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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.01.2008
Aktenzeichen: VI B 10/07
Rechtsgebiete: EStG, AO, FGO
Vorschriften:
EStG § 19 | |
AO § 173 | |
AO § 173 Abs. 1 | |
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 |
Gründe:
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) --Eheleute-- zusammen zur Einkommensteuer der Streitjahre 2001 bis 2004 und legte dabei insbesondere auch die vom Kläger als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erklärten Arbeitslöhne erklärungsgemäß zugrunde.
Nachdem im Februar 2006 der Arbeitgeber des Klägers ihn darüber informiert hatte, in den Jahren 2001 bis 2004 Ausgleichszahlungen für dessen Altersvorsorge geleistet, als Arbeitslohn behandelt und dem Lohnsteuerabzug unterworfen zu haben, obwohl es sich dabei nach einer neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 14. September 2005 VI R 148/98, BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532; vom 15. Februar 2006 VI R 64/05, BFH/NV 2006, 1272) nicht um Arbeitslohn i.S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handele, beantragten die Kläger im Hinblick darauf, die bestandskräftig gewordenen streitigen Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern. Ihnen sei bis Februar 2006 nicht bekannt gewesen, dass der Arbeitgeber Sonderzahlungen erbracht habe.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) ab. Entscheidend sei, dass das FA bei Kenntnis der Tatsache der Sonderzahlungen an die Zusatzversorgungskasse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Einkommensteuer ebenso festgesetzt hätte, wie dies ohne Kenntnis der Tatsache geschehen sei. Denn diese Auffassung hätte zu den Zeitpunkten des Erlasses der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide zwischen Januar 2003 und April 2005 der Verwaltungsauffassung entsprochen.
Mit der auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision. Klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob ein Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden könne, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Rechtskraft des Steuerbescheides keine Kenntnis von den steuermindernden Tatsachen gehabt hätte und dadurch tatsächlich gehindert gewesen wäre, Rechtsschutz zu erlangen, ohne dass ihn ein grobes Verschulden treffe. Bei Kenntnis der Tatsache hätte der Kläger Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegt und unter Hinweis auf das vor dem BFH anhängige Verfahren VI R 148/98 das Ruhen des Verfahrens beantragt. Diesem Antrag hätte das FA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zugestimmt, so dass die Bestandskraft nicht eingetreten wäre.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erfordert konkreten und substantiierten Vortrag dazu, dass eine Entscheidung zu einer bisher ungeklärten, klärungsbedürftigen und im Streitfall klärungsfähigen Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Juni 2007 VI B 14/07, BFH/NV 2007, 1626).
a) Für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache in Zusammenhang mit § 173 AO ist allein maßgebend, wie die Finanzbehörde bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel entschieden hätte. Nur wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, führen nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel zu einer niedrigeren Steuer i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben. Dies ist seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 ständige Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461; vom 20. Juni 2001 VI R 70/00, BFH/NV 2001, 1527; vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818; Senatsbeschluss vom 10. Oktober 2007 VI B 48/06, BFH/NV 2008, 191, m.w.N.).
b) Die von den Klägern mit ihrer Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage gründet dagegen für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache nicht mehr allein auf dem Kenntnisstand der Finanzbehörde, sondern --insoweit abweichend von der vorstehend genannten ständigen Rechtsprechung-- auch auf der Kenntnis des Steuerpflichtigen. Schon das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung selbst, sondern der Umstand sei, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei. Der Große Senat des BFH hatte in seinem Beschluss betont, dass die Unkenntnis von Tatsachen oder Beweismitteln für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich sein müsste und die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen sei. Auf dieser Grundlage gelangte der Große Senat des BFH zu der Auffassung, dass nur dann, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel zu einer niedrigeren Steuer i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führten (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 191). Damit ist auch die im Streitfall der Kläger gegebene Sachverhaltskonstellation entschieden, dass dem Steuerpflichtigen selbst eine Tatsache nicht bekannt war. Angesichts dieser gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich zur Frage der Rechtserheblichkeit im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO aus dem Vorbringen der Kläger keine durchgreifenden weiteren, vom BFH früher nicht schon berücksichtigten Erwägungen, die in einem Revisionsverfahren zu klären wären.
Ende der Entscheidung
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