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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.07.1999
Aktenzeichen: VI B 116/99
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
EStG § 11 Abs. 1 Satz 1
EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 38 Abs. 2 Satz 2
BUNDESFINANZHOF

1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß ein Zufluß von Arbeitslohn nicht bereits durch die Einräumung eines Anspruchs gegen den Arbeitgeber, sondern grundsätzlich erst durch dessen Erfüllung begründet wird.

2. Das gilt auch für den Fall, daß der Anspruch --wie ein solcher auf die spätere Verschaffung einer Aktie zu einem bestimmten Preis-- lediglich die Chance eines zukünftigen Vorteils beinhaltet.

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 EStG § 11 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 2 Satz 2

Beschluß vom 23. Juli 1999 - VI B 116/99 -

Vorinstanz: FG München


Gründe

Der ehemalige Arbeitgeber des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller), eine GmbH, zeigte dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) mit Schreiben vom 22. April 1998 gemäß § 38 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, daß dem Antragsteller aus der Ausübung einer Aktienoption am 2. Februar 1998 ein geldwerter Vorteil in Höhe von 2 048 469,49 DM zugeflossen sei, der Barlohn des Monats Februar zur Deckung der einzubehaltenden Lohnsteuer nicht ausreiche und der Arbeitnehmer den Fehlbetrag nicht zur Verfügung gestellt habe. Daraufhin erließ das FA, nachdem ein vorhergehender Bekanntgabeversuch erfolglos geblieben war, am 28. Juli 1998 gegen den Antragsteller einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid über 1 210 906,50 DM, der mit dem noch nicht beschiedenen Einspruch angefochten wurde.

Ein gleichzeitig beim FA gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde von diesem zurückgewiesen. Auch der beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte keinen Erfolg.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestünden.

1. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 10. März 1972 VI R 278/68 (BFHE 105, 348, BStBl II 1972, 596) entschieden, daß die Einräumung eines Aktienoptionsrechts dem Berechtigten lediglich eine Chance zu einem preisgünstigen Vermögenserwerb gebe, der zu einem Zufluß erst führe, wenn der Berechtigte die Option ausgeübt habe. Wichtig sei jedoch, daß im Anschluß daran ausgeführt worden sei, daß im Rahmen der im vorliegenden Fall maßgeblichen Einnahmen-Überschußermittlung kein Raum für die Frage bestehe, ob ein Optionsrecht ein Wirtschaftsgut sein könne, wie es bei einer Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich anzusetzen wäre. Zwischenzeitlich würden jedoch nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 24. Juli 1996 X R 139/93, BFH/NV 1997, 105) entgeltlich erworbene Aktienoptionsrechte als selbständige Wirtschaftsgüter angesehen. Die erwähnte Entscheidung aus dem Jahr 1972 basiere somit noch nicht auf dem nunmehr vom BFH vertretenen einheitlichen Wirtschaftsgutbegriff für sämtliche Einkunftsarten und stimme auch nicht mit der Neudefinition des Arbeitslohnbegriffs durch den BFH ab dem Urteil vom 17. September 1982 VI R 75/79 (BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39) überein, nach der eine Einnahme jeder erlangte Vorteil sei, der in Geld oder Geldeswert bestehe. Die Bemerkung des FG, bei der Einräumung einer Option liege noch kein Zufluß vor, weil es sich um einen noch nicht erfüllten Anspruch handele, erschöpfe den Sachverhalt nicht. Wenn die Aktienoption ein selbständiges Wirtschaftsgut darstelle, wäre ihre Einräumung schon die Übertragung des Wirtschaftsgutes und der diesbezügliche Anspruch aus dem Arbeitverhältnis erfüllt.

2. Das FG habe die Unterschiede zwischen Mitarbeiteroptionen und an der Deutschen Terminbörse gehandelten Aktienoptionen verkannt. Solche beständen darin, daß Mitarbeiteroptionen lange Laufzeiten hätten (im Streitfall sieben Jahre) und deshalb werthaltiger seien, als bei den üblicherweise nur bis zu neun Monate betragenden Laufzeiten an der Terminbörse. Bei letzterer könne das Optionsrecht nur an vier Terminen im Jahr, dagegen bei Mitarbeiteroptionen nach abgelaufener Sperrfrist börsentäglich ausgeübt werden. Dies zeige, daß Mitarbeiteroptionen gegenüber den normal gehandelten Optionen regelmäßig vorteilhafter seien, weshalb der Ausschluß der reinen Handelbarkeit nicht maßgebend sein könne. Ebensowenig sei der Umstand, daß sich die Bewertung von Mitarbeiteroptionen nicht einfach darstelle, ein Grund, den Zufluß auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem die Bemessungsgrundlage einfacher festgestellt werden könne.

