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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.01.2001
Aktenzeichen: VI R 102/98
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 39c Abs. 1 Satz 1
EStG § 39d Abs. 3 Satz 4
EStG § 39d Abs. 1 Satz 3
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1
BUNDESFINANZHOF

Führt der Arbeitgeber entgegen § 39c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG den Lohnsteuerabzug trotz Nichtvorliegen der Bescheinigung gemäß § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG nicht nach der Steuerklasse VI, sondern nach der Steuerklasse I durch, kann der Arbeitgeber auch nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG gilt, grundsätzlich nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG in Haftung genommen werden.

EStG § 39c Abs. 1 Satz 1, § 39d Abs. 3 Satz 4, § 39d Abs. 1 Satz 3, § 42d Abs. 1 Nr. 1

Urteil vom 12. Januar 2001 - VI R 102/98 -

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1999, 290)


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft nach polnischem Recht. Sie unterhält als in Polen ansässiges Exportunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) eine Betriebsstätte. Diese erfüllt die Voraussetzungen eines inländischen Arbeitgebers nach § 38 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Klägerin führt Bauleistungen und Montagen im Rahmen der zwischen der Bundesrepublik und Polen abgeschlossenen Regierungsvereinbarung über die Entsendung von polnischen Arbeitskräften zum Zwecke der Ausführung von Werkverträgen (Kontingentverfahren) aus. Bei den in die Bundesrepublik entsandten Arbeitskräften handelt es sich um polnische Staatsbürger. Diese unterliegen je nach Aufenthaltsdauer der beschränkten oder der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Das Arbeitsamt D erteilt den einzelnen im Rahmen der Regierungsvereinbarung in die Bundesrepublik entsandten Arbeitnehmern jeweils eine Arbeitserlaubnis, die nur für die betreffende Baustelle des Unternehmens gilt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat im Jahr 1997 bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum von 1993 bis 1996 durchgeführt. Nach den Prüfungsfeststellungen haben verschiedene beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer der Klägerin es unterlassen, beim Betriebsstätten-FA die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG zu beantragen. Auch die Klägerin hat einen entsprechenden Antrag nicht gestellt. Trotz der nicht vorliegenden Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG hat die Klägerin den Lohnsteuerabzug bei den betreffenden Arbeitnehmern nach der Steuerklasse I vorgenommen. Dagegen hat das FA die Lohnsteuer für diese beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer nach der Steuerklasse VI berechnet und am 9. September 1997 einen Teil-Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen die Klägerin erlassen. Dieser wies eine Haftung der Klägerin für Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 12 620,47 DM aus. Die Differenz zwischen der Lohnsteuer bei Anwendung der Steuerklasse I und der bei Anwendung der Steuerklasse VI belief sich in Bezug auf die betreffenden Arbeitnehmer auf 8 235,47 DM.

Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das FA führte im Einspruchsbescheid u.a. aus, ein Rückgriff auf die fraglichen Arbeitnehmer, die die Bundesrepublik bereits verlassen hätten, sei nicht mehr möglich. Die Klägerin sei deshalb als Haftungsschuldnerin in Anspruch zu nehmen. Mit ihrer Klage machte die Klägerin u.a. geltend, die fraglichen beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer hätten zwar die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG nicht vorgelegt, ihnen könne jedoch keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Den Arbeitnehmern stehe nach dem anzuwendenden polnischen Arbeitsrecht ein Anspruch auf eine Entlohnung nach dem Nettoprinzip zu, d.h. auf eine Entlohnung, die unabhängig von dem Besteuerungsverfahren errechnet werde. Im Übrigen sei eine Beschäftigung der fraglichen Arbeitnehmer bei mehreren Arbeitgebern von vornherein ausgeschlossen. Der Einsatzort der jeweiligen Arbeitnehmer sei örtlich festgelegt, so dass ein Arbeitseinsatz an einem anderen Ort rechtlich unzulässig und praktisch ausgeschlossen sei. Die Anwendung der Steuerklasse VI entspreche deshalb im Streitfall nicht dem Sinn und Zweck der §§ 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. 39c Abs. 1 EStG. Bei der Einbehaltung der Lohnsteuer nach der Steuerklasse I könne es zu keiner materiell unzutreffenden Besteuerung gekommen sein.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 290 veröffentlichten Gründen stattgegeben. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die fraglichen beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer hätten es im Zeitraum von 1993 bis 1996 versäumt, Bescheinigungen nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG zu beantragen und der Klägerin vorzulegen. Aus diesem Grunde sei die Klägerin verpflichtet gewesen, beim Lohnsteuerabzug die Steuerklasse VI zugrunde zu legen. Wegen dieses Fehlers bei der Durchführung der laufenden Lohnversteuerung könne die Klägerin jedoch nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG jeweils gelte, nicht mehr als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der §§ 39d Abs. 3 Satz 4, 39c Abs. 1 Satz 1 EStG. Diese Vorschriften enthielten lediglich ein Druckmittel zur Erreichung einer ordnungsgemäßen laufenden Besteuerung mittels Vorlage der Lohnsteuerkarte bzw. der Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG.

Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision, mit der es eine Verletzung des § 39d Abs. 1 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG rügt.

Zur Begründung führt das FA im Wesentlichen aus: Entgegen der Auffassung des FG sei die Anwendung des § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nicht auf die Ausnahmefälle beschränkt, in denen eine Lohnsteuer-Außenprüfung noch im Laufe des jeweiligen Kalenderjahres erfolge, für das die Lohnsteuerkarte gelte. Nach Ablauf des jeweiligen Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums stehe zudem die Lohnsteueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 der Abgabenordnung --AO 1977--). Die Klägerin habe für diejenigen beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, welche die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG nicht vorgelegt hätten, den Lohnsteuerabzug nicht nach der Steuerklasse VI durchgeführt. Damit seien die Voraussetzungen für eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen nach der AO 1977 gegeben (§§ 39d Abs. 3 Satz 4, 39c Abs. 1 EStG i.V.m. § 164 Abs. 2 AO 1977).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus: Die Anwendung des § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG sei grundsätzlich nur auf die Durchführung des Lohnsteuerabzuges im jeweiligen laufenden Kalenderjahr beschränkt. Während des laufenden Kalenderjahres könne sich lediglich vorübergehend eine höhere Lohnsteuer unter Anwendung der Steuerklasse VI ergeben (Hinweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Juli 1985 1 StR 284/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1986, S. 600). Nach Ablauf des Kalenderjahres erfolge in der Regel im Rahmen der Antragsveranlagung zur Einkommensteuer ein entsprechender Ausgleich durch Anrechnung der Lohnsteuer zugunsten des Arbeitnehmers. § 39c Abs. 1 EStG komme lediglich die Funktion eines Druckmittels zu, welches in Fällen der Nettoentlohnung nicht anders beurteilt werden könne. Ansonsten würde die Differenz zwischen der günstigeren Steuerklasse I und der ungünstigeren Steuerklasse VI beim Arbeitgeber als Definitivbelastung verbleiben. Ein entsprechender Ausgleich im Rahmen der --hier vorliegenden-- Nettoentlohnung sei nicht möglich. § 39c Abs. 1 Satz 3 EStG setze zudem ein schuldhaftes Versäumnis der Arbeitnehmer voraus. Im Streitfall sei aufgrund der besonderen Umstände bei der Entsendung von Werkvertrags-Arbeitnehmern im Kontingentverfahren ein solches schuldhaftes Versäumnis von vornherein ausgeschlossen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Durch die zweite Verordnung vom 4. Januar 1999 zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen FÄ vom 18. Dezember 1996 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, I 1999, 7) ist die Zuständigkeit für die Besteuerung von im Ausland ansässigen Werkvertragsunternehmen ab 1. Januar 1999 neu geregelt worden. Danach ist für die Besteuerung von im Ausland ansässigen Werkvertragsunternehmen und der entsprechend tätigen, im Ausland ansässigen Arbeitnehmer, einschließlich der Verwaltung der Lohnsteuer, nunmehr das FA K für alle hessischen FÄ zuständig. Dieser während des Revisionsverfahrens eingetretene Zuständigkeitswechsel führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 1979 VII R 115/76, BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714).

2. Im Streitfall ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz eine Haftung der Klägerin nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Haftungsbescheid, der u.a. den unterbliebenen Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse VI während der Jahre 1993 bis 1996 zum Gegenstand hat, erst im Jahre 1997 ergangen ist.

Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer in die Steuerklasse I eingereiht (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, die nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn beziehen, gilt jedoch die Steuerklasse VI für die Einbehaltung der Lohnsteuer vom Arbeitslohn aus dem zweiten und jedem weiteren Dienstverhältnis (§ 39d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 38b Satz 2 Nr. 6 EStG). Das Betriebsstätten-FA (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erteilt auf Antrag des beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers über die maßgebende Steuerklasse eine Bescheinigung. Für diese sind die Vorschriften über die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass der Arbeitnehmer eine Änderung der Bescheinigung bis zum Ablauf des Kalenderjahres, für das sie gilt, beim FA beantragen kann (§ 39d Abs. 1 Satz 3 EStG). Der Arbeitnehmer hat diese Bescheinigung seinem Arbeitgeber vor Beginn des Kalenderjahres oder beim Eintritt in das Dienstverhältnis vorzulegen (§ 39d Abs. 3 Satz 1 EStG). Solange der beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer dem Arbeitgeber diese Bescheinigung schuldhaft nicht vorlegt, hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der Steuerklasse VI zu ermitteln (§ 39c Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG). Die Verschuldensprüfung ist Aufgabe des Arbeitgebers; aus § 39c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG folgt, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich des fehlenden Verschuldens beweispflichtig ist (Trzaskalik in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 39c Rdnr. B. 1.).

