG) abgewiesen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 408). Das FG vertrat die Ansicht, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Rahmen des Tiergesundheitsdienstes Unternehmer gewesen und nicht hoheitlich im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens tätig geworden sei; denn die Klage sei auch dann nicht begründet, wenn man von einem Betrieb gewerblicher Art ausgehe.
Ein ermäßigter Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 4a UStG für Leistungen im Zusammenhang mit der Tierzucht sei nicht anwendbar, weil die Voraussetzungen dafür nicht nachgewiesen worden seien. Die Abgabe der Arzneimittel sei auch nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG 1980 ermäßigt zu besteuern, weil die Klägerin einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO 1977) unterhalten habe, der über den Rahmen eines Zweckbetriebs hinausgegangen sei. Die Klägerin habe bei der Abgabe der Medikamente mehr als unvermeidbar im Wettbewerb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art gestanden. Sie habe dadurch steuerlich nicht begünstigten Tierärzten Konkurrenz gemacht. Die Aufgaben der freiberuflich praktizierenden Tierärzte und des Tiergesundheitsdienstes der Klägerin seien bei einem Vergleich der gesetzlichen Grundlagen (§ 1 der Bundes-Tierärzteordnung vom 20. November 1981, BGBl I 1981, 1193 und § 33 Abs. 1 AGTiersG) qualitativ identisch.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von Verfahrensrecht und fehlerhafte Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG 1980.
Das FG habe den Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt, weil es keine Beweisaufnahme durchgeführt habe, um zu ermitteln, ob Wettbewerb mit frei praktizierenden Tierärzten bestanden habe.
Es habe das rechtliche Gehör verletzt, weil es den auf den 22. Juni 1998 angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben, auf den 24. Juni 1998 erneut anberaumt und nach Aufhebung auch dieses Termins mit Schreiben vom 22. Mai 1998 am 15. Juni 1998 durch Gerichtsbescheid entschieden und die Revision zugelassen habe. Dadurch sei der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zulässig gewesen und --nachdem dies erkannt worden sei-- auch zurückgenommen worden. Der Fall sei aber wegen der nicht geklärten und zwischen den Beteiligten streitigen Wettbewerbssituation nicht für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid geeignet gewesen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Umsatzsteueränderungsbescheid für 1986 aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1987 antragsgemäß zu ändern.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es sieht seine Rechtsauffassung durch die Vorentscheidung bestätigt.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Die Vorentscheidung verletzt § 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und dadurch das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) der Klägerin, weil das FG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit Revisionszulassung entschieden hat und der Klägerin dadurch die Möglichkeit abgeschnitten hat, ihr Klagebegehren in einer mündlichen Verhandlung vor dem FG weiter zu erläutern.
Das FG entscheidet grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO). Mit Zustimmung der Beteiligten kann es ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Eine Zustimmung der Klägerin für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung lag nicht vor.
Das FG kann "in geeigneten Fällen" ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden (§ 90a Abs. 1 FGO). Gegen den Gerichtsbescheid kann ein Beteiligter (z.B. ein Kläger) den Antrag auf mündliche Verhandlung nur stellen, wenn das FG die Revision nicht zugelassen hat (§ 90a Abs. 2 Nr. 2 FGO). Hat das FG in dem Gerichtsbescheid die Revision zugelassen (§ 90a Abs. 2 Nr. 1 FGO), kann der Beteiligte keine mündliche Verhandlung vor dem FG beantragen, sondern nur Revision einlegen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Oktober 1997 VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195; List in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 90a Rz. 8; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 90a Rz. 12; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 90a FGO Tz. 11).
Wenn --wie im Streitfall-- ersichtlich ist, dass der Beteiligte auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichten will, darf das FG zwar einen Gerichtsbescheid erlassen, weil es zweckmäßig sein kann, die für das FG entscheidungserheblichen Gesichtspunkte herauszustellen. Es darf dem Beteiligten aber nicht die Möglichkeiten, in einer mündlichen Verhandlung neue Tatsachen vorzutragen, weitere Ermittlungen anzuregen und Beweisanträge zu stellen, dadurch abschneiden, dass es in dem Gerichtsbescheid die Revision zulässt. Es liegt unter diesen Umständen kein "geeigneter Fall" vor (§ 90a Abs. 1 FGO), der einen solchen Gerichtsbescheid rechtfertigt.
Im Streitfall hatte die Klägerin die Klage umfangreich begründet und sich dabei auf zahlreiche Anlagen bezogen. Die Niederschrift über den vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin am 28. April 1997 endet mit der Feststellung "Beklagtenvertreter übergibt ein Konvolut Fotokopien ...". In einem Schreiben vom 3. Juni 1997 erläutert der Berichterstatter den Beteiligten, dass dem Sachverhalt "zwei Modelle" angemessen seien. Er bemerkt dazu, dass bei der Alternative 1 noch Tatsachen ermittelt werden müssten. Dazu äußerte sich das FA mehrfach, legte neues Zahlenmaterial vor und kam nach seiner Auffassung jeweils zu einer Klageabweisung. Nachdem die Finanzbehörde beanstandet hatte, dass sich die Klägerin nicht zu den Ausführungen des Berichterstatters in seinem erwähnten Schreiben vom 3. Juni 1997 äußerte, setzte das FG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22. Juni 1998 an, hob den Termin auf und setzte erneut Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 24. Juni 1998 an, hob diesen Termin ohne weitere Begründung mit Schreiben vom 22. Mai 1998 auf und entschied am 15. Juni 1998 durch Gerichtsbescheid mit Revisionszulassung. Eine Begründung für dieses Verfahren enthält die Vorentscheidung nicht.
2. Der Fall eignete sich nicht für eine abschließende Entscheidung durch Gerichtsbescheid, da der Sachverhalt weitgehend unaufgeklärt ist. Das FG hat nicht untersucht, ob die Klägerin nicht hoheitlich (als Nichtunternehmer) tätig geworden ist. Es hat dies dahinstehen lassen, weil die Klage auch bei der Annahme eines Betriebes gewerblicher Art nicht begründet sei. Es ist weiter nicht geklärt, ob die von den Tierbesitzern entrichteten Zahlungen durch Beiträge und Umlagen nicht als Entgelt für die an sie erbrachten Leistungen anzusehen sind. Falls dies ausscheidet, bleibt unklar, inwiefern die vom FA besteuerten "unentgeltlichen Wertabgaben" die Tatbestandsmerkmale des § 1 UStG 1980 erfüllen sollen. Bei unentgeltlichen Lieferungen kann nicht ohne weiteres Eigenverbrauch i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 unterstellt werden. Eine "Entnahme" i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 durch "kostenlose" Medikamentenabgabe kommt nur in Betracht, wenn die Medikamente für ein Unternehmen bezogen wurden (§ 15 Abs. 1 UStG 1980) und dann für Zwecke außerhalb des Unternehmens einem anderen unentgeltlich zugewendet werden. Bei den übrigen Wertabgaben (wohl Übernahme der Tierarztkosten) ist ebenfalls ungeklärt, inwiefern sie die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 UStG erfüllen sollen.
3. Das FG muss die erforderlichen Feststellungen nachholen und seine rechtliche Beurteilung nachvollziehbar begründen.
Ende der Entscheidung
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