3. Fehl gehe auch der Vergleich einer Mitarbeiteroption mit einer bloßen Chance oder einem Los. Stiegen, wie häufig bei Mitarbeiteroptionen, die Kurse wie in der Vergangenheit, sei die Vorteilhaftigkeit der Option als solche offenkundig, wobei lediglich eine konkrete Bezifferung noch nicht möglich sei. Wer, wie im Streitfall, eine Kursdifferenz von über 1 Mio. DM realisieren könne, dürfe nicht wie jemand behandelt werden, der lediglich mit einem Los in der Tasche der Losziehung entgegenblicke.

4. Es möge rechtspolitisch zwar zu begrüßen sein, den Zufluß zeitlich zu verschieben, was auch zu einer späteren steuerlichen Erfassung führe. Dies würde Mitarbeiter prosperierender Unternehmen jedoch zwingen, die Option frühestmöglich auszuüben, um künftige Wertsteigerungen im Privatvermögen steuerfrei zu erzielen.

Der Antragsteller beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides in vollem Umfang auszusetzen.

Das FA tritt dem mit den Gründen des FG entgegen.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache --schon vor Erhebung der Klage (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO)-- auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Soweit --wie im Streitfall-- Rechtsfragen umstritten sind, sind ernstliche Zweifel anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, wichtige Gesichtspunkte zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage auslösen. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs ist für die Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, zuletzt BFH-Beschluß vom 5. November 1998 VIII B 74/98, BFH/NV 1999, 468, m.w.N.).

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu verneinen, weil die vorgebrachten Gründe nicht geeignet sind, die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Zuflußzeitpunkt von Arbeitslohn bei noch nicht erfüllten Ansprüchen in Frage zu stellen.

a) Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Dementsprechend knüpft der Lohnsteuerabzug nicht an das Innehaben von Ansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, sondern an den Zufluß an, der regelmäßig (zu hier nicht interessierenden Ausnahmen vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 17. November 1998 VIII R 24/98, BFHE 187, 292, BStBl II 1999, 223, m.w.N.) mit der Erfüllung des Anspruchs zusammenfällt. In Übereinstimmung hiermit hat die Rechtsprechung die Zusage des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer künftig Leistungen zu erbringen, noch nicht als Zufluß angesehen (BFH-Urteil vom 3. Juli 1964 VI 262/63 U, BFHE 81, 225, BStBl III 1965, 83), selbst wenn der Arbeitgeber interne Maßnahmen getroffen hat, mittels deren der Anspruch, der dem Arbeitnehmer eingeräumt wurde, finanziell abgesichert wird (BFH-Urteil vom 27. Mai 1993 VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246; vgl. auch BFH-Beschluß vom 16. September 1998 VI B 155/98, BFH/NV 1999, 457, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 1999, 166). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft. Aber auch in diesem Fall wird nicht auf Ansprüche, sondern auf Zuflüsse abgestellt. Denn der Lohnzufluß liegt in den gegenwärtigen Beiträgen des Arbeitgebers, mit denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am Markt Leistungen --z.B. Versicherungsschutz-- verschafft, während die spätere Erfüllung der Ansprüche, die der Dritte dem Arbeitnehmer eingeräumt hat, dann nicht mehr auf dem Dienstverhältnis beruht und somit auch keinen Arbeitslohn begründet.

b) Die geschilderten Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Bar- oder Sachlohn einräumt. Dementsprechend fließt bei dem Versprechen des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer einen Gegenstand (z.B. ein Grundstück) zuzuwenden, Arbeitslohn nicht bereits mit wirksamer Zusage, sondern erst in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das wirtschaftliche Eigentum verschafft (BFH-Urteile vom 26. Juli 1985 VI R 200/81, BFH/NV 1986, 306, und vom 10. November 1989 VI R 155/85, BFH/NV 1990, 290). Dabei ist auf den Zuflußzeitpunkt ungeachtet der Tatsache abzustellen, daß damit nicht nur die Höhe des geldwerten Vorteils beeinflußt sein kann, sondern auch --wie beim Losgewinn (BFH-Urteil vom 25. November 1993 VI R 45/93, BFHE 173, 65, BStBl II 1994, 254)-- davon abhängen kann, ob beim betreffenden Arbeitnehmer überhaupt ein geldwerter Vorteil anfällt.