3. Der Zweck der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG liegt in der Sicherung der ordnungsgemäßen Besteuerung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 17. Februar 1977 1 BvR 33/76, BVerfGE 44, 103, 104; BFH-Urteil vom 9. Oktober 1992 VI R 47/91, BFHE 169, 208, BStBl II 1993, 169). Die Sicherung der ordnungsgemäßen Besteuerung gebietet eine Anwendung des § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG auch nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Lohnsteuerkarte gilt.

a) Die Einbehaltung der Lohnsteuer nach der Steuerklasse VI soll den Arbeitnehmer dazu veranlassen, die Lohnsteuerkarte bzw. die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG vorzulegen. Der Senat hat zur Auslegung des § 37 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV 1959) entschieden, dass das FA bei einer Nachberechnung der Lohnsteuer § 37 Abs. 1 LStDV 1959 nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Lohnsteuerkarte gilt, nicht mehr anwenden kann (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1963 VI 81/63 U, BFHE 78, 396, BStBl III 1964, 142). Ebenso hat der Senat zu § 37 Abs. 1 LStDV 1965 und 1968 bzw. § 39 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1965 und 1968 die Auffassung vertreten, die Anwendung der Steuerklasse VI wegen schuldhafter Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte dürfe nur während des laufenden Kalenderjahres erfolgen, für das die Lohnsteuerkarte gilt. Der Arbeitgeber könne nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres nicht im Wege der Haftung auf eine nach der Steuerklasse VI berechneten Steuer in Anspruch genommen werden (BFH-Urteil vom 15. November 1974 VI R 167/73, BFHE 114, 342, BStBl II 1975, 297).

b) Daran hält der Senat jedenfalls für den Zeitraum ab dem In-Kraft-Treten des Einkommensteuerreformgesetzes 1975 (EStRG 1975) nicht mehr fest. Das EStRG 1975 hat eine erhebliche Änderung der Rechtslage mit sich gebracht hat. Es hat die Haftung des Arbeitgebers in § 42d EStG neu geregelt. In § 42d Abs. 3 Satz 3 EStG ist die gegenüber dem vorhergehenden Rechtszustand sachlich neue Anordnung eingefügt worden, dass die Veranlagung des Arbeitnehmers zur Einkommensteuer die Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers nicht ausschließt (vgl. Gersch in: Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 42d Anm. 5). § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG wäre wenig wirkungsvoll, falls die Vorschrift nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Lohnsteuerkarte oder die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG gilt, nicht mehr angewendet werden dürfte.

Nach Ablauf dieses Zeitraums wäre die Vorschrift insbesondere in Bezug auf die Haftung des Arbeitgebers wirkungslos. Legt der beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG dem Arbeitgeber schuldhaft nicht vor und nimmt dieser entgegen § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 2 EStG den Lohnsteuerabzug nicht nach der Steuerklasse VI vor, könnten sich dauernde Steuerausfälle ergeben. Das betrifft die Fälle, in denen ein beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer nebeneinander Arbeitslohn aus zwei oder mehr Beschäftigungsverhältnissen bezieht und der Arbeitgeber den Arbeitslohn aus dem zweiten oder dem weiteren Beschäftigungsverhältnis nicht dem Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse VI unterwirft, obwohl die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG nicht vorliegt. Bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, deren Einkünfte dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, erfolgt grundsätzlich keine Veranlagung. Die Einkommensteuer gilt hier durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG).

Aber auch bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, bei denen entgegen § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG trotz Nichtvorliegen der Lohnsteuerkarte der Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I statt nach der Steuerklasse VI erfolgt, wären dauernde Steuerausfälle zu besorgen. Nur aufgrund der vorgelegten Lohnsteuerkarte kann der Arbeitgeber erkennen, nach welcher Steuerklasse der Lohnsteuerabzug vorzunehmen ist. Legt der Arbeitnehmer seine Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vor, muss dieser entsprechend § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG die Lohnsteuer nach der Steuerklasse VI einbehalten, da es sich dabei um den Arbeitslohn aus einem zweiten Beschäftigungsverhältnis handeln könnte (vgl. § 38b Satz 2 Nr. 6 EStG). Beachtet der Arbeitgeber seine Verpflichtung aus § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nicht, könnte bei einem Arbeitnehmer, der nebeneinander Arbeitslohn aus zwei Beschäftigungsverhältnissen bezieht und der seine Lohnsteuerkarte nur bei einem Arbeitgeber vorlegt, der Lohnsteuerabzug aus beiden Beschäftigungsverhältnissen nach der Steuerklasse I erfolgen. Dies könnte einen Steuerausfall zur Folge haben, insbesondere sofern nicht nachfolgend eine Veranlagung erfolgt.

4. Die Entscheidung des FG, die auf anderen Rechtsgrundsätzen beruht, ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif; sie war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FA hat im Streitfall gegen die Klägerin einen Teil-Lohnsteuer-Haftungsbescheid, nicht aber Änderungsbescheide nach § 164 Abs. 2 AO 1977 erlassen. Somit kann die Frage dahinstehen, ob das FA nach § 164 Abs. 2 AO 1977 die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehenden Lohnsteueranmeldungen der Klägerin hätte ändern können.

Das FG hat von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend keine Feststellungen zu den Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG als Haftende getroffen. Die diesbezüglichen Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

Ende der Entscheidung

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