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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: V R 79/01
Rechtsgebiete: UStG 1980, UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG, AO 1977


Vorschriften:

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
UStG 1980 § 4 Nr. 8 Buchst. c
UStG 1980 § 9 Abs. 1
UStG 1980 § 10 Abs. 3 Satz 2
UStG 1980 § 13 Abs. 1 Nr. 3
UStG 1980 § 14 Abs. 2 Satz 1
UStG 1980 § 14 Abs. 3
UStG 1993 § 1 Abs. 1 a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 10
Richtlinie 77/388/EWG Art. 21 Nr. 1 Buchst. c
AO 1977 § 47
AO 1977 §§ 169 ff.
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
1. Weist ein Unternehmer in einer Rechnung Umsatzsteuer gesondert erst zu einem Zeitpunkt aus, in dem die ursprünglich entstandene Steuer für seine Leistung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr erhoben werden kann, so schuldet er die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG.

2. In diesem Fall liegt ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vor.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb bis zum 30. Juni 1988 als Einzelunternehmer eine Handelsvertretung. Zum 1. Juli 1988 brachte er sein Unternehmen in eine GmbH ein. Der Kläger unterwarf die Einbringung weder der Umsatzsteuer noch stellte er der GmbH hierüber eine Rechnung aus.

Dieser Sachverhalt wurde im Rahmen einer bei der GmbH durchgeführten steuerlichen Außenprüfung bekannt. Der Kläger stellte daraufhin im September 1995 der GmbH über die Einbringung folgende Rechnung aus, in der er Steuer in Höhe von 25 200 DM gesondert auswies:

"Einbringung des Einzelunternehmens in die X-GmbH Zeitpunkt Juli 1988

 Ausgleichsanspruch des HV gemäß § 89b HGB150.000
Einrichtung Inventar Y-Straße 30.000
Summe180.000
plus MWSt 14 % 25.200
Betrag insg.205.200"

Im Zeitpunkt der Rechnungserteilung war für die Umsatzsteuer 1988 (Streitjahr) bereits Festsetzungsverjährung eingetreten (§ 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) änderte nunmehr die Umsatzsteuerfestsetzung 1988 durch Bescheid vom 3. Juli 1996 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und erfasste die vom Kläger ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG). Zur Begründung verwies er auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 2. Januar 1989 IV A 2 -S 7280- 37/88 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1989, 71). Danach schuldet ein Rechnungsaussteller, der in einer Rechnung Umsatzsteuer gesondert ausweist, obwohl er für diesen Umsatz wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist keine Umsatzsteuer (mehr) schuldet, den gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG. Mit der nachträglichen Rechnungserteilung sei ein Ereignis eingetreten, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis). In diesen Fällen habe deshalb das FA nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 für den Besteuerungszeitraum, in dem die Leistung ausgeführt wurde, einen Umsatzsteuerbescheid erstmals zu erlassen oder zu ändern.

Das vom Kläger nach erfolglosem Einspruch angerufene Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

Ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 komme nicht in Betracht, weil die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung für die ausgeführten Leistungen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei, nicht die Annahme eines überhöhten Steuerausweises i.S. des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG begründe. Der Senat folge der in dem bezeichneten BMF-Schreiben vom 2. Januar 1989 zum Ausdruck gekommenen abweichenden Rechtsauffassung nicht.

Aber selbst wenn in diesem Fall die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG vorlägen, hätte die Klage Erfolg. Denn die in § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG getroffene Regelung über das rückwirkende Entstehen der Umsatzsteuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG stehe nicht im Einklang mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Auf diese Richtlinienbestimmung könne sich der Kläger berufen.

