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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 10.11.1998
Aktenzeichen: VI B 125/98
Rechtsgebiete: GG, EStG, FGO
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
EStG § 64 Abs. 2 Satz 1 | |
FGO § 142 |
Bei mehreren Berechtigten (Eltern) ist das Kindergeld an denjenigen zu zahlen, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist, auch wenn die Berechtigten zivilrechtlich etwas anderes vereinbart haben. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
GG Art. 3 Abs. 1 EStG § 64 Abs. 2 Satz 1 FGO § 142
Beschluß vom 10. November 1998 - VI B 125/98 -
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg
Gründe
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Vater von zwei 1982 und 1986 geborenen Kindern, die zunächst im Haushalt seiner von ihm geschiedenen früheren Ehefrau lebten. Seit Oktober 1996 leben die Kinder im Haushalt des Antragstellers, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und im Inland seinen Wohnsitz hat. In einem gerichtlichen Vergleich zwischen dem Antragsteller und seiner geschiedenen Ehefrau vereinbarten die Vergleichsparteien, daß der Antragsteller für die beiden Kinder Unterhalt in Höhe von 700 DM an die geschiedene Ehefrau zahlt. In dem protokollierten Vergleich heißt es sodann: "Dabei gehen die Beteiligten davon aus, daß das gesamte staatliche Kindergeld dem Antragsgegner (Antragsteller des vorliegenden Verfahrens) zusteht."
Mit Bescheid vom 10. Juni 1996 lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Arbeitsamt --Familienkasse--) die Zahlung von Kindergeld für die beiden Kinder ab 1. März 1996 ab, weil die Kinder im Haushalt der geschiedenen Ehefrau lebten und diese vorrangig Anspruch auf Zahlung des Kindergelds habe. Dem Antragsteller stehe das Kindergeld erst ab 1. November 1996 zu, weil die Kinder erst ab Oktober 1996 in seinem Haushalt lebten.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid Klage erhoben, mit der er beantragt, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) insoweit mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei, als bei mehreren Berechtigten Kindergeld nur an denjenigen gezahlt wird, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist, hilfsweise, das Arbeitsamt zu verpflichten, ihm Kindergeld für die Monate März bis Oktober 1996 zu zahlen. Zur Begründung der Klage trägt er vor, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Es bestehe keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß an einen barunterhaltspflichtigen Anspruchsberechtigten, bei dem die betreffenden Kinder nicht in den Haushalt aufgenommen seien, das Kindergeld nicht ausbezahlt werde, obwohl ein familiengerichtliches Urteil oder ein familiengerichtlicher Vergleich den barunterhaltspflichtigen Elternteil zum Berechtigten bestimme.
Er hat außerdem beantragt, ihm für die erste Instanz Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren. Dem Antrag ist eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt, aus der sich ergibt, daß er im Zeitpunkt der Antragstellung arbeitslos war und Arbeitslosengeld erhielt.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf PKH mit dem angefochtenen Beschluß ab. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungswidrig sei.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Die Obhutsregelung in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG verstoße gegen Verfassungsrecht und sei zudem nicht mit Art. 73 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (VO Nr. 1408/71) des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 14. Juni 1971 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 149/2) vereinbar. Aus Art. 75 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung ergebe sich, daß das Kindergeld nicht an die Obhutsberechtigte zu zahlen sei, wenn ein anderer durch familiengerichtlichen Vergleich zum Berechtigten bestimmt worden sei.
Der Antragsteller beantragt, ihm für die erste Instanz rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung PKH zu gewähren.
Das Arbeitsamt beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht die Gewährung von PKH abgelehnt, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung). Dem Antragsteller ist für den umstrittenen Zeitraum kein Kindergeld zu zahlen. Das Kindergeld stand vielmehr seiner geschiedenen früheren Ehefrau zu, in deren Haushalt die Kinder aufgenommen waren. Nach § 64 Abs. 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Der Kläger war danach zwar kindergeldberechtigt, das Kindergeld war aber an seine geschiedene Ehefrau zu zahlen. Das gilt auch dann, wenn die Eltern --wie im Streitfall-- vereinbaren, daß das Kindergeld im Innenverhältnis nicht dem nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG Empfangsberechtigten, sondern dem anderen Elternteil zustehen soll.
