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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.08.2008
Aktenzeichen: VI B 68/08
Rechtsgebiete: FGO, GVG, ZPO


Vorschriften:

FGO § 38
FGO § 38 Abs. 1
FGO § 38 Abs. 2
FGO § 39 Abs. 1 Nr. 5
FGO § 39 Abs. 2 Satz 1
FGO § 155
GVG § 17a Abs. 2 Satz 3
ZPO § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in X, die im Bereich Projektentwicklung und kommerzielle Dienstleistungen tätig ist. In der Zeit von September 2004 bis August 2005 war der Kläger nach eigenen Angaben als "Senior Manager" tätig. Die Beklagte überwies dem Kläger in dieser Zeit monatlich 5 000 €, ohne Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Mit seiner vor dem Arbeitsgericht (ArbG) erhobenen Klage vertritt der Kläger die Auffassung, dass er als Arbeitnehmer der Beklagten tätig geworden sei. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, neben einem an den Kläger zu zahlenden monatlichen Nettobetrag in Höhe von 5 000 € monatlich auch noch Lohnsteuer in Höhe von 3 104,75 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 170,76 € an das Wohnsitzfinanzamt des Klägers, das Finanzamt Y, zu zahlen. Die Beklagte bestreitet den Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Kläger.

Mit Beschluss vom ... hat das ArbG den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und --nach entsprechender Berichtigung seines Beschlusses-- den Rechtsstreit an das Hessische Finanzgericht (FG) verwiesen. Die Beteiligten haben diesen Beschluss nicht angefochten.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das FG mit Beschluss vom 17. Juni 2008 4 K 3538/07 den Bundesfinanzhof (BFH) angerufen zwecks Entscheidung darüber, welches Finanzgericht im vorliegenden Rechtsstreit örtlich zuständig ist. Das FG hält den berichtigten Verweisungsbeschluss des ArbG zwar für inhaltlich falsch, weil nicht vorrangig über die Pflicht zur Abführung von Lohnsteuer gestritten werde, sondern um das Bestehen eines Arbeitverhältnisses und die sich daraus ergebenden Ansprüche. Das FG sieht sich jedoch durch den Beschluss des ArbG hinsichtlich des Rechtswegs gebunden (§ 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG--), weil die Verweisung nicht offensichtlich unhaltbar sei. Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) müsse jedoch das örtlich zuständige Finanzgericht durch den BFH bestimmt werden. Eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO sei nicht gegeben, weil es sich bei der Beklagten nicht um eine Finanzbehörde, sondern um eine juristische Person des Zivilrechts handele.

II. Das Gesuch um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ist zulässig, denn der Finanzrechtsweg ist zulässig, eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO jedoch nicht gegeben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Als örtlich zuständiges Gericht war das Finanzgericht zu bestimmen, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat.

1. Die Voraussetzungen für eine Anrufung des BFH nach § 39 Abs. 2 Satz 1 FGO durch das FG liegen vor.

a) Die Bestimmung eines örtlich zuständigen Finanzgerichts durch den BFH setzt voraus, dass der Finanzrechtsweg zulässig ist. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass es an den Verweisungsbeschluss des ArbG hinsichtlich des Rechtswegs gebunden ist. Denn auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, der sachlich nicht hätte ergehen dürfen, entfaltet Bindungswirkung hinsichtlich des Rechtswegs, wenn er nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 2004 VII B 341/03, BFHE 204, 413, BStBl II 2004, 458; vom 20. Dezember 2004 VI S 7/03, BFHE 209, 1, BStBl II 2005, 573). Zwar betrifft das Klagebegehren des Klägers im Kern eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, wenn sich dieser auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses beruft und über das Bestehen einer Nettolohnvereinbarung und die daraus folgenden Ansprüche streitet (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 29. Juni 1993 VI B 108/92, BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760; BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 VI R 57/04, BStBl II 2008, 434). Schlechthin als nicht mehr nachvollziehbar erscheint der arbeitsgerichtliche Verweisungsbeschluss jedoch nicht, nachdem bei auch lohnsteuerliche Fragen berührenden Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Zulässigkeit des Rechtswegs von Arbeits- und Finanzgerichten nicht durchweg einheitlich beurteilt wird.

b) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO wird das zuständige Finanzgericht durch den BFH bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO nicht gegeben ist. § 38 FGO geht für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit davon aus, dass es sich bei dem Beklagten um eine (Finanz-)Behörde handelt; eine juristische Person des privaten Rechts als Beklagten kennt die Vorschrift nicht. Deshalb lässt sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 38 FGO bestimmen, wenn der Beklagte die Rechtsform der Aktiengesellschaft hat. Insoweit entsteht jedenfalls im Anschluss an eine hinsichtlich des Rechtswegs bindende Verweisung eine Lücke, die die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO eröffnet (zweifelnd an der Lückenhaftigkeit des § 38 FGO hingegen Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 39 FGO Rz 7; v. Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 39 Rz 16; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 39 FGO Rz 36).

2. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist im Streitfall maßgebend, in welchem Finanzgerichtsbezirk die Beklagte ihren Sitz hat. Diese Bestimmung folgt der Grundregel in § 38 Abs. 1 FGO, die auf den Sitz der beklagten Behörde abstellt und die auf Fallkonstellationen wie im Streitfall entsprechende Anwendung finden kann. Sie wird bestätigt durch die Regelung des § 17 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), wonach der allgemeine Gerichtsstand (§ 12 ZPO) von Gesellschaften, die als solche verklagt werden können, durch ihren Sitz bestimmt wird und als Sitz, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort gilt, wo die Verwaltung geführt wird. Dabei kann offen bleiben, ob die Vorschrift des § 17 ZPO über § 155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechende Anwendung finden kann (verneinend Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 39 Rz 8); jedenfalls stützt auch sie die grundsätzliche Anknüpfung an den Sitz des Beklagten, selbst wenn es sich bei dem Beklagten im finanzgerichtlichen Verfahren nicht um eine Behörde, sondern um eine juristische Person des privaten Rechts handelt. Demgegenüber sprechen im Streitfall keinerlei Gesichtspunkte dafür, in entsprechender Anwendung des § 38 Abs. 2 FGO --und damit in Abweichung von der benannten Grundregel-- der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit den Wohnsitz des Klägers zugrunde zu legen. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die Anknüpfung an den Sitz der Finanzbehörde, an die die vom Kläger begehrten Zahlungen von der Beklagten geleistet werden sollen, einem der Beteiligten für das finanzgerichtliche Verfahren irgendwelche Vor- oder Nachteile brächte. Auch sonst ist kein Zusammenhang zwischen dem Sitz eines am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten und der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit erkennbar. Dass das nunmehr als örtlich zuständig bestimmte FG bereits mit der Sache befasst gewesen ist, ist für die Zuständigkeitsbestimmung nicht entscheidend.

3. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 155 FGO i.V.m. § 37 Abs. 2 ZPO).

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