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1576 abgedruckt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es verteidigt die Auffassung des BMF in dessen Schreiben vom 2. Januar 1989 und weist ferner darauf hin, dass der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer verletzt würde, wenn Umsatzsteuer in einem Fall wie dem vorliegenden nicht festgesetzt würde, dem Rechnungsempfänger trotzdem aber ein Vorsteuerabzug zustünde. Die GmbH habe in ihrer Umsatzsteuererklärung 1995 die entsprechende Vorsteuer in Höhe von 25 200 DM abgezogen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG ist der Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 1988 vom 3. Juli 1996 rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Änderung ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Durch die Ausstellung der Rechnung im September 1995 hat der Kläger den Tatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG verwirklicht. Dieses Ereignis (Verwirklichung des Tatbestands des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG) hat kraft gesetzlicher Anordnung (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG) Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.

1. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG schuldet ein Unternehmer, der in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem UStG für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG schuldet den in einer Rechnung gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag, wer zum gesonderten Ausweis der Rechnung nicht berechtigt ist. Das Gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14 Abs. 3 Satz 2 UStG).

Sowohl § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG als auch § 14 Abs. 3 UStG beruhen auf Art. 21 Nr. 1 Buchst. c (jetzt Art. 21 Nr. 1 Buchst. d) der Richtlinie 77/388/EWG. Danach schuldet jede Person die Mehrwertsteuer, die diese in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist.

Die Unterscheidung zwischen § 14 Abs. 2 UStG und § 14 Abs. 3 UStG hat nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. April 2002 V R 26/01, BFHE 198, 238) insoweit keine Bedeutung mehr, als

- nur für den berechneten Umsatz geschuldete Umsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG abziehbar ist und

- eine unrichtig oder zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer berichtigt werden kann, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist.

Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen § 14 Abs. 2 UStG und § 14 Abs. 3 UStG allerdings nach im Streitjahr geltender (und derzeitiger) Regelung des Gesetzgebers für die Entstehung der Steuer (kritisch Wagner, UR 2003, 483 ff.). Denn die Steuer entsteht

- im Fall des § 14 Abs. 2 UStG in dem Zeitpunkt, in dem die Steuer für die Lieferung oder sonstige Leistung entsteht (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG) und

- im Fall des § 14 Abs. 3 UStG im Zeitpunkt der Ausgabe der Rechnung (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG).

2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG vor. Der Kläger hat in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem UStG für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen.

a) § 14 Abs. 2 (und nicht Abs. 3) UStG gilt für Unternehmer, die persönlich zum gesonderten Steuerausweis berechtigt sind und für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen Steuerbetrag in der Rechnung gesondert ausgewiesen haben, obwohl sie für diesen Umsatz eine niedrigere Steuer oder --mangels Steuerbarkeit oder wegen Steuerfreiheit-- gar keine Steuer schulden (vgl. Senatsurteile vom 7. Mai 1981 V R 126/75, BFHE 133, 127, BStBl II 1981, 547; vom 14. Dezember 1989 V R 125/84, BFHE 159, 277, BStBl II 1990, 401; vom 10. Dezember 1992 V R 73/90, BFHE 170, 475, BStBl II 1993, 383, unter II. 1. a; vom 19. September 1996 V R 41/94, BFHE 181, 236, BStBl II 1999, 249, unter II. 1.; Abschn. 189 Abs. 1 Satz 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR--).

b) Die Vorschrift ist --entgegen der Auffassung des FG-- auch dann anwendbar, wenn ein Unternehmer Umsatzsteuer für einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz in einer Rechnung gesondert ausweist, obwohl im Zeitpunkt der Rechnungserteilung die Umsatzsteuer wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO 1977) gemäß § 47 AO 1977 erloschen ist und deswegen nicht mehr erhoben werden kann. Auch in diesem Fall hat der Unternehmer i.S. des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem UStG schuldet, ausgewiesen. Denn er schuldet die Umsatzsteuer nach dem UStG nicht (mehr).

Der Senat teilt damit die Auffassung im erwähnten BMF-Schreiben vom 2. Januar 1989 (vgl. auch Abschn. 189 Abs. 1 Nr. 4 UStR ab 1992) sowie der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 378; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 160 Rz. 17; Zeuner in Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 7. Aufl., § 14 Rz. 64; a.A. Büchter/Hole, EFG 2001, 1576 f.; vgl. auch Wagner, UR 2003, 483, unter II. 2.).