§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist nicht verfassungswidrig, insbesondere verstößt die Vorschrift nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Das BVerfG hat entschieden, der Gesetzgeber müsse den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind; geschehe dies nicht, so liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil Steuerpflichtige mit Kindern gegenüber kinderlosen benachteiligt würden. Bei der Beurteilung, ob der Gesetzgeber den Anforderungen gerecht wird, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld berücksichtigt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Juli 1997 VI R 114/96, BFHE 183, 549, BStBl II 1997, 697, m.N.). Im Streitfall geht es indes nicht um die Höhe des zu zahlenden Kindergeldes, sondern um die Frage, wem das Kindergeld auszuzahlen ist. Die gesetzliche Regelung über dem Empfangsberechtigten könnte nur dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie denjenigen, in dessen Obhut sich die Kinder befinden und der deshalb empfangsberechtigt ist, gegenüber den übrigen Berechtigten in sachwidriger oder willkürlicher Weise begünstigt. Das ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall. Es ist vielmehr sachgerecht, das Kindergeld sowohl nur einem von mehreren Berechtigten zu zahlen, als auch demjenigen, in dessen Obhut sich die Kinder befinden. Der Gesetzgeber konnte dabei von dem Regelfall ausgehen, daß derjenige, in dessen Haushalt die Kinder aufgenommen sind, den Hauptteil der kindbedingten Belastungen trägt (vgl. Begründung zum gleichlautenden § 3 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes; BTDrucks 13/1558, S. 165). Außerdem dient die Anknüpfung an die Haushaltszugehörigkeit der Verfahrensvereinfachung, weil sich die Haushaltszugehörigkeit im Regelfall ohne Schwierigkeiten feststellen läßt. Der Gesetzgeber konnte ferner davon ausgehen, daß bei mehreren Unterhaltsverpflichteten, insbesondere bei Ehegatten, ein etwa erforderlicher Ausgleich der Kindergeldzahlung auf zivilrechtlicher Grundlage erfolgt (vgl. dazu Köhler in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., § 1602 Rdnr. 19, 19 a; Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 57. Aufl., § 1602 Rn. 17).
§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG verstößt bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht gegen europäisches Recht. Der Antragsteller weist zwar zutreffend darauf hin, daß in der VO Nr. 1408/71 i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 (VO Nr. 3427/89) des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 30. Oktober 1989 (ABlEG Nr. L 331/1) Bestimmungen über die Gewährung von Familienleistungen bei Arbeitnehmern und Arbeitslosen getroffen sind. Nach Art. 75 Abs. 2 der Verordnung zahlt der zuständige Träger die Familienleistungen mit befreiender Wirkung an die natürliche oder juristische Person, die für die Familienangehörigen sorgt, wenn die Person, der die Familienleistungen eigentlich zu gewähren sind, diese nicht für den Unterhalt der Familienangehörigen verwendet. Diese Vorschrift betrifft ihrem eindeutigen Wortlaut nach Fallgestaltungen, in denen Familienleistungen, also auch das Kindergeld (vgl. Stahlberg, Die Sozialgerichtsbarkeit 1989, 238, 239), an Personen zu gewähren sind, die die Familienleistungen nicht für den Unterhalt der Familienangehörigen verwenden. In diesen Fällen soll die Familienleistung mit befreiender Wirkung derjenigen Person ausgezahlt werden können, die tatsächlich für die Familienangehörigen sorgt. Die Vorschrift betrifft also Fälle, in denen --anders als in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG-- eigentlich berechtigte Personen nicht für die Familienangehörigen (Kinder) sorgen.
Ende der Entscheidung
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