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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.01.2001
Aktenzeichen: VI B 310/00
Rechtsgebiete: SGB VIII, FGO, ZPO, EStG


Vorschriften:

SGB VIII § 41
FGO § 142 Abs. 1
ZPO § 114
EStG § 64 Abs. 3
EStG § 67 Satz 2
EStG § 74 Abs. 1 Satz 1
EStG § 64 Abs. 3 Satz 3 2. Alt.
EStG § 64 Abs. 2 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die Tochter der im Jahre 1985 geschiedenen S, wohnhaft in B. Diese hat neben der im Jahre 1980 geborenen Antragstellerin noch drei weitere Kinder (X, geb. 1982; Y, geb. 1983; Z, geb. 1984). Die Kinder wurden etwa ab 1990 bei Pflegeeltern und in Erziehungsheimen untergebracht.

Die Antragstellerin lebte zunächst in einem Heim, anschließend im Jahre 1998 bei einer Pflegeperson. Diese bezog bis einschließlich Dezember 1998 Kindergeld für die Antragstellerin. Nachdem diese Ende Dezember 1998 in eine eigene Wohnung umzog, wurde die Festsetzung des Kindergeldes aufgehoben.

Vom 1. September 1998 bis 31. August 1999 leistete die Antragstellerin zunächst ein freiwilliges soziales Jahr ab; danach begann sie eine dreijährige Ausbildung zur staatlich anerkannten Heilerziehungspflegerin; hierzu erhält sie Bezüge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

Bereits am 25. Januar 1999 hatte die Antragstellerin beim Arbeitsamt -Familienkasse- (Familienkasse)-- einen Antrag auf Kindergeld gestellt, verbunden mit einem Antrag auf Auszahlung an sich selbst. Zur Begründung führte sie u.a. an, weder ihr Vater noch ihre Mutter leisteten Unterhalt; sie sorge für sich selbst. Sie habe auch keinen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter. Mit Bescheid vom 18. Februar 1999 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes ab. Zur Begründung führte die Familienkasse an, da keiner der leiblichen Elternteile Barunterhaltsleistungen für die Antragstellerin erbringe, sei vom Vormundschaftsgericht auf Antrag eine Berechtigtenbestimmung zu erwirken. Dies sei bisher nicht geschehen. Es werde empfohlen, einen entsprechenden Antrag beim Vormundschaftsgericht und dann im berechtigten Interesse erneut einen Antrag auf Zahlung von Kindergeld bzw. auf Abzweigung zu stellen.

Mit Schreiben vom 25. Mai 1999 stellte die Antragstellerin daraufhin beim Vormundschaftsgericht A einen Antrag auf Bestimmung des Berechtigten. Zur Begründung führte sie u.a. an, sie erhalte vom Jugendamt A noch Hilfe nach § 41 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII). In diesem Zusammenhang sei sie verpflichtet, den Kindergeldanspruch geltend zu machen. Zu den leiblichen Eltern bestehe kein Kontakt; diese seien auch nicht bereit, einen Kindergeldanspruch geltend zu machen und diesen an sie --die Antragstellerin-- abzutreten.

Diesen Antrag lehnte das Vormundschaftsgericht A mit Schreiben vom 17. Juni 1999 formlos ab. Die Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts setze eine Anspruchskonkurrenz mehrerer gleichrangiger Berechtigter voraus, die untereinander keine Bestimmung (über die Berechtigung) getroffen hätten. Die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien im Streitfall nicht erfüllt; die Familienkasse sei selbst entscheidungsbefugt.

Im Übrigen gingen insbesondere in der Folgezeit u.a. weitere Anträge und Erklärungen bei der Familienkasse ein:

1. am 9. Juni 1999 ein Kindergeldantrag der Antragstellerin vom 3. Juni 1999, in dem sie selbst als Kindergeldberechtigte aufgeführt ist,

2. am 26. November 1999 --über die Stadtverwaltung A-- ein Antrag der Antragstellerin vom 11. November 1999 auf Auszahlung des Kindergeldes; zugleich machte die Stadtverwaltung A einen Erstattungsanspruch (§ 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch --SGB X-- i.V.m. § 74 Abs. 5, jetzt Abs. 3 EStG) geltend,

3. am 22. Dezember 1999 ein --nunmehr doch von der Mutter der Antragstellerin unterzeichneter-- Antrag auf Kindergeld vom 14. Dezember 1999, verbunden mit dem Antrag der Antragstellerin auf Auszahlung an sich selbst im berechtigten Interesse und letztendlich

4. am 3. Januar 2000 eine Erklärung der Antragstellerin über ihre Einkünfte und Bezüge (nebst Unterlagen).

