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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.10.2005
Aktenzeichen: V R 75/03
Rechtsgebiete: UStG 1980, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1980 § 2 Abs. 1
UStG 1980 § 2 Abs. 2 Nr. 1
UStG 1980 § 4 Nr. 21
UStG 1980 § 4 Nr. 22
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil a Abs. 1 Buchst. i
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j
Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein von einem Privatlehrer erteilter Schul- und Hochschulunterricht nur dann nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer zu befreien, wenn der Privatlehrer seine Unterrichtsleistung direkt an die Schüler/ Hochschüler als Leistungsempfänger erbringt --also von diesen bezahlt wird-- oder reicht es aus, dass der Privatlehrer seine Unterrichtsleistung an eine Schule oder Hochschule als Leistungsempfänger erbringt?


Gründe:

I. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war jahrelang als sog. "freier Mitarbeiter" für das Land Berlin tätig. Im Streitjahr 1990 erteilte er an einer Volkshochschule "Schularbeitshilfe" und leitete an einer anderen Volkshochschule und in einem "Elternzentrum" bei dem Bezirksamt Kreuzberg Keramik- und Töpferkurse.

Die zugrunde liegenden Honorarverträge mit dem Land Berlin wurden mit halbjähriger Laufzeit vor Beginn der jeweiligen Semester abgeschlossen. Sie enthielten Klauseln, denen zufolge durch sie kein arbeitsrechtliches Beschäftigungsverhältnis begründet werde. Im Streitjahr betrug die Beschäftigungszeit des Klägers zusammen regelmäßig über 30 Stunden in der Woche.

Grundlage für die Bezahlung war die Allgemeine Anweisung über die Honorare für freie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Volkshochschulen (Honorarordnung VHS) vom 11. Juli 1989 (Amtsblatt für Berlin 1989 Nr. 41, 1610). Nach Ziffer 7 dieser Anweisung erhielten freie Mitarbeiter, die vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig und in Rahmen der freien Mitarbeiterverhältnisse zum Land Berlin von diesem wirtschaftlich abhängig waren, auf Antrag einen Zuschuss zu den Kosten ihrer Kranken- bzw. Rentenversicherung. Ein solcher Zuschuss wurde auch dem Kläger gewährt.

Ferner hatten freie Mitarbeiter, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen waren, gemäß Ziffer 7 der Anweisung Anspruch auf Erholungsurlaub. Der Kläger erhielt dementsprechend eine prozentual bemessene Urlaubsabgeltung.

Die Honorare des Klägers wurden auf Stundenbasis errechnet. Sozialversicherungsbeiträge, Versicherungen und Steuern wurden nicht einbehalten. Ein Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall sowie bei sonstiger Verhinderung bestand nicht. Nach den Honorarverträgen trug der Kläger auch bei Ausfallen der Kurse das Honorarrisiko, selbst wenn der Grund im fehlenden Teilnehmerkreis lag.

Der Kläger gab weder für das Streitjahr 1990 noch für die Vor- oder Folgejahre eine Umsatzsteuererklärung ab.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte im Schätzungswege die Umsatzsteuer für 1990 auf 4 120 DM fest, weil der Kläger keine Umsatzsteuererklärung und keine Bescheinigung, aus der sich die Voraussetzungen einer Steuerfreiheit seiner Leistungen gemäß § 4 Nr. 21 oder gemäß § 4 Nr. 22 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) ergab, vorgelegt hatte. Dabei orientierte er sich an der Einkommensteuererklärung des Klägers.

Der Kläger erhob nach erfolglosem Einspruch Klage, mit der er die Auffassung vertrat, er sei nicht selbständig tätig gewesen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es hielt den Kläger für selbständig i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG und verneinte eine Steuerfreiheit seiner Leistungen. Das Urteil ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2004, 776 abgedruckt.

Mit der Revision macht der Kläger zunächst geltend, die Vorentscheidung verstoße gegen § 2 Abs. 1 UStG. Er sei entgegen der Auffassung des FG nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Streitjahr in den "Betrieb" der Volkshochschul-Veranstaltungen im Land Berlin eingebunden gewesen.

Ferner trägt der Kläger vor, selbst wenn man ihn als Unternehmer ansehen wollte, wären die streitigen Umsätze steuerfrei. Die Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) sehe von Beginn an, also auch für das Streitjahr 1990, eine Umsatzsteuerbefreiung für Erziehungsaufgaben durch öffentliche Einrichtungen sowie für Schul- und Hochschulunterricht durch Privatlehrer vor (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 77/388/EWG).

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Umsatzsteuerbescheid für 1990, die dazu ergangene Einspruchsentscheidung des FA sowie die Vorentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es tritt der Auffassung des Klägers entgegen.

II. Zur Unternehmereigenschaft des Klägers

Die Entscheidung des FG, der Kläger sei selbständig i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG und damit als Unternehmer tätig geworden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat im Einzelnen begründet, warum es die Tätigkeit des Klägers als selbständig angesehen hat. An diese tatsächliche Würdigung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden.

III. Zur Steuerfreiheit der Leistungen des Klägers/Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)

1. Rechtslage nach deutschem Recht

a) Die Leistungen des Klägers sind nicht nach § 4 Nr. 21 UStG in der im Streitjahr 1990 geltenden Fassung von der Steuer befreit.

aa) Nach dieser Vorschrift sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen,

a) wenn sie als Ersatzschule gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind oder

b) wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.

bb) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

Die hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG (ab 1. April 1999: § 4 Nr. 21 Buchst. a, bb UStG 1999) begünstigt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur die Träger privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, nicht aber freie Mitarbeiter, die an diesen Schulen oder ähnlichen Bildungseinrichtungen Unterricht erteilen (vgl. BFH-Urteil vom 27. August 1998 V R 73/97, BFHE 187, 60, BStBl II 1999, 376, unter II. 2. b).

b) Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG scheidet ebenfalls aus.

aa) Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei die Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Unkosten verwendet werden.

bb) Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG liegen nicht vor.

Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ausschließlich die im Gesetz genannten Unternehmer befreit und deshalb Leistungen natürlicher Personen an diese Unternehmer nicht steuerbefreit sind (vgl. BFH-Urteile vom 17. Juni 1998 XI R 68/97, BFH/NV 1999, 81, unter II.1.; in BFHE 187, 60, BStBl II 1999, 376, unter II.5.; BFH-Beschluss vom 12. Mai 2005 V B 146/03, BFHE 209, 105, BStBl II 2005, 714).

2. Zur Rechtslage nach Gemeinschaftsrecht

a) Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch

- Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder

- andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Steuer.

b) Die vom Kläger erbrachten Leistungen sind nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer zu befreien. Denn der Kläger ist jedenfalls deshalb nicht als "andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung" anzusehen, weil er nicht als solche "anerkannt" ist.

c) Es kommt nach Auffassung des Senats aber in Betracht, dass die vom Kläger erbrachten Leistungen als von einem Privatlehrer erteilter "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen sind.

aa) Der Senat geht davon aus, dass der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG auch Unterrichtsleistungen erfasst, die üblicherweise von Volkshochschulen --und den offenbar in Berlin gleichgestellten "Elternzentren"-- angeboten werden.

Die §§ 52, 53 des im Streitjahr 1990 geltenden Berliner Schulgesetzes vom 20. August 1980 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1980, 2103) bestimmen hierzu:

"§ 52

Volkshochschulen

(1) Die Volkshochschulen dienen vor allem der Information und der allgemeinen und beruflichen Fortbildung der Bürger, die ihr Wissen gemäß der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung erweitern wollen. Darüber hinaus bieten sie Raum für die Beschäftigung im musischen und in den übrigen kulturellen Bereichen. Die Volkshochschulen haben die Aufgabe, eine weiterführende Orientierung und Möglichkeiten zur ständigen Auseinandersetzung mit allen Gebieten des geistigen und gesellschaftlichen Lebens zu bieten.

(2) Die Volkshochschulen können Teilnahme- und Leistungsbescheinigungen ausstellen.

§ 53

Schulische und berufliche Lehrgänge an Volkshochschulen

Die Volkshochschulen können mit einer Prüfung abschließende Lehrgänge einrichten

1. für Teilnehmer, die den Hauptschulabschluss, den erweiterten Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss, die Fachhochschulreife oder die allgemeine Hochschulreife erwerben wollen,

2. für Teilnehmer, die eine weitere berufliche Aus- und Fortbildung erstreben.

Die Lehrgänge nach Satz 1 Nr. 1 unterliegen der Schulaufsicht; ihre Einrichtung bedarf der vorherigen Zustimmung des für das Schulwesen zuständigen Mitglieds des Senats; § 27 Abs. 5 und, soweit Lehrgänge zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife eingerichtet sind, die §§ 34 und 49 Abs. 1 bis 6 gelten entsprechend. Die Lehrgänge nach Satz 1 Nr. 2 unterliegen der Fachaufsicht des für das Schulwesen zuständigen Mitglieds des Senats. Soweit die Fachaufsicht über die Lehrgänge nach Satz 1 Nr. 2 den Aufgabenbereich eines anderen Mitglieds des Senats berührt, wird sie im Einvernehmen mit diesem ausgeübt."

bb) Hiervon ausgehend ist fraglich, ob nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG ein von einem Privatlehrer erteilter Schul- und Hochschulunterricht nur dann von der Steuer zu befreien ist, wenn der Privatlehrer seine Unterrichtsleistung direkt an die Schüler/Hochschüler als Leistungsempfänger erbringt --also von diesen bezahlt wird-- oder es ausreicht, dass der Privatlehrer seine Unterrichtsleistung --wie im Streitfall-- an eine Schule oder Hochschule als Leistungsempfänger erbringt.

Für die zuletzt genannte Annahme, dass es nicht auf die Person des Leistungsempfängers ankommt, spricht zum einen der insoweit uneingeschränkte Wortlaut des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG. Zum anderen hat der EuGH zu den mit dem Hochschulunterricht eng verbundenen Dienstleistungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG ausgeführt, dieser Begriff verlange keine besonders enge Auslegung, da durch die Befreiung dieser Dienstleistungen gewährleistet werden solle, dass der Zugang zum Hochschulunterricht nicht durch die höheren Kosten versperrt werde, die entstünden, wenn dieser selbst oder die eng mit ihm verbundenen Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterworfen wären (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Juni 2002 Rs. C-287/00, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2002, I-5811, Umsatzsteuer-Rundschau 2002, 316 Rdnr. 47). Dieser Gedanke könnte auch bei der Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG zu berücksichtigen sein

Andererseits werden z.B. in Frankreich nach Art. 261-4-4 CGI nur die Kurse und Stunden von der Mehrwertsteuer befreit, die im Rahmen des Schul-, Hochschul-, Berufsschul-, Kunst- oder Sportunterrichts von natürlichen Personen erteilt werden, die unmittelbar von ihren Schülern bezahlt werden. Der Conseil d`État (CE) hat hierin eine zutreffende Umsetzung des Gemeinschaftsrechts gesehen (vgl. CE-Urteil vom 26. Januar 2000 Nr. 19626, RJF 3/00 Nr. 353; Klenk, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2001, 210).

Hieraus ergibt sich die Vorlagefrage.

IV. Rechtsgrundlage für die Vorlage an den EuGH ist Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften.

Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 74 FGO.

Ende der Entscheidung

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