Der Auffassung des FG, § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG stelle mit der Formulierung "nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet" ausschließlich auf die Regelungen des UStG, nicht aber auf diejenigen der Abgabenordnung über die Festsetzungsverjährung ab, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn es kann für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG keinen Unterschied machen, ob ein gesonderter Ausweis von Umsatzsteuer in einer Rechnung deshalb "zu hoch" ist, weil der zugrunde liegende Umsatz nicht steuerbar oder steuerfrei ist oder weil er infolge bereits eingetretener Festsetzungsverjährung keine Umsatzsteuerschuld des Rechnungsausstellers mehr auslösen kann. Auch in dem letztgenannten Fall schuldet der Rechnungsaussteller für den Umsatz keinen Steuerbetrag.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG. Wenn nach dieser Bestimmung jede Person die Mehrwertsteuer schuldet, die sie in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist, gilt dies auch dann, wenn die Steuer für den zugrunde liegenden Umsatz wegen Festsetzungsverjährung nicht (mehr) geschuldet wird.

c) Im Streitfall hat der Kläger die Einbringung von Wirtschaftsgütern, die bisher seinem Einzelunternehmen gedient hatten, als Sacheinlage in die GmbH zum 1. Juli 1988 der GmbH im September 1995 mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung war die Festsetzungsfrist für den Steueranspruch bereits abgelaufen.

aa) Die Einbringung von Wirtschaftsgütern eines Einzelunternehmens in eine Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen war nach der im Streitjahr 1988 geltenden Rechtslage steuerbar (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1995 XI R 63/94, BFHE 179, 189, BStBl II 1996, 114, unter II. 1. b.; vom 15. Mai 1997 V R 67/94, BFHE 183, 278, BStBl II 1997, 705, unter II. 1. b.; vom 20. August 1998 V R 24/96, BFH/NV 1999, 523, unter II. 1.; vom 30. September 1999 V R 9/97, BFH/NV 2000, 607, unter II. 1.; Vorlagebeschluss des Senats vom 27. September 2001 V R 32/00, BFHE 196, 349, unter III. 2.).

Zwar unterliegen nach § 1 Abs. 1 a UStG 1993 die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen --wozu auch die Einbringung eines Unternehmens im Ganzen in eine Gesellschaft gehört-- nicht der Umsatzsteuer. Diese Vorschrift galt aber im Streitjahr 1988 noch nicht; sie ist erst zum 1. Januar 1994 in das UStG eingefügt worden.

Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden, dass eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen keine Dienstleistung gegen Entgelt i.S. des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erbringt (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Juni 2003 Rs. C-442/01 - KapHag Renditefonds, UR 2003, 443). Diese Rechtsprechung betrifft aber lediglich die Frage eines Leistungsaustausches aus der Sicht der Gesellschaft. Ihr kann nicht entnommen werden, dass --entgegen der dargelegten bisherigen Rechtsprechung des BFH-- ein Einzelunternehmer, der Wirtschaftsgüter seines Unternehmens in eine Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen einbringt, seinerseits keine Leistung gegen Entgelt erbringt (zutreffend Reiß, UR 2003, 428, 432 ff.).

Soweit der EuGH in dem erwähnten Urteil in UR 2003, 243, Rdnr. 39 ausgeführt hat, der Beitritt eines neuen Gesellschafters zu einer Personengesellschaft gegen Zahlung einer Bareinlage stelle unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens keine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Richtlinie 77/388/EWG dar, versteht der Senat diese Aussage dahin, dass der EuGH damit lediglich zum Ausdruck bringen wollte, allein der Erwerb einer Beteiligung gegen Bareinlage mache den Gesellschafter nicht zum Steuerpflichtigen i.S. von Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG (ebenso Reiß, UR 2003, 428, 435).

bb) Die danach steuerbare Einbringung von Wirtschaftsgütern seines Einzelunternehmens war steuerfrei, soweit der Kläger der GmbH seinen Ausgleichsanspruch nach § 89b des Handelsgesetzbuchs (HGB) übertragen hat.