Mit Bescheid vom 21. Februar 2000, der an die Mutter der Antragstellerin gerichtet war, lehnte die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld mit der Begründung ab, die Antragstellerin lebe in keinem Haushalt eines Elternteils, beide Elternteile leisteten keinen Barunterhalt und eine Berechtigtenbestimmung durch das Vormundschaftsgericht liege nicht vor (§ 64 Abs. 3 EStG). Die Mutter legte gegen diesen Bescheid keinen Einspruch ein.

Zugleich lehnte die Familienkasse den oben angeführten Abzweigungsantrag der Antragstellerin vom 11. November 1999 gleichfalls mit der Begründung ab, es liege keine Berechtigtenbestimmung durch das Vormundschaftsgericht vor.

Gegen die Ablehnung der Abzweigung legte die Antragstellerin Einspruch ein. Zugleich wies sie darauf hin, dass das Jugendamt A beim Vormundschaftsgericht einen Antrag auf Berechtigtenbestimmung gestellt habe; ihre Mutter sei als Kindergeldberechtigte vorgeschlagen worden.

Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2000 wies die Familienkasse den Einspruch der Antragstellerin zurück. Grundlage für eine eventuelle Abzweigung sei die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Mutter der Antragstellerin. Die Mutter habe den ablehnenden Bescheid vom 21. Februar 2000 jedoch nicht angefochten. Da ein Kindergeldanspruch demnach nicht bestehe, komme auch eine Abzweigung nicht in Betracht.

Hiergegen reichte die Antragstellerin Klage ein. Ferner stellte sie einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des nunmehr bestellten Rechtsanwalts. Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2000 stellte dieser den Antrag, den Bescheid vom 21. Februar 2000 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2000 aufzuheben sowie dem Antrag der Antragstellerin auf Abzweigung des (anteiligen) Kindergeldes zu entsprechen und die Familienkasse zu verpflichten, ab Februar 1999 Kindergeld zu zahlen. Trotz Aufforderung durch das Finanzgericht (FG) wurde die Klage nicht näher begründet.

Mit Beschluss vom 21. September 2000 lehnte daraufhin die Vorinstanz den PKH-Antrag ab. Der Antrag könne keinen Erfolg haben, da die Antragstellerin keinerlei Begründung für ihr Begehren vorgetragen habe. Aus der Klageschrift sei nicht ersichtlich, dass die Entscheidung der Familienkasse falsch sei. Der Senat sehe sich nicht in der Lage, den --nicht einmal summarisch und überschlägig dargelegten-- Rechtsstandpunkt der Antragstellerin zu überprüfen, geschweige denn, zumindest für vertretbar zu halten.

Gegen den Beschluss der Vorinstanz legte die Antragstellerin Beschwerde ein. Eine Begründung durch den Prozessvertreter der Antragstellerin wurde nicht abgegeben.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren.

Die Beschwerde ist begründet.

1. Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für seinen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Hinreichende Erfolgsaussichten können in diesem Sinne zu bejahen sein, wenn es bei der Hauptsache um schwierige Fragen geht, über die im PKH-Verfahren eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist und wenn die Einwände des Klägers nicht von vornherein aussichtslos erscheinen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 142 Anm. 7). Ein Rechtsschutzbegehren hat in aller Regel auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung schwieriger, bislang ungeklärter Rechtsfragen abhängt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 13. März 1990 2 BvR 94, 802, 887, 997, 1094, 1158, 1247, 1493, 1513/88, BVerfGE 81, 347, 357 f.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH durch das FG ist trotz fehlender Beschwerdebegründung durch die Antragstellerin zulässig. Eine Beschwerde bedarf zu ihrer Zulässigkeit keiner besonderen Begründung (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Mai 1996 V B 32/95, BFH/NV 1996, 941; Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Anm. 27, m.w.N.).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist der PKH-Antrag auch nicht schon deshalb abzulehnen, weil die Antragstellerin ihre Klage (und den PKH-Antrag) nicht näher begründet hat. Aus dem Antrag im Klageschriftsatz vom 7. Juni 2000 ergibt sich eindeutig, dass sich die Antragstellerin gegen die von der Familienkasse abgelehnte Abzweigung des Kindergeldes wendet. Die Vorinstanz hat übersehen, dass zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens bei einem unzweideutigen Klageantrag weitere Angaben zum Sachverhalt jedenfalls dann nicht erforderlich sind, wenn der Sachverhalt, um den gestritten wird, in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung erkennbar ist (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 24. Mai 2000 VI R 183/98, BFH/NV 2000, 1480). So ist es auch im Streitfall.

Die Familienkasse hat die Auffassung vertreten, es stehe --da die Mutter keinen Einspruch gegen die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung eingelegt habe-- bestandskräftig fest, dass ein Kindergeldanspruch nicht bestehe mit der Folge, dass auch eine Abzweigung (§ 74 Abs. 1 EStG) ausscheide. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird diese Rechtsauffassung den besonderen Umständen des Streitfalles nicht hinreichend gerecht. Aus den Gesamtumständen des Streitfalles dürfte zu folgern sein, dass die Antragstellerin --wegen der bestehenden familiären Schwierigkeiten-- nicht nur einen Antrag auf Abzweigung, sondern auch einen Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes gestellt hat. Hierzu war die Antragstellerin befugt. Zwar trifft es zu, dass die Antragstellerin selbst im Hinblick auf das Kindergeld nicht anspruchsberechtigt ist. Jedoch räumt § 67 Satz 2 EStG neben den Anspruchsberechtigten auch solchen Personen ein Antragsrecht ein, die ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes haben. Ein solches Interesse haben Personen, die die Auszahlung von Kindergeld an sich an Stelle der Auszahlung an einen Berechtigten verlangen können. Das kann gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG auch ein Kind sein, wenn der Kindergeldberechtigte --wie dies im Streitfall offensichtlich der Fall ist-- ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Wie auch sonst im Steuerrecht ist bei der Steuervergütung Kindergeld zwischen dem Festsetzungs- und dem Erhebungs- bzw. Auszahlungsverfahren zu unterscheiden, mit der Besonderheit, dass die Festsetzung des --fremden-- Steuer(vergütungs)anspruchs gemäß § 67 Satz 2 EStG auch von einem Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann. Durch diese Vorschrift erlangt dieser im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung (vgl. § 78 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--). Im Übrigen können in solchen Fällen Auszahlungsberechtigte durch im Festsetzungsverfahren ergangene ablehnende Bescheide selbst betroffen sein.

Zur Förderung des gesamten Verfahrens weist der Senat auf Folgendes hin. Im Gegensatz zum Vormundschaftsgericht B, das im Beschluss vom 10. März 1997 unter wohl gleichen Voraussetzungen die Mutter als Kindergeldberechtigte für zwei Geschwister der Antragstellerin (Y und Z) bestimmt hat, hat das Vormundschaftsgericht A es abgelehnt, einen Berechtigten für das Kindergeld zu bestimmen. Die Voraussetzungen der Vorschriften des § 64 Abs. 3 Satz 3 2. Alt., Satz 4 EStG i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 EStG sind augenscheinlich gegeben. Sollte die Frage der Bestimmung des Kindergeldberechtigten streitig bleiben, könnte die Vorinstanz auch in Betracht ziehen, unter Darlegung seiner rechtlichen Auffassung das Verfahren (über die Festsetzung des Kindergeldes) durch Beschluss förmlich auszusetzen (§ 74 FGO).

2. Aufgrund der auf dem vorgeschriebenen Vordruck (§ 117 Abs. 2 ZPO) gemachten Angaben und der beigefügten Unterlagen ist die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

3. Dieser Beschluss ergeht ohne Kostenentscheidung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Anm. 29).



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