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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: VI B 298/01
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 | |
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2 |
Gründe:
1. Die ausschließlich auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg.
Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des Finanzgerichts (FG) gegen den in Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts geregelten Ablauf des Verfahrens. Bei der Prüfung, ob und wodurch das FG das Verfahren vorschriftswidrig durchgeführt hat, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus der materiell-rechtlichen Sicht der Vorinstanz zu beurteilen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Revisionsgericht diese Ansicht teilt oder nicht (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 79, m.w.N.). Dass das FG bei materiell-rechtlich richtiger Beurteilung der Streitsache hätte anders verfahren müssen, führt nicht zu einem Verfahrensfehler, sondern zu einem materiell-rechtlichen Fehler und kann deshalb eine Verfahrensrüge nicht schlüssig begründen (vgl. auch Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 120 FGO Rz. 188 sowie § 115 FGO Rz. 148, m.w.N.). Ob das FG, nachdem es bereits eine Beweisaufnahme durchgeführt hat, eine --weitere-- Beweiserhebung hätte durchführen müssen, richtet sich gleichfalls nach der rechtlichen Beurteilung, die die Vorinstanz ihrem Urteil zugrunde gelegt hat (vgl. Bundesgerichtshof, --BGH-- Urteil vom 28. Oktober 1999 IX ZR 341/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2000, 142).
2. Es kann dahinstehen, ob die Rüge des Klägers, das FG habe seine Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, ordnungsgemäß erhoben worden ist; dies gilt auch für die Frage, ob --wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) meint-- der Kläger sein Rügerecht verloren hat (hierzu u.a. BFH-Beschlüsse vom 5. September 2001 I B 178/00, BFH/NV 2002, 204; vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582; Urteil vom 25. März 1999 V R 29/97, BFH/NV 1999, 1388, 1389; vgl. auch BFH-Urteil vom 22. Januar 1997 I R 101/95, BFHE 182, 269, BStBl II 1997, 464 mit Anmerkung Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1998, 142). Ein Verstoß des FG gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung liegt jedenfalls nicht vor.
Im Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid war zwischen den Beteiligten streitig, in welcher Höhe der Kläger seinem Arbeitnehmer, dem Zeugen T, Lohn ausbezahlt hatte. Ausweislich des Beweisbeschlusses vom 9. August 2001 hat das FG den Zeugen T in der mündlichen Verhandlung (nur) zu dieser Frage vernommen. Im Einklang mit den Darlegungen des FA, z.B. in der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2001, gelangte auch das FG zu der Überzeugung, der Kläger habe dem Zeugen T aufgrund einer Nettolohnvereinbarung einen monatlichen Nettolohn von 2 800 DM ausgezahlt. Von dieser materiell-rechtlichen Sicht hat der Senat --wie oben dargelegt-- auszugehen, auch wenn gegen das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung rechtliche Bedenken bestehen mögen.
In der mündlichen Verhandlung --unmittelbar nach der Vernehmung des Zeugen T-- hat der Kläger den zusätzlichen Beweisantrag gestellt, seinen ehemaligen Steuerberater als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, ob dem Zeugen T Blanko-Abrechnungen zur Unterschrift vorgelegt wurden. Diesen Antrag hat die Vorinstanz erkennbar (nur) dahin gehend aufgefasst, dass eine --weitere-- Beweisaufnahme zur strittigen Höhe des ausgezahlten Lohnes durchzuführen sei. Dies ergibt sich eindeutig aus den Entscheidungsgründen des finanzgerichtlichen Urteils. Denn dort wird (sinngemäß) ausgeführt, es sei für die Entscheidung (gemeint zur Höhe des ausgezahlten Arbeitslohns) unerheblich, ob der Zeuge T die ausgefüllten oder nicht ausgefüllten Lohnabrechnungen unterschrieben habe. Ausgehend von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG war eine --weitere-- Beweiserhebung (zur Art und Weise der Gehaltsauszahlung) nicht geboten.
3. Soweit der Kläger rügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO), hat die Beschwerde gleichfalls keinen Erfolg. Es stellt keinen Verfahrensverstoß dar, dass die Vorentscheidung auf die Frage des Auswahlermessens nicht eingegangen ist.
Unter dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der gesamte Prozessstoff zu verstehen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 96 FGO Tz. 9). Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das Gericht, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 2000 III R 49/98, BFH/NV 2001, 911; vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, 675, jeweils m.w.N.). Der Umfang des Entscheidungsprogramms des Gerichts wird indessen wesentlich durch die schriftlichen und mündlichen Behauptungen, Einlassungen und Stellungnahmen der Beteiligten bestimmt (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442). Demnach kann einem FG ein Verfahrensfehler nur dann zur Last gelegt werden, wenn es u.a. Tatsachen außer Acht lässt, die sich ihm nach Lage der Akten oder aufgrund des Vorbringens der Beteiligten aufdrängen mussten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 8. Februar 1995 II B 56/94, BFH/NV 1995, 900). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie in das Verfahren eingeführt worden sind; denn das FG kann davon ausgehen, dass die Beteiligten selbst auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1998 V B 101/97, BFH/NV 1998, 982; vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; Urteil vom 6. Februar 1991 II R 87/88, BFHE 163, 471, BStBl II 1991, 459, 461; zur Mitverantwortung der Beteiligten für das Ermittlungs- und Entscheidungsprogramm des FG: vgl. auch Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz. 8 und § 76 Rz. 17 und 28; Tipke/Kruse, a.a.O., § 96 FGO Tz. 9 ff. und § 76 FGO Tz. 41 und 76; Martin, Betriebs-Berater 1986, 1021 ff.).
Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, dass die Art und Weise einer Lohnzahlung Rückschlüsse darauf zulassen kann, ob ein Arbeitnehmer positiv weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Nach den oben angeführten Grundsätzen wäre es indes vorrangig Sache des im Übrigen fachkundig vertretenen Klägers gewesen, zur Frage des Auswahlermessens (§ 42d Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG) schon von sich aus das Entsprechende vorzutragen und dem FG durch geeigneten Tatsachenvortrag Anlass zu weiteren Ermittlungen zu geben. Dies ist indes nicht geschehen. Eines entsprechenden Anstoßes durch den Kläger bedurfte es auch deshalb, weil --entgegen der Behauptung des Klägers-- die Frage des Auswahlermessens vom FA in der Einspruchsentscheidung des FA ausdrücklich behandelt worden ist. Überdies stellt bei einer Nettolohnvereinbarung die Inanspruchnahme des Arbeitgebers die Regel dar; der Arbeitnehmer ist nur ausnahmsweise in Anspruch zu nehmen (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG; Schmidt/ Drenseck, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 42d Rz. 19 f.).
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Ende der Entscheidung
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