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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.04.1999
Aktenzeichen: VI B 128/97
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 165 Abs. 1
AO 1977 § 172 Abs. 1
AO 1977 § 165
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 54
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden zu den Streitjahren 1983 und 1984 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei wurden zwei Kinderfreibeträge von je 432 DM berücksichtigt. Die Einkommensteuerbescheide ergingen zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, der mit Bescheiden vom 11. Juni 1986 aufgehoben wurde. Gleichzeitig wurden die Bescheide hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und der Kosten des häuslichen Arbeitszimmers gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in der vor 1987 gültigen Fassung für vorläufig erklärt. Die Bescheide wurden nicht angefochten.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte es ab, dem Schreiben der Kläger vom 19. Juli 1991 zu entsprechen und die dort unter Berufung auf § 54 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1991 beantragten Kinderfreibeträge von je 3 400 DM zu berücksichtigen.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, eine Änderung nach § 172 Abs. 1 AO 1977 sei nicht möglich gewesen, weil ein entsprechender Antrag nicht vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellt worden sei und eine punktuelle Änderungsmöglichkeit nach § 165 AO 1977 nicht bestanden habe. Auch eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sei nicht in Betracht gekommen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Februar 1994 III R 50/92, BFHE 173, 383, BStBl II 1994, 389). § 54 EStG habe die bestehende Änderungsmöglichkeit nicht erweitern wollen. Die dort verwendete Formulierung "wenn die betreffende Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig geworden ist" habe lediglich klarstellen wollen, daß eine Änderung nur in solchen Fällen zulässig sei, in denen unter Zugrundelegung der bereits vorhandenen gesetzlichen Änderungsvoraussetzungen eine Anhebung der Kinderfreibeträge habe erfolgen können.

Dem stehe der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664) nicht entgegen. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betreffenden Steuerpflichtigen zu beheben. Mit dieser Formulierung sei klargestellt worden, daß eine Änderung nur zu erfolgen habe, wenn der Einkommensteuerbescheid noch zulässigerweise mit Rechtsmitteln habe angegriffen werden können, also noch nicht formell bestandskräftig geworden sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger Divergenz und grundsätzliche Bedeutung geltend.

Das angefochtene Urteil sei vom BVerfG-Beschluß in BStBl II 1990, 664 abgewichen, da der Gesetzgeber dort aufgefordert worden sei, "in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betreffenden Steuerpflichtigen zu beheben" und auch ein nach § 165 AO 1977 offener Steuerfall in diesem Sinne "noch nicht bestandskräftig" sei.

Außerdem schwebten noch Musterverfahren, ob die erhöhten Kinderfreibeträge nach § 54 EStG i.d.F. des StÄndG 1991 auch in bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren zu gewähren seien, wenn noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

Im übrigen sei als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung klärungsbedürftig, welche Rückwirkung eine Entscheidung des BVerfG entfalte, wenn eine Steuervorschrift als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt worden sei und die rückwirkende Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen angeordnet werde, insbesondere ob die herkömmliche Auslegung des verfahrensrechtlichen Begriffs der Bestandskraft der verfassungskonformen Umsetzung des klar erkennbaren Willens des BVerfG entgegenstehe.

Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht den Darlegungsanforderungen entspräche. Die von den Klägern als klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen seien bereits höchstrichterlich entschieden. Beschränke der Gesetzgeber eine rückwirkende gesetzliche Neuregelung, die er aufgrund einer Entscheidung des BVerfG treffen müsse, auf die noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Fälle, so bestehe kein Anspruch auf Änderung bestandskräftiger Bescheide. Die Beschränkung der Rückwirkung auf noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Fälle sei verfassungsgemäß (BFH-Urteil in BFHE 173, 383, BStBl II 1994, 389). Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde sei mit Beschluß vom 31. Januar 1996 2 BvR 901/94 nicht zur Entscheidung angenommen worden. Ausgesetzte gerichtliche Verfahren, in denen es um die Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 zur Erhöhung der Kinderfreibeträge gehe, seien daher wieder aufzunehmen (BFH-Beschluß vom 14. März 1996 III B 81/93, BFHE 180, 14, BStBl II 1996, 328). Der allgemeine Hinweis der Kläger auf noch anhängige Musterverfahren gehe ins Leere.

Es ist zweifelhaft, ob die Beschwerde zulässig ist; sie ist jedenfalls unbegründet.

1. Divergenz

Bei einer auf Divergenz gestützten Beschwerde muß der Beschwerdeführer einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus einer divergenzfähigen Entscheidung so bezeichnen, daß eine Abweichung erkennbar wird (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 10. Juni 1998 V B 103/97, BFH/NV 1999, 315, m.w.N.). Ungeachtet dessen, inwieweit die Kläger diesem Erfordernis entsprochen haben, ist der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1990, 664 lediglich zu entnehmen, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, "in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen zu beheben". Dagegen finden sich dort keine Ausführungen darüber, bei welchen Konstellationen von "bestandskräftig gewordenen Fällen" auszugehen ist und bei welchen nicht. Eine Abweichung von abstrakten Rechtssätzen liegt somit nicht vor.

2. Grundsätzliche Bedeutung

Es wird keine konkrete klärungsfähige Rechtsfrage benannt, wenn eine Klärung darüber gefordert wird, welche Rückwirkung eine Entscheidung des BVerfG entfalte, wenn dieses angeordnet hat, eine Benachteiligung in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen zu beheben. Denn die Frage nach der Bestandskraft kann je nach verwirklichtem Sachverhalt ganz unterschiedlich zu beantworten sein. Im übrigen ist nicht klärungsbedürftig, weil offenkundig, daß der Begriff der noch nicht bestandskräftig gewordenen Fälle an den gesetzlichen Bestimmungen --insbesondere der AO 1977-- zu orientieren ist, die die Bestandskraft regeln. Die Kläger haben sich weder zu den diesbezüglichen, vom FG für einschlägig angesehenen, noch zu bestimmten anderen Vorschriften geäußert, insbesondere hierzu keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als klärungsbedürftig aufgeworfen. Eine konkrete, in einem zukünftigen Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage, die noch einer Klärung bedarf und deren Entscheidung im Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts liegt, haben die Kläger somit --jedenfalls innerhalb der insofern maßgebenden Beschwerdefrist-- nicht dargelegt.

Ende der Entscheidung

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