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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.10.2003
Aktenzeichen: V R 95/01
Rechtsgebiete: UStG 1993, UStDV 1993, AO 1977


Vorschriften:

UStG 1993 § 2
UStG 1993 § 18 Abs. 9 Satz 1
UStG 1993 § 18 Abs. 9 Satz 7
UStDV 1993 § 51 Abs. 3 Satz 1
UStDV 1993 §§ 59 ff.
UStDV 1993 § 61 Abs. 3
AO 1977 § 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH nach luxemburgischem Recht (S.à.r.l.), betreibt ein Transportunternehmen. Alleinige Gesellschafterin der am 22. März 1994 gegründeten Klägerin ist eine in der Schweiz ansässige AG, bei der es sich ebenfalls um ein Transportunternehmen handelt. Geschäftsführer sind zwei in der Schweiz wohnhafte leitende Angestellte der AG. Nach den Angaben der Klägerin befindet sich die Geschäftsleitung in Luxemburg.

Am 11. März 1998 beantragte sie beim Beklagten und Revisionskläger (Bundesamt für Finanzen --BfF--) für 1997 die Vergütung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von ... DM, die überwiegend aufgrund von Aufwendungen für Kraftstoff angefallen waren. Dem Antrag war eine Bescheinigung der Administration de L'Enregistrement et des Domaines des Großherzogtums Luxemburg vom 16. Januar 1998 beigefügt, wonach die Klägerin der Mehrwertsteuer unterliege. In der Bescheinigung war ihre von Luxemburg erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vermerkt.

Das BfF kam zu dem Schluss, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der Sitz ihrer Geschäftsleitung in Luxemburg sei; daher seien die Voraussetzungen für die Gewährung der Vorsteuervergütung nach § 59 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1993) nicht erfüllt. Es lehnte den Antrag deshalb mit Bescheid vom 17. August 1998 ab.

Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin zusätzlich eine Bescheinigung der Luxemburger Finanzverwaltung vom 19. Februar 1999 vor, wonach sie "eine Handelsgesellschaft im Sinne des deutsch-luxemburgischen Doppelbesteuerungsabkommens" sei und "den luxemburgischen direkten Steuern" unterliege. Mit Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 1999 wies das BfF den Einspruch mit der Begründung ab, der Ort der Geschäftsleitung liege in der Schweiz, nicht in Luxemburg; der lediglich rechtliche (statutarische) Sitz reiche nicht aus.

Im Klageverfahren führte die Klägerin ergänzend aus, sie habe ihre Ansässigkeit in Luxemburg durch Vorlage einer Bescheinigung nach § 61 Abs. 3 UStDV 1993 nachgewiesen. Hieran sei das BfF gebunden.

Das BfF vertrat hingegen die Auffassung, in Luxemburg habe nur eine sog. Briefkastengesellschaft bestanden. Mit der Bescheinigung nach § 61 Abs. 3 UStDV 1993 erbringe der Antragsteller lediglich den Nachweis, dass er "Mehrwertsteuerpflichtiger" des Sitzstaates sei; dies impliziere nicht zwingend die --nach § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) zu prüfende-- Unternehmereigenschaft.

Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 649 veröffentlichten Entscheidung aus, die Klägerin sei Unternehmerin i.S. des § 2 UStG 1993, weil sie Verträge abgeschlossen und erfüllt habe und damit nach außen im Rechtsverkehr aufgetreten sei. Aus diesem Grund könne dahinstehen, ob der Bescheinigung nach § 61 Abs. 3 UStDV 1993 für die Frage des Vorliegens der Unternehmereigenschaft Bindungswirkung zukomme. Die Klägerin sei auch im Ausland ansässig. Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV 1993 sei ein im Ausland ansässiger Unternehmer derjenige Unternehmer, der jedenfalls nicht im Inland einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder seine Zweigniederlassung habe. Es sei unstreitig, dass die Klägerin ihren Sitz in Luxemburg habe und auch sonst keinerlei Anknüpfungspunkte zum Inland vorhanden seien. Die Klägerin sei auch nicht nach § 18 Abs. 9 Satz 7 UStG 1993 in der für das Antragsjahr geltenden Fassung vom 3. Juni 1995 (vgl. Art. 41 Abs. 6 und Art. 20 Nr. 13 Buchst. d des Gesetzes vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250) von der Vergütung der Vorsteuerbeträge ausgeschlossen. Denn sie sei im Gemeinschaftsgebiet ansässig, weil sie ihren "statutarischen" Sitz i.S. des § 11 der Abgabenordnung (AO 1977) in Luxemburg und damit im Gemeinschaftsgebiet habe. Dies genüge für die Begründung der Ansässigkeit i.S. des § 18 Abs. 9 Satz 7 UStG 1993. Unabhängig davon sei die Ansässigkeit aber auch aufgrund der Unternehmensbescheinigung nach § 61 Abs. 3 UStDV 1993 zu bejahen, die zumindest die Ansässigkeit aufgrund des Sitzes i.S. des § 11 AO 1977 in dem die Bescheinigung ausstellenden Staat belege.

