Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.08.1998
Aktenzeichen: VI B 236/97
Rechtsgebiete: EStG, ZPO, FGO
Vorschriften:
EStG § 63 Abs. 1 Nr. 2 | |
EStG § 63 | |
EStG § 64 Abs. 2 Satz 2 | |
ZPO § 115 Abs. 2 | |
ZPO § 142 Abs. 1 | |
FGO § 114 |
Gründe
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine türkische Staatsangehörige, erhält Kindergeld für ihre drei leiblichen Kinder. Sie hat die Zahlung von weiterem Kindergeld für das im August 1982 geborene Kind C beantragt, für das ihr Ehemann 1990 vor einem Familiengericht in der Türkei seine Vaterschaft anerkannt hat. Seit September 1996 ist C in den Haushalt der Antragstellerin und ihres Ehemannes aufgenommen.
Das Arbeitsamt -Familienkasse- (Beklagter) lehnte die Zahlung von Kindergeld für C ab, weil der Beschluß des türkischen Familiengerichts angesichts der außergewöhnlichen Umstände des Falles nicht den erforderlichen Nachweis erbringe, daß C das eigene Kind des Ehemannes sei. Es bleibe unbenommen, die Vaterschaft durch ein wissenschaftliches Gutachen nachzuweisen.
Gegen die Ablehnung des Kindergeldes hat die Antragstellerin Klage erhoben, die bei dem Finanzgericht (FG) noch anhängig ist. Für das Klageverfahren beantragte sie Prozeßkostenhilfe (PKH).
Das FG wies den Antrag mit der Begründung ab, die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Antragstellerin habe C nicht i.S. von § 63 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in ihren Haushalt aufgenommen. Dieses Merkmal erfordere, daß der Berechtigte die wesentlichen Kosten des Haushalts trage. Nach der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 18. Juni 1997 habe die Antragstellerin lediglich Kindergeld von 740 DM bezogen, während ihr Ehemann 2 000 DM netto erhalten habe. Die Antragstellerin sei nicht Kindergeldberechtigte gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Zudem könne sie die abschätzbaren Gerichts- und Anwaltskosten von ca. 1 600 DM aus ihrem Vermögen tragen (§ 115 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). Sie sei Eigentümerin eines PKW, bei dessen Veräußerung aus dem Erlös abzüglich der Ablösung des Anschaffungskredits ausreichend Mittel zur Zahlung der Gerichts- und Anwaltskosten zur Verfügung stünden.
Mit der gegen die Ablehnung der PKH erhobenen Beschwerde bringt die Antragstellerin vor, das FG habe die Bestimmung des § 63 EStG verkannt. Unter Haushaltsaufnahme sei das örtlich gebundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung zu verstehen. Das Kind müsse in dem Haushalt seine persönliche Versorgung und Betreuung finden und sich dort durchgängig aufhalten. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Im übrigen sei die Antragstellerin für den gemeinsamen Haushalt gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG als Kindergeldberechtigte bestimmt. Der PKW stehe wirtschaftlich nicht in ihrem Vermögen, da der Anschaffungskredit noch nicht annähernd beglichen sei und ein Kaufpreis in Höhe des Restkreditbetrages nicht zu erzielen sei. Außerdem werde das Fahrzeug für die Versorgung des Haushalts und zur Erzielung der beruflichen Einkünfte des Ehemannes benötigt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des ablehnenden Beschlusses des FG ihr PKH ohne Ratenzahlungsanordnung zu gewähren.
Der Beklagte tritt der Beschwerde entgegen.
Die Beschwerde ist begründet.
1. Das FG hat die hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu Unrecht verneint (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 114 ZPO).
Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG besteht Anspruch auf Kindergeld auch für die Kinder des Ehegatten (Stiefkinder), die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat. Mit der Haushaltsaufnahme wird bei diesen Kindern die persönliche Betreuung indiziert, die eine Gewährung von Kindergeld rechtfertigt bzw. erfordert (Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 63 Rdnr. B 25; Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Kommentar, § 2 Rz. 53). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 2 des bisherigen Bundeskindergeldgesetzes, dem § 63 EStG nachgebildet worden ist, bedeutet Haushaltsaufnahme die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art (vgl. Seewald/Felix, a.a.O., Rdnr. B 26, m.w.N.). Ob die Aufnahme eines Stiefkindes in den Haushalt darüber hinaus voraussetzt, wie das FG meint, daß der Kindergeldberechtigte die wesentlichen Kosten des Haushalts trägt (vgl. Schmidt/ Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 63 Rz. 9), erscheint zumindest zweifelhaft. Der Wortlaut des § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfordert zwar, daß es sich um den Haushalt des Stiefelternteils handelt. Ein Stiefkind ist jedoch auch dann zu berücksichtigen, wenn es in den gemeinsamen Haushalt des Berechtigten und seines Ehegatten, des leiblichen Elternteils, aufgenommen ist. Bei einem gemeinsamen Haushalt wie im Streitfall ist es deshalb für das Tatbestandsmerkmal der Aufnahme eines Stiefkindes in den Haushalt jedenfalls fraglich, ob es auf die wesentliche Kostentragung durch den Kindergeldberechtigten ankommt, zumal es ohne Bedeutung ist, ob und in welchem Umfang der Berechtigte einen tatsächlichen Beitrag zum Unterhalt des Kindes leistet (Seewald/Felix, a.a.O., Rdrn. B 48). Ist aber --ohne abschließende Prüfung-- der Ausgang des Klageverfahrens offen, sind die Erfolgsaussichten der Klage als hinreichend i.S. des § 114 ZPO anzusehen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. September 1992 VII B 62/92, BFH/NV 1994, 149; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 142 FGO Tz. 10).
2. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen (vgl. BFH-Beschluß vom 8. August 1995 VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105), damit dieses Feststellungen darüber trifft, ob der Antragstellerin PKH auch nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen --ggf. gegen Ratenzahlungen-- zu gewähren ist. Nach dem vorgelegten Darlehensvertrag ist unklar, ob der PKW zur Sicherung des Anschaffungskredits übereignet ist. Ebenso ist zu prüfen, ob das Fahrzeug im Hinblick auf die Kosten eines möglicherweise einzuholenden Vaterschaftsgutachtens zum sog. Schonvermögen gehört. Darüber hinaus weisen die von der Antragstellerin eingereichten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse inhaltliche Unterschiede auf.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.