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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.01.1999
Aktenzeichen: V R 88/97
Rechtsgebiete: Anlage UStG 1993, UStG, FGO


Vorschriften:

UStG 1993 Anlage Nr. 45 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2
UStG § 12 Abs. 1
FGO § 68
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt u.a. Rinden-Dauerhumus her. Der Humus wird aus Nadelholzrinde gewonnen. Zur Förderung des ca. zwei Monate dauernden Verrottungsprozesses wird die Rinde mit Wasser unter Zugabe von industriell hergestelltem Harnstoff befeuchtet. Beim Verkauf des Humus ist der Harnstoff durch die in der Rinde vorhandenen Mikroorganismen vollständig abgebaut.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Ansicht, daß der Humus nicht unter die Nr. 45 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) falle, weil die Klägerin durch die Beigabe von Harnstoff den Humus im Sinne der genannten Bestimmung chemisch behandle. Das FA wich deshalb von der Umsatzsteuervoranmeldung der Klägerin für Dezember 1993 insoweit ab, als es die Lieferungen des Rindenhumus dem Regelsteuersatz von 15 v.H. unterwarf. Gegen den entsprechenden Vorauszahlungsbescheid erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 19. Mai 1995 den Jahressteuerbescheid. Mit Schreiben vom 29. Mai 1995, welches noch am gleichen Tag beim FA einging, legte die Klägerin gegen den Jahresbescheid Einspruch ein. Mit weiterem Schreiben vom 1. Juni 1995 beantragte sie die "Erweiterung des Klagegegenstandes auf den Umsatzsteuerbescheid für 1993" unter Beibehaltung des bisherigen Streitwertes.

Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Klägerin den Jahresbescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hatte und wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 913 veröffentlichten Gründen ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, daß Harnstoff ein chemischer Stoff sei und dessen Verwendung im Rahmen der Verrottung der Baumrinde eine chemische Behandlung im Sinne der o.g. Anlage zum UStG darstelle.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt sie u.a. aus, daß nach dem in der ersten Instanz vorgelegten Gutachten die Zugabe geringer Mengen an Harnstoff lediglich der Optimierung der biologischen Rotteprozesse diene und ihr somit nur eine Hilfsfunktion zukomme. Der Naturstoff Rindenhumus erfahre hierdurch keine chemische Behandlung, sondern sei auch nach dieser Behandlung nur mechanisch und biologisch aufbereitet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Umsatzsteuer für 1993 unter Aufhebung der Vorentscheidung und des Umsatzsteuerbescheids vom 19. Mai 1995 auf ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesfinanzhofs (BFH) für das Jahr 1999 (BStBl II 1999, 71) ist der erkennende Senat für die Entscheidung über die eingelegte Revision zuständig, weil der Rechtsstreit die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals einer umsatzsteuerrechtlichen Vorschrift betrifft: Es geht darum, was unter einem "chemisch behandelten" Düngemittel i.S. von Nr. 45 der Anlage 1 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG zu verstehen ist. Es handelt sich nicht um eine sog. Zolltarifsache, für die der VII. Senat zuständig wäre, obwohl in Nr. 45 der Anlage auf die Position 31.01 des Zolltarifs (ZT) Bezug genommen ist. Entscheidend ist, daß die Herausnahme "chemisch behandelter" Düngemittel aus der Umsatzsteuerbegünstigung von tierischen und pflanzlichen Düngemitteln rein umsatzsteuerliche Bedeutung hat; seit Inkrafttreten des neuen Zolltarifsystems (1. Januar 1988) ist die Unterscheidung von chemisch behandelten und nicht chemisch behandelten tierischen oder pflanzlichen Düngern zolltariflich ohne Belang (vgl. Position 31.01 des Gemeinsamen Zolltarifs --GZT--). Werden in der Anlage zum Umsatzsteuergesetz bestimmte Gegenstände einer Position des Zolltarifs von der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes ausgenommen und ist streitig, ob eine solche Ausnahme vorliegt, so handelt es sich dabei nicht um eine Frage der Auslegung des Zolltarifs, sondern des Umsatzsteuergesetzes (vgl. BFH-Urteil vom 14. Januar 1997 VII R 47/96, BFHE 182, 466, BStBl II 1997, 481, unter II. 2. b; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, IV Rz. 13 und 17).

2. Der während des erstinstanzlichen Klageverfahrens bekanntgegebene Umsatzsteuerjahresbescheid für 1993 vom 19. Mai 1995 ist auf Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens geworden (§ 68 FGO). Das FG hat das Schreiben der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 1. Juni 1995 zu Recht als Antrag nach § 68 FGO gewertet.

3. Der Umsatzsteuerjahresbescheid für 1993 vom 19. Mai 1995 ist rechtmäßig, weil auf die Lieferungen des Rindenhumus durch die Klägerin der allgemeine Steuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG) anzuwenden ist.

Der von der Klägerin hergestellte Rindenhumus fällt nicht unter die in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG bezeichneten Gegenstände, die nur mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern sind. Insbesondere ist Nr. 45 dieser Anlage nicht anwendbar, in der es heißt: "Tierische und pflanzliche Düngemittel ... auch untereinander gemischt, jedoch nicht chemisch behandelt ... (aus Position 31.01 des Zolltarifs)". Der Rindenhumus der Klägerin ist als "chemisch behandelt" im Sinne dieser Anlage anzusehen. In der Anlage wird nicht definiert, was darunter zu verstehen ist. Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus den Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1961/1968, dem Vorgänger des Gemeinsamen Zolltarifs. Danach sind "chemisch bearbeitete Düngemittel" u.a. "tierische und pflanzliche Erzeugnisse, die durch Einwirken chemischer Stoffe in Düngemittel umgewandelt worden sind" (Abschn. VI, Kap. 31.05 I. (1) 2.). Die Ersetzung der Worte "chemisch bearbeitet" durch "chemisch behandelt" in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG folgt einem Wechsel der Terminologie des Zolltarifs zum 1. Januar 1988; in ihr ist keine sachliche Änderung der Regelung zu sehen.

Im Streitfall wurde zur Verrottung der Baumrinde zu Rindenhumus, was als Umwandlung eines pflanzlichen Erzeugnisses in ein Düngemittel bezeichnet werden kann, Harnstoff verwendet, der eine kristalline, farb- und geruchslose, in Wasser leicht lösliche chemische Verbindung darstellt (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 1997). Das FG hat zu Recht dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, daß der dem Wasser zugesetzte Harnstoff lediglich der Beschleunigung des Verrottungsprozesses diente und daß der Harnstoff nach Abschluß dieses Prozesses vollständig abgebaut ist. Denn nach dem Wortlaut der Nr. 45 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG und den o.g. Erläuterungen zum Zolltarif kommt es nicht darauf an, ob das "Endprodukt" des Bearbeitungsprozesses selbst noch chemische Substanzen aufweist.

Im Streitfall mag die vorgenommene chemische Behandlung nach naturwissenschaftlichen Kriterien als relativ geringfügig beurteilt werden. Umsatzsteuerrechtlich sind auch geringfügige chemische Einwirkungen auf ein tierisches oder pflanzliches Düngemittel bedeutsam. So führt z.B. schon eine relativ geringfügige Beimischung eines nicht natürlichen Stoffes (Gips) zu einem solchen Düngemittel zur Unanwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes (BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760).

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