Mit der Revision rügt das BfF Verletzung von § 18 Abs. 9 Satz 7 UStG 1993.

Das BfF beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG-Urteil war aufzuheben. Das FG ging zu Unrecht davon aus, die Klägerin sei aufgrund ihres rechtlichen Sitzes in Luxemburg und nicht in der Schweiz ansässig; ihr stehe daher auch die Vergütung der Vorsteuerbeträge auf den Bezug von Kraftstoff zu.

a) Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993 in der für das Antragsjahr geltenden Fassung ab 3. Juni 1995 kann das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des Bundesrats die Vergütung der Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 1993 durch Rechtsverordnung in einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber in §§ 59 ff. UStDV 1993 Gebrauch gemacht.

Nach § 18 Abs. 9 Satz 7 UStG 1993 sind bei Unternehmern, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind, die Vorsteuerbeträge von der Vergütung ausgeschlossen, die u.a. auf den Bezug von Kraftstoffen entfallen.

b) Zu Unrecht legt das FG die Begriffe "ansässig" bzw. "Sitz" i.S. von § 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG 1993 anhand der Sitz-Regelung in § 11 AO 1977 aus. In seinem Urteil vom 22. Mai 2003 V R 97/01 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2003, 505) hat der Senat dargelegt, dass im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu ermitteln ist, ob die in § 11 AO 1977 umschriebenen Voraussetzungen den gemeinschaftsrechtlichen Begriffsmerkmalen der "Ansässigkeit" bzw. des "Sitzes" i.S. von Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (im Folgenden: Dreizehnte Richtlinie 86/560/EWG) entsprechen. Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auch im Streitfall anwendbar. Darauf wird verwiesen, um Wiederholungen zu vermeiden.

2. Der Senat geht davon aus, dass die Auslegung der Tatbestandsmerkmale "ansässig" und "Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit" des Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist (vgl. Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV--). Hierfür könnten folgende Kriterien entscheidungserheblich sein:

* War die Klägerin in den Streitjahren unter ihrer Firma am Sitzort in Luxemburg im Telefonbuch eingetragen? * Hatte sie unter ihrer Firma Büroräume angemietet? * Hatte sie Arbeitsverträge abgeschlossen? * Wo und wann waren etwaige Arbeitnehmer für sie in Luxemburg tätig? * Wo wurden die Rechnungen erstellt? * Waren die LKW der Klägerin in Luxemburg zugelassen? * Wo befand sich der Standort der Fahrzeuge, wenn sie nicht für Transportleistungen eingesetzt wurden? * Hat die Klägerin in Luxemburg Umsatzsteuererklärungen abgegeben? * Haben die zuständigen Luxemburger Behörden ihr gegenüber Umsatzsteuerbescheide erlassen?

Der Tatbestand der Vorentscheidung gibt insoweit lediglich den Vortrag der Beteiligten wieder; die erforderlichen Feststellungen muss das FG noch treffen.

3. Der Senat kann auch nicht aufgrund der gemäß § 61 Abs. 3 UStDV 1993 vorgelegten Bescheinigung der Luxemburger Behörde abschließend entscheiden. Die Frage einer etwaigen Bindungswirkung für das Vorsteuervergütungsverfahren kann vor einer dem EuGH vorbehaltenen Klärung der unter 2. benannten Rechtsbegriffe nicht entschieden werden. Auch insoweit wird auf die in der Entscheidung in UR 2003, 505 dargelegten Grundsätze verwiesen.

Das BfF bezweifelt, dass der in der vorgelegten Bescheinigung vermerkte Unternehmenssitz mit dem Ort identisch ist, von dem aus die Klägerin Umsätze erbringt. Aus den Feststellungen der Vorinstanz ist nicht ersichtlich, ob das BfF insoweit von seiner Befugnis Gebrauch gemacht hat, sich an die Behörde des Mitgliedstaats zu wenden, die die Bescheinigung ausgestellt hat, um Informationen einzuholen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Antonio Saggio vom 13. April 2000 in der Rs. C-136/99 --Société Monte Dei Paschi Di Siena--, Slg. 2000, I-6111 RandNr. 13). Auch insoweit hat das FG die notwendigen Feststellungen nachzuholen.

4. Schließlich hat das FG nicht festgestellt, dass die Klägerin im Streitjahr 1997 nur vergütungsunschädliche Umsätze ausgeführt hat (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UStDV 1993). Angesichts der Tatsache, dass die Klägerin in den Streitjahren in Deutschland überwiegend Kraftstoff mit darauf entfallender Umsatzsteuer in Höhe von ... DM eingekauft hat, drängt sich die Frage auf, ob sie auch im Inland steuerbare und steuerpflichtige Beförderungsleistungen erbracht hat.

Das FG hat auch insoweit noch die notwendigen Feststellungen nachzuholen.

Ende der Entscheidung

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