Eine Einbringung (Geschäftsveräußerung) enthält in der Regel --wie im Streitfall-- ein Bündel unterschiedlicher Umsätze (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1987 V R 3/77, BFHE 149, 272, BStBl II 1987, 512, unter 2. b; Klenk, UR 1982, 114, 116; Husmann in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 1 Rz. 1093, m.w.N.). Deshalb kann eine (steuerbare) Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Einbringung (Geschäftsveräußerung) steuerfrei sein (vgl. auch § 10 Abs. 3 Satz 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung).

Die Übertragung des --abtretbaren-- Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters nach § 89b HGB (vgl. Roth, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., § 89b Rz. 1) war nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG als Umsatz einer Geldforderung steuerfrei (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 15. Juli 1997 V B 122/96, BFH/NV 1998, 499, unter II. 2.). Der Kläger konnte diesen 1988 ausgeführten Umsatz nicht gemäß § 9 Abs. 1 UStG durch die Erteilung einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis im Jahr 1995 als steuerpflichtig behandeln, weil zu diesem Zeitpunkt die Festsetzungsfrist für den Besteuerungszeitraum 1988 bereits abgelaufen war (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II. 4.).

Insoweit hat der Kläger den Tatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG dadurch verwirklicht, dass er für eine steuerfreie sonstige Leistung einen Steuerbetrag in einer Rechnung gesondert ausgewiesen hat.

cc) Soweit der Kläger das vorher für sein Einzelunternehmen genutzte Inventar in die GmbH eingebracht hat, war dieser (steuerbare) Umsatz steuerpflichtig.

Insoweit liegen --wie unter II. 2. b dargelegt-- die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG deshalb vor, weil er über diesen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz im September 1995 und damit erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für 1988 unter Ausweis von Umsatzsteuer abgerechnet hat.

3. Die Verwirklichung des Tatbestandes des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.

a) Der Begriff "Ereignis" i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 umfasst alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge. Der Vorgang muss sich ereignen, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und im Falle der Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhaltsänderung muss sich darüber hinaus steuerlich in die Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts nunmehr der veränderte Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Dabei bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht, ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1.; Senatsurteile in BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II. 4. c; vom 1. Februar 2001 V R 23/00, BFHE 194, 493, unter II. 5.).

b) Diese Voraussetzungen eines rückwirkenden Ereignisses i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 liegen im Streitfall --kraft gesetzlich angeordneter Rückwirkung-- vor. Denn gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG entsteht die Steuer im Fall des § 14 Abs. 2 UStG bei der (hier nach den Feststellungen des FG vorliegenden) Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten in dem Zeitpunkt, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind, hier also 1988.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass auf die Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Lieferung nicht mehr durch Ausstellung einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis verzichtet werden kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695; vom 28. November 2002 V R 54/00, BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175). Dabei geht es um die Frage, ob die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 steuerbare Grundstückslieferung steuerfrei (geblieben) oder steuerpflichtig (geworden) ist. Im vorliegenden Fall geht es aber um die Frage, wann die nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Steuer entstanden ist.

c) § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG verstößt entgegen der Auffassung des FG nicht gegen Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG. Denn in dieser Bestimmung wird lediglich der Begriff "Steuertatbestand" im Sinne der Richtlinie definiert.

Regelungen zum Eintritt des Steuertatbestands und des Steueranspruchs werden hingegen lediglich in Art. 10 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 77/388/EWG getroffen. Ein Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG ergibt sich aus diesen Bestimmungen aber nicht. Vielmehr können die Mitgliedstaaten nach Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen entsteht

- entweder "spätestens" bei der Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments --also auch vorher--

- oder spätestens bei der Vereinnahmung des Preises

- oder im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments, binnen einer bestimmten Frist nach dem Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands.

Dies deckt die in § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG getroffene Regelung jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung.

4. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage ist abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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