Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.04.1998
Aktenzeichen: V R 71/96
Rechtsgebiete: UStG, FGO
Vorschriften:
UStG § 4 Nr. 12 Buchst. a | |
UStG § 15 Abs. 2 u. 4 | |
UStG § 15a | |
FGO § 6 Abs. 1 | |
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2 | |
FGO § 68 | |
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 3 |
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) brachte in den Streitjahren 1989 bis 1992 in einem von ihm zuvor als Hotel genutzten Gebäude Aus- und Übersiedler sowie Asylbewerber unter. Die Bewohner wurden dem Kläger vom Sozialamt zugewiesen. Leerstehende Räume hielt der Kläger für das Sozialamt frei. Die Zusammenarbeit mit diesem Amt beruhte auf mündlichen Vereinbarungen. Einen schriftlichen Mietvertrag oder eine konkrete Anmietungsverpflichtung gab es nicht. Bei der Erstbelegung erklärte der Kläger gegenüber der zuständigen Ortspolizeibehörde, er führe seinen Hotelbetrieb nicht mehr weiter.
Der Kläger behandelte die Umsätze aus der Unterbringung in den Umsatzsteuererklärungen 1989 bis 1991 und in den Voranmeldungen für die Voranmeldungszeiträume II bis IV/1992 gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1980/1991 (im folgenden: UStG) als steuerfrei.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht und beurteilte (nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung) die Umsätze als steuerpflichtig.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidung des Einzelrichters gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 20. April 1988 X R 5/82, BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795; Beschluß vom 11. Januar 1990 V B 109/89, BFH/NV 1990, 607; Urteile vom 9. Dezember 1993 V R 38/91, BFHE 173, 454, BStBl II 1994, 585, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1994, 547, m. Anm.; vom 24. Februar 1994 V R 74/92, BFH/NV 1995, 365) und nach Einholung detaillierter Auskünfte zu den Einzelheiten der Vertragsgestaltung mit dem Kläger beim Magistrat der Stadt sowie Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung der zuständigen Beamten des Magistrats kam das Gericht zu dem Ergebnis, der Kläger habe von Anfang an beabsichtigt, die dem Sozialamt zur Nutzung überlassenen Räumlichkeiten längerfristig für die Unterbringung von Aussiedlern und Asylbewerbern zur Verfügung zu stellen. Nach der BFH-Rechtsprechung komme es bei der Vermietung von Räumen an die öffentliche Hand (die diese ggf. zur nur vorübergehenden Unterbringung Dritter nutze) darauf an, ob der Unternehmer die Räume zur längerfristigen Vermietung bestimme und er diese Absicht durch den Abschluß eines langfristigen Vertrags mit der öffentlichen Hand verwirklicht habe. Davon seien nach den schriftlichen Auskünften des Magistrats und den Aussagen der zuständigen Beamten sowohl der Kläger als auch der Magistrat ausgegangen.
Die Entscheidung enthält folgenden Tenor:
"Der Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide über Umsatzsteuer für die Jahre 1989 bis 1990 vom 2. Februar 1993, für das Jahr 1991 vom 15. März 1993 und die Bescheide über Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das II. bis IV. Quartal 1992 vom 4. Dezember 1992, 26. Januar 1993 bzw. 22. Februar 1993 --jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 1993-- dahin abzuändern, daß die aus der Unterbringung von Fremden auf dem Wohngrundstück ... erzielten Umsätze entsprechend den abgegebenen Steuererklärungen als steuerfreie Vermietungsumsätze i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG behandelt werden ... "
Mit der vom Senat (Beschluß vom 14. August 1996 V B 107/95, BFH/NV 1997, 205) wegen Verfahrensmangels zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO mit der Begründung, der auf diese Vorschrift gestützte Urteilstenor lasse der beklagten Behörde die Entscheidung über Rechtsfragen (Vorsteuerabzug) offen.
Das FA beantragt (hinsichtlich der Streitjahre 1989 bis 1991), das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen sowie die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben bzw. (hinsichtlich der Voranmeldungszeiträume II bis IV/1992) das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zum letztgenannten Punkt trägt das FA vor, am 1. Juli 1993 sei die Jahressteuererklärung 1992 abgegeben und anschließend die Veranlagung durchgeführt worden (Zahllast von 19 723 DM). Das FA sei dabei von steuerpflichtigen Beherbergungsumsätzen ausgegangen und habe dementsprechend alle angefallenen Vorsteuerbeträge berücksichtigt. Der Jahresbescheid ersetze die (angefochtenen) Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide und führe zur Erledigung. Der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1992 sei weder angefochten noch gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Über die Klage gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen dürfe nicht mehr entschieden werden.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Aus der Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) und dem festgestellten Sachverhalt folgt, daß die angefochtene Entscheidung auf Verletzung von § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO beruht. Die Vorschrift lautet: Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsaktes durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag aufgrund der Entscheidung errechnen kann.
Bei dieser Entscheidungsform durch das FG darf für die Behörde keine Entscheidung über Rechtsfragen offenbleiben (vgl. zur insoweit ähnlichen Vorschrift des Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit: BFH-Urteile vom 6. März 1990 II R 63/87, BFHE 159, 555, BStBl II 1990, 504, m.N., und vom 27. Juni 1995 IX R 11/93, IX R 12/93, BFH/NV 1996, 319). Dies ist hier aber der Fall. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide und Vorauszahlungsbescheide beruhten auf der Annahme der Steuerpflicht der Vermietungsumsätze durch das FA. Die demgegenüber vom FG vertretene Auffassung, die Umsätze seien steuerfrei, hätte für sich zwar ohne weiteres die Berechnung des festzusetzenden Betrags durch das FA ermöglicht. Da nach den Feststellungen des FG jedoch durch den Kläger "nicht unerhebliche Investitionen" vorgenommen worden waren "um die Eignung der Räumlichkeiten für die geplante Nutzung herzustellen", mußte das FA bei der Berechnung der festzusetzenden Steuerbeträge auch die Auswirkungen der vom FG angenommenen Steuerfreiheit der streitigen Umsätze auf den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 und 4; ggf. § 15a UStG) berücksichtigen. Das FA weist zutreffend darauf hin, daß unter diesen Umständen auch über die Frage des Vorsteuerabzugs (der bei Annahme von steuerpflichtigen Umsätzen gewährt worden war) hätte entschieden werden müssen.
Die angefochtene Entscheidung war somit aufzuheben.
Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Das angefochtene Urteil enthält zu den Vorsteuerbeträgen keine Feststellungen. Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen. Dieses hat bei der erneuten Entscheidung ferner die Auswirkungen des (lt. Vortrag des FA zwischenzeitlich ergangenen) Jahressteuerbescheids 1992 auf die hier angefochtenen Vorauszahlungsbescheide II bis IV/1992 zu berücksichtigen. Materiell-rechtliche Rügen hat das FA nicht erhoben. Der Senat verweist auf das inzwischen ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Februar 1998 Rs. C-346/95 (Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1998, 113; Umsatzsteuer-Rundschau 1998, 189) sowie auf sein Urteil vom 25. Januar 1996 V R 6/95 (BFH/NV 1996, 583) mit den darin wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätzen.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.