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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: VI R 152/99
Rechtsgebiete: EStG 1996
Vorschriften:
EStG 1996 § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 |
Gründe:
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger und als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Seine Ehefrau wohnte zusammen mit einer Tochter in der Familienwohnung in der Türkei. Zwei Söhne waren mit Hauptwohnsitz in der Familienwohnung und mit Nebenwohnsitz am Studienort in der Türkei gemeldet.
Im Streitjahr (1998) reiste der Kläger fünfmal zu seiner Familie in die Türkei. Die Kosten von 3 878 DM (Flugkosten 2 978 DM, Fahrtkosten zum/vom Flughafen 900 DM) machte er als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung unter Hinweis auf Abschn. 42 Abs. 3 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1996 ab, weil der Kläger die Familienwohnung nicht mindestens sechsmal aufgesucht habe.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) müsse unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ausgelegt werden. Wenn der Steuerpflichtige fünfmal im Jahr zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen reise, sei die Voraussetzung erfüllt, wonach die weiter entfernt liegende Wohnung "nicht nur gelegentlich" aufgesucht werden müsse. Es seien auch die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und die Fahrtkosten zu berücksichtigen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 62 veröffentlicht.
Mit der (vom FG zugelassenen) Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es trägt vor, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. November 1996 VI R 43/94 (BFH/NV 1997, 341) müsse zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "nicht nur gelegentlich" der Arbeitnehmer die Wohnung häufiger, in nicht zu großen Zeitabständen aufgesucht haben. Dass dies entsprechend den LStR 1996 mit "mindestens sechsmal jährlich" zu definieren sei, dürfte keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Dagegen enthalte das genannte Tatbestandsmerkmal begrifflich nichts zu dem Gesichtspunkt der großen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Ebenso wenig sei zwischen inländischen und ausländischen Arbeitnehmern zu unterscheiden.
Das FA beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Die Revision des FA ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Aufwendungen des Klägers für die fünf Familienheimfahrten im Streitjahr als Werbungskosten abziehbar sind.
1. Kosten, die ein allein am Arbeitsort wohnender Arbeitnehmer für Familienheimfahrten aufwendet, können --abgesehen von einer im Streitfall offenbar nicht vorliegenden doppelten Haushaltsführung-- als Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG steuerlich zu berücksichtigen sein. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, z.B. eine Familienwohnung am Hauptwohnsitz und eine Zweitwohnung am Beschäftigungsort, so kommt der Werbungskostenabzug zwar grundsätzlich nur für Fahrten von und zu der Wohnung in Betracht, die der Arbeitsstätte am nächsten liegt. Fahrten zwischen der weiter entfernt liegenden Wohnung und der Arbeitsstätte werden jedoch dann berücksichtigt, wenn diese Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bildet und (zusätzlich) von diesem "nicht nur gelegentlich" aufgesucht wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG).
2. In dem Urteil in BFH/NV 1997, 341 hat der Senat das Tatbestandsmerkmal "nicht nur gelegentlich" nach dessen Wortsinn dahin gehend aufgefasst, dass der Arbeitnehmer die Wohnung häufiger, in nicht zu großen Abständen aufgesucht haben muss. In dem Urteilsfall wurde das deshalb verneint, weil der Kläger im betreffenden Jahr nur einmal zu einem längeren Urlaub seine Familienwohnung im Ausland aufgesucht hatte. Ausdrücklich offen gelassen hat der Senat in dieser Entscheidung, ob er der Verwaltungsanweisung in Abschn. 42 Abs. 3 Satz 6 LStR 1990 (Abschn. 42 Abs. 3 Satz 5 der im Streitfall maßgebenden LStR 1996) folgen könne, wonach der Werbungskostenabzug bei einem verheirateten Arbeitnehmer mindestens sechs Aufenthalte jährlich in der Wohnung voraussetzt.
Diese für den Streitfall entscheidungserhebliche Frage ist in dem Sinne zu beantworten, dass die in den LStR festgelegte Quantifizierung keine zutreffende Auslegung des Gesetzes darstellt.
Mit der ab dem Veranlagungszeitraum 1990 in das Gesetz eingeführten Regelung wurde die bisherige Rechtsprechung des BFH eingeschränkt, die bei Fahrten des Arbeitnehmers zwischen der Arbeitsstätte und der weiter entfernt liegenden Familienwohnung den Werbungskostenabzug unabhängig von der Anzahl dieser Fahrten zugelassen hatte (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1997, 341). Dabei hat der Gesetzgeber mit der Formulierung "nicht nur gelegentlich" auf eine zahlenmäßig eindeutige Festlegung verzichtet, obwohl eine solche möglich gewesen wäre. Diese Vorgehensweise lässt (mangels Hinweisen in den Gesetzesmaterialien, vgl. dazu die Vorentscheidung in EFG 2000, 62) den Schluss zu, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Subsumtion eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist, welche die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt (vgl. v. Bornhaupt in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. F 152; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 9 Rz. 108; Heuermann/Wagner, Lohnsteuer, F 197). Hierzu kann z.B. auch eine besonders große Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnung gehören. Mit dieser Auslegung ist die Regelung der LStR nicht zu vereinbaren, da sie eine starre Grenze von sechs Fahrten jährlich setzt und den Werbungskostenabzug bei weniger als sechs Fahrten ohne Beachtung der näheren Umstände definitiv ausschließt.
3. Die Entscheidung des FG ist danach nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz konnte bei der Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals "nicht nur gelegentlich" neben der Häufigkeit der Reisen die Entfernung zwischen der Wohnung in der Türkei und der Arbeitsstätte im Inland sowie die Kosten der Fahrten berücksichtigen und damit im Streitfall ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangen, dass fünf Fahrten für den Werbungskostenabzug ausreichen. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Fahrtkosten besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Die Revision war daher in vollem Umfang zurückzuweisen.
Ende der Entscheidung
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