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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: VI R 109/99
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 19 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 19 Abs. 2
EStG § 32d
EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
EStG § 19 Abs. 2 Satz 1
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der 1973 geborene Sohn (S) der verwitweten Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) studierte ab dem Wintersemester 1996/ 1997 an der Universität --Gesamthochschule-- ... S erhielt im Streitjahr 1997 Versorgungsbezüge in Form eines Waisengeldes in Höhe von 11 021,19 DM; daneben erzielte er Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5 331,81 DM. Durch Bescheid vom 10. September 1997 setzte der Beklagte und Revisionskläger (Beklagte) das Kindergeld auf 0 DM fest und forderte das für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1997 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1 980 DM von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Einkünfte und Bezüge des S selbst bei Berücksichtigung einer Werbungskostenpauschale in Höhe von 2 000 DM und einer sonstigen Kostenpauschale von 360 DM die im Streitjahr maßgebliche Einkommensgrenze von 12 000 DM übersteigen würden.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus: S habe im Streitjahr Versorgungsbezüge in Form von Waisengeld in Höhe von 11 021 DM erhalten. Nach Abzug des Versorgungsfreibetrages gemäß § 19 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (4 408 DM) sei nur der Differenzbetrag von 6 613 DM als Einkünfte zu berücksichtigten. Der Versorgungsfreibetrag des S könne jedoch nicht --wie die Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) in R 180e Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 und die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 63.4.2.3 Abs. 2 Nr. 4 f (BStBl I 1998, 386, 428) vorsähen-- als Bezug i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG angesehen werden. Zu den Bezügen im Sinne dieser Vorschrift gehörten nur solche Einnahmen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkunftsermittlung erfasst würden, also nicht steuerbare oder im Einzelnen (§§ 3 ff. EStG) für steuerfrei erklärte Einnahmen. Der Teil der Versorgungsbezüge, der nach § 19 Abs. 2 EStG steuerfrei bleibe (Versorgungsfreibetrag), werde aber im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkunftsermittlung erfasst. Gegen diese an der Gesetzessystematik orientierte Auslegung könne nicht mit Erfolg eingewandt werden, der Gesetzgeber habe den Begriff "Bezüge" im EStG im unterschiedlichen Sinne und damit letztlich in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht eindeutig verwandt. Im Rahmen des § 32d EStG, der bis zum 31. Dezember 1995 eine steuertarifliche Entlastung niedriger Erwerbseinkommen vorgesehen habe, fielen zwar unter den dort vom Gesetzgeber verwendeten Begriff "Erwerbsbezüge" auch Freibeträge des EStG, u.a. auch der hier strittige Versorgungsfreibetrag nach § 19 Abs. 2 EStG. Die Erfassung des Versorgungsfreibetrages als Erwerbsbezug bei der Anwendung des § 32d EStG beruhe allerdings auf der ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung. Auch der Hinweis des Beklagten darauf, dass der den Ertragsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG übersteigende Anteil von Renten als Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfasst werde, vermöge nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Insoweit handle es sich nämlich nach der Systematik des EStG um nicht steuerbare Leistungen, während es sich bei den Versorgungsbezügen in Höhe des Versorgungsfreibetrages um dem Grunde nach steuerpflichtige Einnahmen handele (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. August 1977 VI R 187/74, BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832). Damit stellten sich die Einkünfte des S aus nichtselbständiger Arbeit im Kalenderjahr 1997 wie folgt dar:

5 331 DM (Arbeitslohn) + 11 021 DM (Versorgungsbezüge) ./. 4 408 DM (Versorgungsfreibetrag) ./. 2 000 DM (Werbungskostenpauschale) 9 944 DM

Die Einkünfte und Bezüge lägen damit unter der schädlichen Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Revision. Die Argumentation des FG sei lediglich formaler Natur. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG spreche ausdrücklich von "Steuerfreiheit"; dies spreche dagegen, dass "der Freibetrag im Zusammenhang mit der Einkunftsermittlung geregelt" sei. Es könne letztlich keinen Unterschied machen, ob Einnahmen bzw. Bezüge durch eine gesetzliche Vorschrift insgesamt oder aber (wie hier) partiell steuerfrei gestellt würden. Das Gesetz spreche auch ausdrücklich von "Versorgungsbezügen" und definiere somit solche Einnahmen ausdrücklich als "Bezüge" i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Schließlich sei diese Auslegung auch im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Versorgungsbezügen und Renten geboten. Der im BFH-Urteil in BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832 vertretene steuersystematische Ansatz sei im Kindergeld ab 1. Januar 1996 nicht mehr entscheidungserheblich. Die fraglichen Einnahmen stünden zur Bestreitung des Existenzminimums zur Verfügung.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 28. Mai 1999 14 K 590/98 Kg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der Kindergeldanspruch der Klägerin beruht auf § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

2. Der Kindergeldanspruch ist auch nicht wegen der Einkünfte und Bezüge des S zu versagen.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr 1997 geltenden Fassung wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 000 DM im Kalenderjahr hat (Jahresgrenzbetrag).

Anrechenbare Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit --wie im Streitfall-- sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Unter "Bezügen" i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind nach ständiger Rechtsprechung solche Einnahmen zu verstehen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder im Einzelnen (z.B. in den §§ 3 und 3b EStG) für steuerfrei erklärte Einnahmen (z.B. BFH-Urteil in BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832). Entgegen der Auffassung der Verwaltung (vgl. R 180e Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStR, DA-FamEStG 63.4.2.1 Abs. 3 Nr. 2 und 63.4.2.3 Abs. 2 Nr. 4, BStBl I 2000, 636, 674, 676) gehören Einnahmen in Höhe des Versorgungsfreibetrages (§ 19 Abs. 2 Satz 1 EStG) nicht zu den anrechenbaren Bezügen i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Entscheidend ist, dass Versorgungsbezüge dem Grunde nach zu den steuerpflichtigen Einnahmen gehören und dass der Freibetrag bei der Einkunftsermittlung erfasst wird; Einnahmen in Höhe des Versorgungsfreibetrages können daher bei der Ermittlung der Bezüge nicht noch einmal berücksichtigt werden. Wegen der näheren Begründung wird auf das Senatsurteil vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, verwiesen.

3. S hatte demgemäß im Streitjahr 1997 lediglich Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5 331 DM und zusätzlich aus Versorgungsbezügen (Waisengeld) in Höhe von 6 613 DM (11 021 DM abzüglich des Versorgungsfreibetrages, der keinen Bezug darstellt, in Höhe von 4 408 DM). Nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrages ergeben sich danach anrechenbare Einkünfte des S in Höhe von 9 944 DM. Dieser Betrag überschreitet den Jahresgrenzbetrag (im Streitjahr 1997: 12 000 DM) nicht.



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