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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: VI R 107/01
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Alternative 2
EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, wann einem Steuerpflichtigen ein anderer Arbeitsplatz i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Verfügung steht.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter der X-Universität in A Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seinen ersten Wohnsitz unterhielt er in B, wo er eine Wohnung hatte. An seinem Arbeitsort A verfügte er über ein Ein-Zimmer-Appartement, das er montags bis freitags bewohnte. Mit der Einkommensteuererklärung 1996 machte er unter anderem Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 2 098 DM als Werbungskosten geltend. Hierbei handelte es sich um einen Raum der Wohnung in B. Der Kläger trug hierzu vor, er könne an der Universität lediglich einen 12 qm großen Raum nutzen, den er sich mit mehreren Kollegen teilen müsse. Die notwendige Unterrichtsvorbereitung, die Korrektur von Klausuren und das Anfertigen von Lehrmaterialien erledige er in aller Regel an den Wochenenden in seinem Arbeitszimmer in B. Der Kläger legte hierzu eine Bescheinigung des Arbeitgebers vor, in der es heißt, er sei mit "umfangreichen Lehraufgaben" betraut gewesen und ihm habe für die Unterrichtsvorbereitung kein adäquater Raum mit eigenem Schreibtisch zur Verfügung gestanden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die geltend gemachten Aufwendungen nicht an. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Kosten des häuslichen Arbeitszimmers gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 EStG nicht zu berücksichtigen seien, weil die Nutzung des Raumes nicht mehr als 50 v.H. der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers betragen habe.

Mit der Revision trägt der Kläger vor, das FG habe in seinem Urteil die 2. Alternative des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 EStG nicht berücksichtigt. Für die Vorbereitung seiner Lehrtätigkeit habe ihm in A kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden. Das Büro, das er sich dort mit weiteren Kollegen habe teilen müssen, habe er nur für seine Forschungstätigkeit nutzen können.

Der Kläger beantragt, die Kosten des häuslichen Arbeitszimmers in Höhe von 2 098 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen eines begrenzten Werbungskostenabzugs wegen fehlender Verfügbarkeit eines anderen Arbeitsplatzes getroffen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung der vorinstanzlichen Entscheidung ist insoweit nicht möglich. Zwar hat der Kläger diesen Umstand nicht im Wege der Verfahrensrüge angegriffen. Doch begründen widersprüchliche oder unzureichende Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil einen materiell-rechtlichen Fehler, der auch ohne diesbezügliche Rüge im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. April 1998 X R 101/95, BFH/NV 1998, 1481, m.w.N.; ferner Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Tz. 40 f.).

Ob die Beteiligten tatsächlich, wie es in den Entscheidungsgründen des vorinstanzlichen Urteils heißt, in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend die Auffassung vertreten haben, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Alternative 2 EStG nicht erfüllt waren, ist insoweit unerheblich. Denn ungeachtet einer entsprechenden übereinstimmenden Erklärung steht der nach wie vor umstrittene steuerliche Anspruch nicht zur Disposition der Beteiligten: In tatsächlicher Hinsicht ist das erstinstanzliche Gericht verpflichtet, den streitrelevanten Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO); an das Vorbringen der Beteiligten ist es dabei nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). In rechtlicher Hinsicht kann sich das FG einer eigenständigen Bewertung des streitrelevanten Sachverhalts nicht mit einem Hinweis auf die (möglicherweise übereinstimmende) Rechtsauffassung der Beteiligten entziehen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im vorliegenden Streitfall hätte es sich jedenfalls angesichts des schriftsätzlichen Vortrags des Klägers zur mangelnden Verfügbarkeit eines anderen Arbeitsplatzes und der hierzu vorgelegten Bescheinigung des Arbeitgebers aufgedrängt, den diesbezüglichen tatsächlichen Umständen nachzugehen und entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. hierzu auch Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 76 FGO Tz. 41; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 76 Rz. 16 f.).

2. Im Revisionsverfahren können die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nicht nachgeholt werden. Dies ist vielmehr Aufgabe des FG, an das der Rechtsstreit zu diesem Zweck zurückverwiesen werden muss. Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen von der Verfügbarkeit eines anderen Arbeitsplatzes i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG ausgegangen werden muss, wird auf die zwischenzeitlich hierzu ergangenen Entscheidungen des erkennenden Senats Bezug genommen (BFH-Urteile vom 7. August 2003 VI R 17/01, BFHE 203, 130, BStBl II 2004, 78; VI R 16/01, BFHE 203, 128, BStBl II 2004, 77; VI R 162/00, BFHE 203, 124, BStBl II 2004, 83; VI R 118/00, BFHE 203, 122, BStBl II 2004, 82; VI R 41/98, BFHE 203, 119, BStBl II 2004, 80; BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 VI R 100/02, BFH/NV 2004, 776; und VI R 1/02, BFH/NV 2004, 943).

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