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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: V R 82/97
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 119 Nr. 2
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 2
FGO § 120 Abs. 1
FGO § 119 Nr. 2
FGO § 56 Abs. 2 Satz 3
FGO § 155
ZPO § 565 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reichte durch ihre Prozeßbevollmächtigten unter dem Datum des 15. August 1996 und des 21. August 1996 jeweils eine Klageschrift zur Umsatzsteuerfestsetzung für 1990 ein. Die Klageschriften erhielten beim Finanzgericht (FG) die Aktenzeichen 783/96 bzw. 797/96. Sie sind formal und inhaltlich identisch, jedoch von verschiedenen Angehörigen der bevollmächtigten Sozietät unterzeichnet. Mit Schriftsatz vom 19. September 1996, der auf beide Aktenzeichen Bezug nimmt, legten die Prozeßbevollmächtigten die Klagebegründung vor. Sie führten darin aus, die Klage sei wortgleich zweimal an das Gericht gesandt worden, und baten um Mitteilung, unter welchem Aktenzeichen der Rechtsstreit fortzuführen sei.

Der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht (RiFG) R, vertrat in einer Verfügung die Auffassung, es sei zweimal Klage erhoben worden; es stehe fest, daß die zuletzt erhobene Klage (797/96) wegen Anhängigkeit der ersten Klage (783/96) unzulässig sei. Er regte an, diese Klage unverzüglich zurückzunehmen.

Daraufhin teilte die Klägerin mit, die Klageschrift vom 15. August 1996 sei versehentlich nur faksimiliert unterschrieben worden. Wegen Zweifel an der Formwirksamkeit sei die Klageschrift vom 21. August 1996 eingereicht worden. Es habe nicht die Absicht bestanden, eine weitere Klage zu erheben. Falls hingegen das Gericht an der Auffassung von der doppelten Anhängigkeit festhalte, könne sie --die Klägerin-- nicht die "zweite" Klage zurücknehmen, weil sie damit rechnen müsse, daß durch die erste Klageschrift die Klage nicht zulässig erhoben worden sei. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1996 erklärte die Klägerin, daß sie die "erste" Klage zurücknehme, weil sich das Gericht ihrer Auffassung (nur eine Klage) nicht anschließe. Sie ging davon aus, daß das Verfahren demgemäß unter dem Aktenzeichen 797/96 fortgeführt werde.

Das FG stellte mit Beschluß vom 1. November 1996 das unter dem Aktenzeichen 783/96 geführte Verfahren ein.

Die Klägerin lehnte RiFG R wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit Beschluß vom 18. Dezember 1996 wies das FG das Gesuch auf Richterablehnung ab. Diesen Beschluß hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluß vom 20. Oktober 1997 V B 80/97 (BFH/NV 1998, 592) auf und erklärte die Ablehnung des Richters für begründet. Der Beschluß wurde der Klägerin am 20. November 1997 zugestellt.

Durch Urteil vom 18. Dezember 1996 797/96 wies das FG unter Mitwirkung des RiFG R die Klage ab. Das FG hielt die Klage für unzulässig, weil zum einen die von der Klägerin erklärte Rücknahme der Klage vom 15. August 1996 783/96 den endgültigen Verlust der Klage zur Folge gehabt habe und weil zum anderen die vorliegende Klage 797/96 nach Rechtshängigkeit der Klage vom 15. August 1996 und damit doppelt erhoben worden sei.

Mit dem am 2. Dezember 1997 beim FG eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage legte die Klägerin Revision ein und beantragte wegen Versäumung der Revisions- und Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Klägerin ist der Auffassung, der BFH müsse im Rahmen der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils auch über die Zulässigkeit der Klage entscheiden, weil es die Prozeßökonomie gebiete, zur Förderung des Verfahrens auch über die Sachurteilsvoraussetzungen zu befinden.

Die Klägerin beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an einen anderen Senat des FG mit der Maßgabe zurückzuverweisen, daß durch Sachurteil über die anstehenden Umsatzsteuerfragen zu entscheiden sei.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) schließt sich dem Antrag der Klägerin insoweit an, als diese Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Revision ist zulässig. Einer ausdrücklichen Zulassung bedurfte es nicht.