c) Nichts anderes gilt, wenn sich das Versprechen des Arbeitgebers auf die spätere Verschaffung einer Aktie bezieht. Dementsprechend hat die Rechtsprechung für den Fall, daß einem Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses ein Optionsrecht auf den späteren Erwerb von Aktien zu einem bestimmten Übernahmepreis eingeräumt wurde, als Arbeitslohn nicht den Wert des Optionsrechts bei dessen Gewährung, sondern die Differenz zwischen Kurswert und Übernahmepreis bei Ausübung der Option angesehen (BFH-Urteil in BFHE 105, 348, BStBl II 1972, 596; ebenso stillschweigend BFH-Beschluß vom 8. August 1991 VI B 109/90, BFHE 165, 101, BStBl II 1991, 929; gleicher Ansicht FG München, Beschluß vom 11. Januar 1999 8 V 3484/98, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 381; FG Köln, Urteile vom 9. September 1998 11 K 5153/97, EFG 1998, 1634, und vom 21. Oktober 1998 11 K 1662/97, EFG 1999, 116). Auch die Auffassung, daß die Barablösung eines dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eingeräumten Optionsrechts Arbeitslohn begründe (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13. Februar 1998 I 464/96, EFG 1998, 1518), setzt voraus, daß Arbeitslohn nicht bereits durch Einräumung der Option zugeflossen ist.

Der Senat folgt damit nicht der in der Literatur wiederholt vertretenen abweichenden Auffassung (z.B. Schubert, Finanz-Rundschau 1999, 639; Neyer, Betriebs-Berater --BB-- 1999, 130; Kau/Leverenz, BB 1998, 2269; Portner, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1995, 629; dies., DStR 1998, 1535; vgl. auch die Zusammenfassung bei Herzig, Der Betrieb --DB-- 1999, 1). Auch die vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen nicht, von den oben wiedergegebenen Grundsätzen abzuweichen.

aa) Die Einräumung einer Option durch den Arbeitgeber bewirkt noch nicht deshalb einen Lohnzufluß, weil ein Optionsrecht ein bewertbarer Vermögensgegenstand ist. Denn es kommt weder darauf an, ob ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber ein Wirtschaftsgut darstellt, noch darauf, wie schwer er zu bewerten ist. Vielmehr ist bei Ansprüchen aus einem Optionsrecht wie bei anderen noch nicht erfüllten Ansprüchen aus dem Dienstverhältnis einheitlich auf den Zufluß abzustellen. Dabei ist die Rechtsprechung zum Zufluß weder wegen einer vermeintlichen Weiterentwicklung des Begriffs des Wirtschaftsgutes, noch wegen neuer Tendenzen zum Begriff des Arbeitslohns zu ändern. In Übereinstimmung hiermit hat der erkennende Senat erst jüngst (BFH-Urteil vom 16. April 1999 VI R 60/96, DStR 1999, 1149) entschieden, daß ein zum Vermögen des Arbeitnehmers gehörender Anspruch noch nicht zum Zufluß führen müsse.

Die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang herangezogene Rechtsprechung ist nicht einschlägig. Das BFH-Urteil in BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39 ist nicht zur Frage des Zuflusses bzw. des Zuflußzeitpunktes ergangen, sondern dazu, ob Aufwendungen des Arbeitgebers deshalb nicht "für eine Beschäftigung" (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) getätigt und folglich nicht als Ertrag der Arbeit des Arbeitnehmers anzusehen seien, weil sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erfolgt seien. Demgegenüber wird im Streitfall auch vom Antragsteller zu Recht nicht in Zweifel gezogen, daß jedenfalls die Einräumung des Optionsrechts einen für seine Beschäftigung gewährten Vorteil darstellt.

Auch das BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 105 sowie das vor dem FG vom Antragsteller eingeführte BFH-Urteil vom 28. November 1990 X R 197/87 (BFHE 163, 175, BStBl II 1991, 300) betreffen handelbare Optionen mit Ansprüchen gegen fremde Dritte und nicht gegen den Arbeitgeber.

bb) Der Senat braucht nicht näher darauf einzugehen, ob für handelbare Optionen (vgl. dazu Oberfinanzdirektion Berlin, Verfügung vom 25. März 1999 -St 423 -S 2347- 1/99, DB 1999, 1241) Besonderheiten gelten, da das FG unwidersprochen festgestellt hat, daß im Streitfall keine handelbaren Optionen vorlagen. Insofern erübrigt sich auch eine Stellungnahme zu den vom Antragsteller zum Vergleich herangezogenen Optionen, die an der Börse gehandelt werden, weil nur der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zu beurteilen ist.

3. Da nach den obigen Darlegungen der geldwerte Vorteil erst mit der Ausübung der Option zugeflossen ist und die hierauf beruhende Berechnung der Lohnsteuer unstreitig ist, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Nachforderungsbescheides.

Ende der Entscheidung

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