Aufgrund des Senatsbeschlusses in BFH/NV 1998, 592 hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Berichterstatter des FG Erfolg gehabt. Es liegt somit ein absoluter Revisionsgrund i.S. des § 119 Nr. 2 FGO vor, der auch die Zulassung der Revision durch das FG entbehrlich macht (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO).

Allerdings hat die Klägerin die Revision nicht innerhalb der Revisionsfrist des § 120 Abs. 1 FGO eingelegt. Sie war hierzu auch nicht in der Lage, weil bei Ablauf der Revisionsfrist noch nicht feststand, ob das Ablehnungsgesuch erfolgreich sein werde. Die Klägerin kann dennoch mit Erfolg den Revisionsgrund des § 119 Nr. 2 FGO (Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters) geltend machen. Es ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Revisionsfrist zu gewähren, da die Klägerin innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) Revision eingelegt hat (BFH-Urteil vom 28. September 1995 IV R 79, 80/93, BFH/NV 1996, 234, m.N.).

Der Beschluß des Senats vom 20. Oktober 1997 V B 80/97 ist der Klägerin am 20. November 1997 zugestellt worden. Die Revision ist am 2. Dezember 1997 beim FG eingegangen, mithin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO. Im selben Schriftsatz wurde auch der Revisionsgrund des § 119 Nr. 2 FGO (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO) geltend gemacht.

2. Die Revision ist auch begründet.

Liegt ein absoluter Revisionsgrund i.S. des § 119 FGO vor, muß das Revisionsgericht grundsätzlich zurückverweisen und sich jeder sachlichen Stellungnahme, die das FG unter Umständen binden könnte, enthalten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der BFH u.a. dann gemacht, wenn das FG die Klage abgewiesen hatte und sich diese Abweisung --ungeachtet des Vorliegens eines Verfahrensfehlers-- im Ergebnis aus prozessualen Gründen als richtig erwies (Urteile vom 8. Juli 1994 III R 78/92, BFHE 175, 7, BStBl II 1994, 859, und vom 11. Juli 1989 VIII R 53/88, BFH/NV 1990, 178; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 3, § 126 Rz. 7, 10, m.w.N.). Der Senat läßt offen, ob eine Bestätigung der Klageabweisung selbst dann möglich ist, wenn das Urteil des FG an einem so schwerwiegenden Mangel leidet, wie es die Beteiligung eines mit Erfolg abgelehnten Richters darstellt (§ 119 Nr. 2 FGO). Jedenfalls kommt im Streitfall der Senat nicht zu der Rechtsauffassung, daß die Klage aus den vom FG angeführten Gründen unzulässig ist und sich die Entscheidung des FG im Ergebnis als richtig darstellt. Andererseits gebietet es der Grundsatz der Prozeßökonomie nicht, im vorliegenden Revisionsurteil über diese --für die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils nicht entscheidungserhebliche-- Frage zu befinden und die Zulässigkeit der Klage auszusprechen. Denn eine Zurückverweisung könnte dadurch nicht vermieden werden. Da die Sache in jedem Falle zurückzuverweisen ist, erscheint es sachgerecht, wenn das FG erneut und nunmehr in ordnungsgemäßer Besetzung über die Zulässigkeit der Klage befindet.

3. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, die Streitsache an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.

Gemäß § 155 FGO i.V.m. § 565 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozeßordnung kann der BFH die Rechtssache an einen anderen Senat des FG zurückverweisen (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R 68/93, BFH/NV 1994, 798, m.w.N.). Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. So kommt die Zurückverweisung an einen anderen Senat in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG bestehen. Hierfür liegen im Streitfall keine zureichenden Anhaltspunkte vor. Es sind von der Klägerin keine Gründe vorgetragen worden, noch sind solche erkennbar, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter des erkennenden Senats des FG aufkommen lassen. Da sich die Frage einer Zurückverweisung nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG nicht mit der Unrichtigkeit des Urteils begründet werden. Auch der Umstand, daß die Richter des erkennenden Senats des FG die Ablehnung des RiFG R für unbegründet hielten, legt nicht die Annahme nahe, die Richter des erkennenden Senats würden bei einer erneuten Sachentscheidung nicht unvoreingenommen sein.



Ende der Entscheidung

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